Kommentar
Viel Angriffsfläche für Parteifreunde
27. Oktober 2015, 19:44 Uhr aktualisiert am 27. Oktober 2015, 19:44 Uhr
Die "Abschussliste" von Angela Merkel in der CDU ist lang. Die Bundeskanzlerin schreckte in der Vergangenheit nicht davor zurück, auch zuvor hoch gehandelte Politiker wie Christian Wulff, Roland Koch, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen aufs Abstellgleis zu schicken. Ihre Kaltblütigkeit kommt Merkel jetzt in der Flüchtlingskrise zugute: Auch in der Unionsfraktion steht sie mit ihrem Kurs, prinzipiell die Schleusen für die Flüchtlinge zu öffnen, zwar stark unter Druck. Doch von einem Widersacher, der ihr die Kanzlerschaft ernsthaft streitig machen möchte, ist bislang nichts zu sehen.
Dabei bietet Merkel mit ihrer Politik der offenen Arme für viele Unionsabgeordnete so viel Angriffsfläche wie niemals zuvor. In den Umfragen geht es steil bergab, die Parlamentarier müssen sich in den Wahlkreisen heftige Kritik gefallen lassen. Die Rufe nach härteren Maßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms werden gerade an der Parteibasis immer lauter. Zwar rüttelt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer mit seinen ständigen Drohgebärden an der bisherigen Flüchtlingspolitik von Merkel, ob er aber tatsächlich zum Sturzversuch auf die Kanzlerin ausholen würde, ist mehr als fraglich. Noch vor Wochen hat er sich für eine weitere Amtszeit Merkels über 2017 hinaus ausgesprochen. Der CSU-Chef dürfte wissen, dass die Union bei einem Abgang der Kanzlerin nachhaltig geschwächt werden würde. Zumal es derzeit kaum einen Kandidaten gibt, der an das Format der CDU-Vorsitzenden heranreicht.
Thomas de Maizière und Ursula von der Leyen - die beiden, die wohl sonst am ehesten für die Nachfolge von Angela Merkel infrage kämen, sind momentan selbst erheblich angezählt. Der Bundesinnenminister wirkt fahrig und im Managen der Flüchtlingskrise gar überfordert. Die Verteidigungsministerin hat mit ihrer Plagiatsaffäre schwer zu kämpfen, gleichzeitig stützt sie den Kurs der Kanzlerin gegen Kritik. Eine Revolte geht sicher anders.
Wenn der Flüchtlingszustrom weiter so stark anhält, wird das Murren in der Union aber noch zunehmen. Wolfgang Schäuble warnt bereits vor einer "Zerreißprobe" in der CDU, die Stimmung an der Basis sei "dramatisch schlecht". Sollte es zum Äußersten kommen - dem Sturz der Kanzlerin -, müsse der Finanzminister übernehmen, finden schon jetzt einige Beobachter.
Was passiert dann mit Merkel? Im Hintergrund wird sie bereits als UN-Generalsekretärin ins Spiel gebracht. Ban Ki Moon muss nach zwei Amtszeiten Ende 2016 ausscheiden. Der Posten wäre interessant, aber auch ein Abstellgleis.