Albtraum für Chamer Familie

Israelurlaub: Und plötzlich ist Krieg


Sicherheitskräfte in Israel greifen nach Anschlägen konsequent durch, doch die Ruhe danach trügt. Der nächste Gewaltexzess ist nur eine Frage der Zeit.

Sicherheitskräfte in Israel greifen nach Anschlägen konsequent durch, doch die Ruhe danach trügt. Der nächste Gewaltexzess ist nur eine Frage der Zeit.

Von Manfred Fischer / Onlineredaktion

Von einem Moment auf den anderen herrscht vor den Augen des Orthopäden Hans Ertl Krieg. Im Israelurlaub wird er mit seiner Familie Zeuge des entfesselten Hasses zwischen Israelis und Arabern.

Beim Besuch eines Straßencafés in Jerusalem erleben die Ertls, wie drei Menschen sterben. Der Vater einer dreiköpfigen Familie stirbt nach dem Angriff durch einen jungen Palästinenser. Ein zur Hilfe eilender Rabbiner bezahlt sein Engagement mit dem Leben. Kurz nach der Attacke fliegen Blendgranaten, Sicherheitskräfte marschieren auf, sie "durchlöchern" den Attentäter, beschreibt Elisabeth Ertl. Die Frau kriecht blutend vom Tatort. Das Baby wird glücklicherweise nur leicht verletzt. Zunächst haben sie nicht realisiert, was geschieht. "Wir haben gedacht, jetzt werden wir jeden Moment aus diesem Albtraum aufgeweckt", erinnert sie sich - ein frommer Wunsch.

Sicherheitskräfte bringen die Ertls in den Hinterhof eines Cafés, zwischen Tatort und Schutzraum liegen keine 50 Meter. "Die Situation ist völlig unwirklich gewesen." Hans Ertl sucht Vergleichbares in seinem Erfahrungsschatz - vergeblich. Als absurd beschreibt seine Frau die Umstände.

Im Café wird ihnen Essen serviert. Zwei Musiker greifen zur Gitarre. Von draußen kommt der Ruf eines Muezzins zum Gebet.

Ausnahmezustand nach dem Attentat

Stunden verharren die Familie Ertl und andere Gäste in der Wirtschaft. "Flankiert von schwer bewaffneten Polizisten wurden wir zurück ins Hotel begleitet", berichtet Elisabeth Ertl. Die zunächst gelöste Stimmung in der Stadt wandelt sich. Nach dem Attentat herrscht Ausnahmezustand. Durch die Straßen patrouilliert das Militär. Palästinenser demonstrieren. Leuchtraketen steigen in den Himmel. Schüsse fallen.

Wie es ist, um sein Leben fürchten zu müssen, haben die Ertls an diesem Tag erfahren. "Da kann man nur annähernd erahnen, wie sich die Todesangst bei den Flüchtlingen aus Syrien anfühlt. Sie müssen tagtäglich um ihr Leben fürchten. Das muss unerträglich sein, und es ist verständlich, dass sie aus diesem Land flüchten, egal wie", sagt Elisabeth Ertl.

Valerie Strassmann ist Nahostwissenschaftlerin aus München, die einige Jahre in Israel gearbeitet hat. Sie erklärt, die aktuellen Angriffe seien Teil einer Gewaltspirale. "Die Messerattacken sind keine isolierten, neuen Taten, sondern sind eingebettet in den Kreislauf aus Vergeltung, in dem Israelis und Palästinenser gefangen sind." Die große Frage nach der erneuten Eskalation in Israel sei, ob sie der Beginn der dritten Intifada bedeutet. Auslöser sieht Strassmann unter anderem in den Lebensumständen in Ostjerusalem. Die Palästinenser fühlten sich, als ob ihnen die Luft abgeschnitten werde. Für Jugendliche gebe es kaum Zukunftsperspektiven. "Neu an den Messerattacken oder dem Überfahren von Menschen ist aber, dass Einzelne die Taten ausführen", erklärt sie.

Der fatale "erste Reflex"

In dem seit mittlerweile mehr als 100 Jahren dauernden Konflikt spielt es inzwischen keine Rolle mehr, wer stirbt, vermutet Ertl. "Dahinter steckt abgrundtiefer Hass."

Aus diesem erwächst hemmungslose Gewalt, was Ertl am meisten verstört. Touristen werde äußerst freundlich begegnet. Aber Menschen des anderen Volksstamms sind Todfeinde. "Wenn irgendwo auch nur ein Fahrrad umfällt, ist der erste Reflex: Das war einer von denen."

Ertls knabbern noch am Erlebten, aber "inzwischen gehts wieder", sagt Elisabeth Ertl. Die sinnlose Gewalt versteht auch sie nicht. "Es könnte doch auch anders gehen."