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Einfach nur Regelschmerzen?

Krankheiten werden bei Frauen oft unterschätzt. Wie drastisch, zeigt ein Aufruf auf Instagram. Dass die Folgen fatal sein können, bestätigt eine Expertin. Was muss sich in der Medizin künftig ändern?


Dr. Hildegard Seidl

Dr. Hildegard Seidl

Von Heidi Geyer

Es war dann doch keine Blasenentzündung, auch wenn der Assistenzarzt sie am liebsten mit Antibiotika nach Hause geschickt hätte. "Geplatzte Eierstockzyste mit rupturierter Arterie am Eierstock und ein hühnereigroßes Hämatom hinter der Gebärmutter. Ich wurde direkt im OP notoperiert." Die ranghöhere Ärztin bestand doch auf eine gynäkologische Untersuchung. Das schreibt eine Nutzerin auf Instagram.

Eine andere berichtet, monatelang massive Gallen-Koliken gehabt zu haben. Sie teilte dem Arzt mit, dass es auch in ihrer Familie immer wieder Fälle mit massiven Gallen-Problemen gegeben habe. "Ne, kann nicht sein, Sie sind zu dünn für sowas", meinte der Arzt lapidar. Bei einem MRT zeigte sich dann, dass die Gallenblase kurz vor dem Platzen ist. Der Notarzt lachte und fragte: "Sind Sie sich sicher? Also kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen."

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Die Unternehmerin und Content Creatorin Madeleine Alizadeh und Zuschriften von ihren Followern.

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Es sind zwei von zahlreichen Erzählungen, die die Unternehmerin und Content-Creator Madeleine Alizadeh auf ihren Aufruf bei Instagram hin erreicht haben. Sie zeigen: Der Schmerz von Frauen wird in der Medizin oft bagatellisiert. Zum Teil werden dadurch auch falsche Diagnosen gestellt - mit fatalen Folgen.

Dabei ist Madeleine Alizadeh keine Gesundheits-Influencerin. Die Österreicherin hat als "dariadaria" 329 000 Follower auf der Plattform und setzt sich dort für gesellschaftspolitische Themen ein. Manchmal steht aber auch einfach ihr Hund Mala im Zentrum ihrer Posts oder sie kommentiert unter einem ironisch-spießigen Pseudonym namens Edith das Tagesgeschehen.

Und natürlich kommen auch Erlebnisse aus Alizadehs persönlichem Leben auf die Plattform. So wie jene Erfahrung in Portugal, wie die 34-Jährige im Gespräch mit der AZ erzählt und auf Instagram geteilt hat. "Ich bin dort wieder an Mandelentzündung erkrankt. Die habe ich chronisch", erzählt die junge Frau. Sie sei dann in eine Ambulanz, keine Notaufnahme, gegangen, wo sie zwei Stunden warten musste. "Meine Schmerzen waren wirklich sehr stark, ich kenne das ja."

Ein Arzt habe ihr mehrfach gesagt, dass sie ruhig bleiben solle. "Ich habe versucht, ganz nüchtern zu erklären, was meine Symptome sind", sagt Alizadeh. Aber offensichtlich nahm der Arzt sie nicht ernst. Sie berichtet, dass sie zur Beruhigung eine Infusion bekommen habe und ein schwaches Antibiotikum. Zu schwach: "Dadurch habe ich die Mandelentzündung verschleppt und war letztlich fast einen Monat krank."

Nun kann man sagen: Bei einer Mandelentzündung, die eher harmlos verläuft, und das auch noch im Ausland mit einer Sprachbarriere - da kann sich ein Arzt schon mal täuschen. Alizadeh sieht jedoch eine Systematik dahinter: "Ich habe so wie jede andere Frau seit meiner Kindheit Erfahrungen gemacht, wie mein Schmerz bagatellisiert worden ist."

Ihr Aufruf auf Instagram gibt ihr Recht. Zahlreiche Frauen berichten von ähnlichen Erlebnissen. "Da hat sich ein Abgrund aufgetan. Von verschleppten Krebsdiagnosen bis zu Frauen mit Eileiterschwangerschaften, die wieder weggeschickt worden sind", sagt die Unternehmerin, die auch eine Marke für "faire" Kleidung betreibt. Schockiert habe sie besonders die Sprache der Ärzte, die mitunter sehr erniedrigend gewesen sei.

Zugleich gibt es wohl auch viele Männer, die Schauergeschichten über falsche Diagnosen erzählen können. Dass aber wirklich etwas dran ist am unterschätzten weiblichen Schmerz, weiß Dr. Hildegard Seidl, Fachreferentin für Gendermedizin an der Klinik Schwabing. Schon bei der Kommunikation fange das an: "Frauen teilen Schmerz oft anders mit als Männer. Sie können das häufig besser beschreiben, aber nicht so knackig und kurz. Weil das natürlich Zeit kostet, wird ihnen manchmal das Wort abgeschnitten. Männer sagen eher: ,Da tut's weh.' Frauen hingegen interpretieren Schmerzen und da kann man als Arzt oder Ärztin auch mal auf die falsche Fährte geraten." Sprich: Ein Arzt muss sich auf ein unterschiedliches Kommunikationsverhalten einstellen.

