Kommentar

Die Unsicherheit bleibt


Bei einem Amoklauf in München sind am Freitag mehrere Menschen getötet worden.

Bei einem Amoklauf in München sind am Freitag mehrere Menschen getötet worden.

Von Dr. Gerald Schneider

Deutschland ist und bleibt verwundbar. Die schrecklichen Ereignisse vom Freitagabend in München machen dies überdeutlich. Und es zeigt: Gefahr droht beileibe nicht nur vom radikal-islamischen Terrorismus. Der Schütze von München, der neun Menschen tötete und schließlich sich selbst richtete, handelte als "normaler" Amokläufer, der offenbar schwere psychische Probleme hatte. Vor solchen Tätern gibt es keinen Schutz.

Die Tat zeigt zudem dreierlei: Zum Ersten sind die Sicherheitskräfte in der Lage, mit solchen Situationen umzugehen. Zunächst musste die Polizei bei einem unübersichtlichen Einsatzbild davon ausgehen, dass sich hier in der Landeshauptstadt noch Schlimmeres anbahnte - Paris hat Derartiges bereits erlebt. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Nahverkehr eingestellt, um möglichen weiteren Tätern die Fortbewegung zu erschweren. Insgesamt waren rund 2300 Kräfte zusammengezogen, darunter Sondereinsatzkommandos aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die Anti-Terroreinheit GSG 9 sowie das österreichische Pendant Cobra. Zudem war die Polizei in der Lage, die Bevölkerung vorbildlich über den Stand der Dinge zu informieren.

Zum Zweiten hat sich in München eine Welle der Solidarität gezeigt. Die Menschen sind zusammengerückt und haben auch Besuchern, die in der Stadt hängengeblieben sind und nicht mehr wegkamen, Unterschlupf gewährt.

Zum Dritten haben die sozialen Medien gezeigt, wozu sie in der Lage sind - im Positiven wie im Negativen. Informationen flossen, Menschen haben zueinandergefunden und Angehörige konnten beruhigter ins Bett gehen, weil sich ihre Angehörigen und Freunde, bei zeitweise kollabierten Mobilfunknetzen, auf Facebook und Co. als "in Sicherheit" meldeten. Doch dienten diese Medien auch dazu, Gerüchte zu streuen, die Polizei auf falsche Fährten zu locken und Hassbotschaften gegen alles und jeden, den man ohne genaues Wissen für die Tat verantwortlich machte, in die Welt zu posaunen.

Was ist jetzt zu tun? Gerne sind gerade Politiker versucht, bei schlimmen Ereignissen nach härteren Gesetzen zu rufen. Das ist in diesem Fall (zumindest bisher) weitgehend ausgeblieben. Natürlich muss man Gesetzeslücken schließen, wenn sich solche auftun. Nur mit welchem Gesetz lässt sich wohl ein psychisch kranker Amokläufer von seiner Tat abhalten? Seine Pistole, mit der er fast 60 Schüsse abgefeuert haben soll, hatte er sich offenbar im "Darknet" organisiert - also einem Teil des Internets, das sich dem allgemeinen Zugriff entzieht und auf dem sich unter anderem Waffen-, Menschen- und Drogenhändler tummeln, ebenso wie Kinderschänder und viele andere Spinner. Legal war der Weg, den die vom Sammlerstück zur scharfen Waffe zurückgebaute Pistole genommen hat, schon nach heutigem Stand nicht. Wenn es allerdings Maßnahmen bedürfen sollte, auch gesetzgeberisch mehr Licht auf das diffuse "Dark Net" zu werfen, bitteschön - darüber kann man reden.

Auffällig ist: So wie zahlreiche Amokläufer vor ihm, hat wohl auch der Münchner Täter ausgiebig die einschlägigen Ballerspiele gezockt. Es wäre sicher zu einfach nur "Counter Strike" oder "Call of Duty" für das Ausrasten verantwortlich zu machen. Doch scheinen solche Spiele bei gewissen Personengruppen besonders zu wirken - die Aggression nimmt zu, die Hemmungen schwinden und die Bereitschaft, nicht nur in der virtuellen Welt zur Waffe zu greifen, steigt. Womöglich kann also auch hier der Gesetzgeber gefordert sein. Am Freitagabend sollen auch Einheiten der Feldjäger für den Fall der Fälle bereitgestanden sein. Die Münchner Vorfälle zeigen einmal mehr: Das doch recht verkrampfte Verhältnis gegenüber Einsätzen des Militärs im Inland sollte dringend überdacht werden. Polizeiarbeit soll ohne Wenn und Aber Aufgabe der Polizei bleiben. Aber zumindest Überwachungs-, Sicherungs- und Absperrmaßnahmen können auch Soldaten übernehmen.

Auch wenn noch effektivere Sicherheitskräfte immer wünschenswert sind - Risiken bleiben. Weder gegen terroristische Angriffe mit primitiven Mitteln wie in Nizza noch gegen Amokläufe kann sich ein freiheitlicher demokratischer Staat schützen. Und so wird auch jetzt die Unsicherheit bleiben.