Ein Unfall und seine Folgen
"Ich weiß nicht, was ich ohne sie gemacht hätte"
11. Januar 2017, 10:44 Uhr aktualisiert am 11. Januar 2017, 10:44 Uhr
Am zweiten Weihnachtsfeiertag war Jochen Bartusel in einen schweren Autounfall verwickelt. (Schwerer Unfall auf B20 - zwei Verletzte) Ein anderer Autofahrer hatte die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war in den Gegenverkehr gekracht. Was Jochen Bartusel im Anschluss erlebte, erzählt er im Interview.
idowa: Herr Bartusel, als der Unfall passiert ist, was ging da bei Ihnen im Kopf vor? Was geht einem durch den Kopf, wenn man merkt: "Das geht nicht gut?"
Jochen Bartusel: Das ist ein Punkt, der geht mir nahe. Ich bin eigentlich ein Mensch, der alles unter Kontrolle hat - hatte. Ich war 35 Jahre Soldat und auch Vorgesetzter und habe immer alles im Griff gehabt. Ich habe das immer alles geregelt. Aber da, bei diesem Unfall, das habe ich alles bewusst mitbekommen, diese absolute Hilflosigkeit, dieses: "Jetzt ist es vorbei": Da wache ich auch jetzt noch immer wieder auf, wenn ich diese Scheinwerfer vor mir sehe. Das war das letzte, was ich gesehen habe, bevor es eingeschlagen hat. Ich weiß mittlerweile, dass ich nach rechts in die Leitplanke gefahren bin und dann war es vorbei. Diese Hilflosigkeit, das Wissen, dass du jetzt nichts mehr machen kannst und dass es jetzt einfach passiert: Das ist mir durch den Kopf gegangen.
Wie lange hat es gedauert, bis jemand angehalten hat?
Jochen Bartusel: Ich kann die Zeit nicht genau einschätzen. Das geht an einem vorbei. Gefühlt war es eine halbe Stunde. Es war aber nicht so lange. Ich habe das mitbekommen, wie die Airbags alle aufgegangen sind und danach habe ich erstmal geschrien, obwohl mir nicht viel gefehlt hat. Erst dann habe ich gemerkt, dass ich eigentlich nicht schreien brauche, weil mir ja gar nichts fehlt. Und dann hat es nicht lange gedauert.
Es war relativ fix jemand da. Der hat die Türe aufgerissen. Die war zwar verklemmt, aber die hat er aufgekriegt. Er hat dann sofort beruhigend auf mich eingeredet. Das war der erste gute Punkt: Er war nicht hektisch. Er hat gefragt, ob mir was fehlt und was mir fehlt. Dann hat er noch gefragt, ob ich die Beine bewegen kann oder ob die eingeklemmt sind. Und dann hat er immer gesagt, was er jetzt macht. Also genau das, was man machen muss. Das war sehr beruhigend für mich.
Mir war klar: Das ist einer, der kümmert sich. Dann hat er mich in ein Gespräch verwickelt und hat immer mit mir geredet.
Haben dann weitere Fahrer angehalten?
Jochen Bartusel: Es kam ein zweiter Mann. Und dann kam eine Ärztin, die war zufällig vor Ort. Sie hat gefragt, ob alles in Ordnung ist, und ob ich gehen kann. Dann haben die Männer gesagt: "Ja, er gibt an, dass es passt." Dann hat sie gesagt: "Raus aus dem Auto." Ich habe gesagt: "Ich sitze doch hier gut." Dann hat sie in einem Ton gesagt, dem du absolut nicht mehr widersprichst: "Raus aus dem Auto!" Sie ist dann weiter zu den anderen Unfallbeteiligten.
Dann haben mich die beiden Männer aus dem Auto rausgeholt. Sie haben mich gestützt und haben mit mir geredet: Wie es mir geht, ob alles gut ist, ob was wehtut. Dann waren da auf einmal drei, vier andere, die Decken und Schlafsäcke aus den Autos geholt haben.
Die Helfer haben die Matten und Schlafsäcke an die Leitplanke gelegt und haben mich da abgesetzt. Die beiden, die mich aus dem Auto geholt haben, sind immer bei mir geblieben, die sind nie weggegangen. Die haben Decken um mich gelegt und so eine Rettungsfolie. Ich war nie alleine.
Wenn Fremde zu Helfern werden
Wann kam der Krankenwagen?
Jochen Bartusel: Es hat gefühlt ewig gedauert, bis ein Krankenwagen kam. Aber eigentlich war der Krankenwagen aus Landau recht schnell da. Was ich noch mitbekommen habe: Einer der Ersthelfer hat telefoniert und hat den Notruf abgesetzt, vor meinen Augen. Das war alles so beruhigend. Ganz wichtig war, dass ich nie alleine war.
Gab es auch Gaffer?
Jochen Bartusel: Ich habe niemanden gesehen, der fotografiert hat. Man sieht das ja oft, diese sensationslüsternen Typen. Ich habe aber überhaupt keinen gesehen. Darum geht es mir auch, dieses beruhigende, besonnene Verhalten dieser Ersthelfer, kein Gaffer, kein Neugieriger, der ein Foto macht.
Was ist das für ein Gefühl, dass da wildfremde Menschen bereit sind, zu helfen?
