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Städter: Jetzt bewerben für's Landleben auf Probe

Viel Natur, wenige Einwohner: Das fränkische Dorf Nordhalben will für zwei Monate kreative Menschen anlocken, die vor Ort arbeiten und leben. Die Resonanz ist riesig.


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Von Kathrin Zeilmann, Lisa Marie Albrecht

Arbeiten mit Blick auf grüne Baumwipfel - anstatt sich etwa in München in engen U-Bahnen zu drängeln? Wanderungen durch nahezu unberührte Landschaften statt Joggen im Park? Feierabend-Brotzeit statt Hafer-Cappuccino?

Wer das verlockend findet, kann ja zumindest mal ausprobieren, wie es sich so lebt und arbeitet, auf dem Land: Die Regionalinitiative "Oberfranken Offensiv" sucht zehn Freiwillige, die sich zwei Monate lang - im Juni und Juli - darauf einlassen, in Nordhalben im Frankenwald zu leben und zu arbeiten. Konkret sollen "kreative Köpfe und motivierte Stadtmenschen" testen, ob das klappt - in einem Coworking-Space auf dem Lande ihrem Job nachzugehen und in und um Nordhalben die Freizeit zu verbringen.

Coworking-Space im Nordhalben Village: RehabilitierungsmanagerMichael Fuß und Architektin Sabine Dorn-Pfahler üben schon mal.

Coworking-Space im Nordhalben Village: RehabilitierungsmanagerMichael Fuß und Architektin Sabine Dorn-Pfahler üben schon mal.

Die Digitalisierung mache die Bürojobs immer flexibler, heißt es bei "Oberfranken Offensiv". Ein Laptop und ein Internetanschluss reichten inzwischen vielen aus, um von überall aus zu arbeiten. "Hinzu kommt, dass sich immer mehr Menschen nach der Idylle und der Gemeinschaft der ländlichen Regionen sehnen." Genau diesen Trend greife man auf.

Das kommt an - und zwar richtig gut. "Wir hätten nicht mit so viel Resonanz gerechnet", sagt "Oberfranken Offensiv"-Geschäftsführer Frank Ebert der AZ. Jeden Tag, seit die Anzeige scharf geschaltet wurde, gehen ihm zufolge fünf bis sechs Bewerbungen ein. "Die Leute kommen aus Berlin, Bonn, Hamburg, es ist eine richtige Welle."

So hätte er etwa gerade eine Bewerbung auf dem Tisch von einer Yogalehrerin aus Bonn, die durch die Sozialen Netzwerke auf das Projekt aufmerksam geworden ist und gerne mit der Bevölkerung vor Ort in Kontakt treten will.

Gerade in der Pandemie hätten viele Menschen gemerkt, dass ein Leben in den Metropolen und Großstädten auch Nachteile mit sich bringe, sagt Sandra Wolf vom Demografie-Kompetenzzentrum Oberfranken. "Es findet häufig ein Umdenken statt, eine Abkehr vom Stadtleben und eine Offenheit gegenüber dem Leben auf dem Land. Dies ist auch in Oberfranken festzustellen."

Die Region hat das dringend nötig. "Demografischer Wandel" - das klang jahrelang wie ein Drohbegriff. Doch viele Kommunen stemmen sich diesem Trend inzwischen entgegen. Wie etwa Nordhalben. Aus der alten Schule ist ein Coworking-Space geworden namens "Nordhalben Village", wo man auch übernachten und tagen kann.

Glasfaserkabel seien verlegt, das Internet bringe "volle Leistung", sagt Bürgermeister Michael Pöhnlein stolz. Es gebe zig Freizeitmöglichkeiten in und um Nordhalben, in 20 Minuten sei man etwa am Bleilochstausee in Thüringen beim Segeln. Und es gibt den "Nordwaldmarkt" als einen der größten bürgereigenen Dorfläden Bayerns, ein Künstlerhaus und den "Nordhalbener Kunstsommer".

In den 1970er Jahren hatte Nordhalben noch rund 3000 Einwohner, inzwischen sind es 1600. Doch Pöhnlein will seine Gemeinde weiterhin attraktiv halten. Kreative und Selbstständige anzulocken via Coworking sei ein Versuch. "Wir gehen neue Wege, wir kämpfen." Sandra Wolf zitiert Zahlen des Landesamts für Statistik. Inzwischen gebe es für Oberfranken mehr Zu- als Wegzug.

"Man würde eine Wohnung finden", sagt auch Frank Ebert und räumt ein, dass es ein schöner Effekt wäre, wenn sich der Eine oder Andere nach der Probephase entschließen würde, zu bleiben. Ihm gehe es aber vor allem darum, die Innovationskraft vor Ort voranzutreiben und das Konzept Coworking weiter ausbauen. "Wir wollen zeigen: Hier geht viel."

Der Trend zum Coworking - also ein flexibel buchbarer Büroplatz - hat nach Expertenansicht längst auch ländliche Regionen erfasst. Eine aktuelle Erhebung sei zwar erst für dieses Jahr geplant, teilt der Bundesverband Coworking Spaces Deutschland (BVCS) mit. Im Jahr 2020 gab es aber bereits rund 1200 solcher Einrichtungen - viermal mehr als 2018.

Ihr Potenzial für den ländlichen Raum zeige sich in der vielfältigen Kundschaft. Zwar ziehe Coworking auch hier Angehörige der Kreativ-, Digital- und IT-Wirtschaft an. Doch die Kundschaft von Coworking-Spaces auf dem Land bilde ein weit gefächertes gesellschaftliches Spektrum ab - so kämen etwa Handwerkerinnen und Handwerker. Die Arbeitsplätze seien auch für fest angestellte Pendler interessant.

Das bayerische Arbeitsministerium sieht ebenfalls einen Trend zu Coworking auf dem Land. "Aus meiner Erfahrung und den vielen Gesprächen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auch der Arbeitgeberseite, weiß ich: Wir brauchen mehr Flexibilität", sagt Ministerin Ulrike Scharf (CSU). "Coworking-Spaces bieten neue Möglichkeiten, von denen Unternehmen und Angestellte gleichermaßen profitieren können."

Und wenn man doch mal weg will aus der grünen Idylle? Wolf sagt: Die Mobilität auf dem Land sei noch stärker auf den Individualverkehr ausgerichtet. Dennoch gebe es in Oberfranken schon eine Reihe innovativer Projekte wie den Hofer Landbus, der per App buchbar ist, oder Carsharing-Modelle. Und Ebert, der selbst längere Zeit in München gelebt hat, meint, von Nordhalben aus dauere es auch nicht länger zum nächsten Kulturangebot als in vielen Großstädten.

Einen Clash der Kulturen zwischen Städtern und Nordhalbenern fürchtet er beim Landleben auf Probe ebenfalls nicht. "Genauso wie es in München nicht nur aufgeschlossene Leute gibt, gibt es in Franken nicht nur Miesepeter. Die Gemeinde ist sehr offen."

Bewerbungsschluss für das
Projekt ist der 31. März.
Infos und Anmeldung unter:
www.work-land-life.de