Laut Seidl liegt es teils schlicht an den unterschiedlichen Körpern: "Frauen mit Bauchschmerzen können außerdem deutlich mehr Problematiken haben als Männer, weil da von Endometriose bis Schwangerschaft noch alles Mögliche mit reinspielen kann." Auch Regelschmerzen können das Schmerzbild verzerren. "Bei Männern kann man so was gar nicht vermischen", sagt Seidl. In der Tat seien Frauen schmerzempfindlicher als Männer.

Hinzu kommen Stereotypen, weiß Alizadeh. Dass Frauen nicht für voll genommen werden, zeige sich ja nicht nur in der Medizin. "Es gab ja lange die sozial konstruierte Geschichte der Hysterie bei Frauen. Dass Frauen einfach hysterischer und emotionaler sind und deshalb nicht ernst genommen werden."

Auf der anderen Seite wurden vermutlich schon in den meisten Haushalten hämische Diskussionen über den "Männerschnupfen" und die damit unterstellte Wehleidigkeit geführt. Wer hat also recht? "Frauen haben eine bessere Immunabwehr", bestätigt Seidl.

Ein Beispiel sei Corona: "Männer haben ein zwei bis drei Mal so hohes Risiko für einen schweren Verlauf. Das liegt einerseits daran, dass Männer mehr Vorerkrankungen haben, besonders im Alter. Beispielsweise COPD oder Blut-Hochdruck." Aber: Es gebe zahlreiche Studien, die zeigen, dass Männer eine 60 Prozent höhere Chance für einen tödlichen Verlauf haben - unabhängig von Vorerkrankungen.

"Durch die milderen Varianten hat sich das etwas angeglichen, aber der Unterschied ist immer noch da."

Es komme aber auch auf das jeweilige Krankheitsbild an. So werde etwa die Diagnose "Depression" bei Frauen häufiger als bei Männern gestellt. "Es kann durchaus sein, dass Frauen öfter daran erkranken. Es könnte jedoch auch andere Gründe haben: etwa, dass die Diagnose Depression bei entsprechenden Symptomen bei Frauen nicht ausreichend abgeklärt wird."

Ein Beispiel dafür sei die Schlaf-Apnoe, nämlich Atem-aussetzer im Schlaf. "Frauen leben im Alter oft alleine und haben keinen Partner, der in der Nacht mitkriegt, dass sie zum Schnaufen aufhören", sagt Seidl. Problematisch seien auch die Symptome, etwa Müdigkeit und Erschöpfung. "Also Symptome, die einer Depression nicht unähnlich sind. Bei Frauen wird deshalb häufig übersehen, dass es eine Schlaf-Apnoe ist und keine Depression." Zugleich werde bei Männern die Depression unterschätzt, weil sie häufig ganz andere Symptome zeigen, wie Aggressionen und Suchtverhalten. "Dazu kommt, dass sich Männer immer noch mit dem starken Geschlecht identifizieren und die Anzeichen einer Depression nicht mitteilen", sagt Seidl.

Fast schon ein "Klassiker" bei geschlechtsspezifischen Fehldiagnosen ist der Herzinfarkt bei Frauen unter 60. Die Symptome seien oft ganz anders. Sie seien oft sehr abgeschlagen und ihnen sei übel. "Der Brustschmerz kann durch diese Symptomatik überlagert werden. Das ist nicht einfach für Ärztinnen und Ärzte, weil sie sich oft mit dem stärksten Symptom beschäftigen", so Seidl. Auch in der Bevölkerung sei das nicht bekannt.

Als Patient, speziell als weiblicher, ist es also tatsächlich aufgrund der Rahmenbedingungen nicht ganz einfach, Gehör zu finden. Wie sollen sich Patientinnen also verhalten? "Als Patientin kann man nachfragen, ob bei dem Schmerzbild, das man hat, Unterschiede zwischen Frauen und Männer bekannt sind", rät die Ärztin. Oder wenn beispielsweise die Diagnose mit Regelschmerz endet, könnte man die Frage stellen, wie die Diagnose wäre, wenn ein Mann der Patient wäre. Wobei Seidl einräumt: "Aber das sollte nicht Aufgabe der Patientinnen und Patienten sein."

Aus diesem Grund führt die München Klinik im Auftrag der Stadt dieses und kommendes Jahr eine Schulung für alle in der Notfallmedizin beschäftigten Berufsgruppen zu geschlechterspezifischen und interkulturellen Aspekten in der Notfallmedizin durch. "Unter anderem ist Schmerz in der Notfallmedizin ein wichtiges Thema." Wobei noch ein weiterer Aspekt zum Tragen kommt: "Nicht nur Frauen und Männer unterscheiden sich hier, auch Menschen aus anderen Kulturen haben ein anderes Kommunikationsverhalten bei Schmerzen."