Jochen Bartusel: Das war mir in dem Moment komplett egal, dass das Wildfremde waren. Hauptsache war, dass wer da war, der mir geholfen hat.
Hatten Sie das Gefühl, dass die Herren, die bei Ihnen waren genau wussten, was sie zu tun hatten?
Jochen Bartusel: Ja, absolut. Die Polizei hat leider auch nicht alle Namen der Ersthelfer und kann sie auch nicht rausgeben. Darum versuche ich es jetzt auf diesem Weg. Sie haben sich auch vorgestellt und haben mich nach meinem Namen gefragt, aber ihre Namen habe ich mir natürlich nicht wirklich merken können.
Ist Ihnen auch durch den Kopf gegangen, wie es dem anderen Unfallbeteiligten geht?
Jochen Bartusel: Ja, das habe ich die Helfer gefragt. Man hat mir auch ganz offen gesagt, dass es ihn schlimmer erwischt hat. Das hat auch die Ärztin gesagt, die immer wieder da war, um nach dem Rechten zu schauen.
Der Herr wurde ja mit dem Helikopter abgeholt, haben Sie das mitbekommen?
Jochen Bartusel: Ja, den Helikopter habe ich gehört. Da war ein Einsatzleiter vom Roten Kreuz da, der hat das Kommando übernommen. Er hat dann zur Feuerwehr gesagt, dass ein Hubschrauber angefordert ist und dass sie den Landeplatz frei machen sollen. Die Feuerwehr hat dann auch so Lampen aufgebaut. Aber mehr habe ich davon nicht mitbekommen.
"Ich stand unter Schock"
Darf ich fragen, was für Verletzungen Sie erlitten haben?
Jochen Bartusel: Mir hat es den Daumen nach hinten gebogen. Das war ein ganz eigenartiges Gefühl, so etwas hatte ich noch nie. Das war, als würde da was fehlen. Ich habe Prellmarken am ganzen Körper. Der Daumen ist wohl vom Lenkrad nach hinten gedrückt worden. An den Händen und Fingern war ich dunkelblau, davon sieht man jetzt nicht mehr so viel. Der Mann, der das Auto abgeschleppt hat, hat mich ganz groß angeschaut, als ich zwei Tage später dort war. "Dass ich Sie so sehe", hat er gesagt. Bei dem Auto hat er sich das nicht vorstellen können. Auch der Gutachter hat gesagt, dass ich riesiges Glück hatte, dass ich so aus dem Auto rausgekommen bin und jetzt so hier sitze.
Sie haben mir gesagt, dass Sie auch schon andere Erfahrungen gemacht haben: Welche waren das?
Jochen Bartusel: Ich war früher bei der Bundeswehr Soldat, bei der Militärpolizei. Zu den Aufgaben gehört es ja auch, Unfälle aufzunehmen, vor allem militärisch bedingte Unfälle, also mit Militärfahrzeugen. Da waren wir im Inland und im Ausland. Ich habe oft Erfahrungen mit Gaffern gemacht, mit Leuten, die nichts tun, nicht mal einen Notruf absetzen. Leute, die nicht einmal in der Lage sind, einem eine Decke zu geben oder grundlegende Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen. Da überwiegt dann die Angst - und die Neugierde. Das ist leider so. Daher weiß ich, was einen sehr oft erwartet, wenn man als "Offizieller" an eine Unfallstelle kommt.
Man hört ja auch immer wieder, dass sogar Polizei oder Feuerwehr angegangen werden, wenn sie Gaffer wegschicken. Das habe ich alles live erlebt. Die rücken dir auch nicht von der Pelle, die wollen es sehen, wenn jemandem der Arm aufgerissen wurde. Das wollen die live sehen und am besten noch fotografieren. Das war bei meinem Unfall eben nicht so, ich war total positiv überrascht.
Wollen Sie ihren Helfern noch etwas sagen und haben Sie einen Rat für alle, die an eine Unfallstelle als Ersthelfer kommen?
Jochen Bartusel: An die Leute, die mir geholfen haben: Herzliches Dankeschön, unbekannterweise. Ich weiß nicht, wie es mir ohne sie gegangen hätte. Ich stand ja unter Schock. Da kann es einem ratzfatz plötzlich schlechter gehen. Meine Botschaft an alle ist: Helfen! Einfach da sein und vielleicht auch mal einen gewissen Ekel überwinden. Es geht um grundlegende Dinge. Man sollte wissen, wie man einen Notruf absetzt, wie man eine Blutung stillt, wie man erkennt, dass man etwas tun muss. Man sollte regelmäßig den Erste-Hilfe-Kurs auffrischen. Und man sollte sich trauen, etwas zu tun. Wenn man selber aktiv wird, nimmt man oft auch andere mit. Das wichtigste im Umgang mit den Unfallopfern ist, dem anderen das Gefühl zu geben: "Ich bin für dich da." Damit nimmt man auch diese Hilflosigkeit. Ich weiß nicht, ob das jemand von den Helfern liest, aber mir ist es einfach wichtig, Danke zu sagen. Das hilft mir auch bei meiner Aufarbeitung.
Kleine Auffrischung in Sachen Erste-Hilfe-Kurs
Viele Autofahrer können sich nicht mehr genau an den Erste-Hilfe-Kurs erinnern. Mit unserer Erklärung in Bildern erhalten Sie einen kurzen Überblick.