Landau
"Nur Saufen und Straftaten" - Asylbewerber bekommt allerletzte Chance vor Gericht
10. November 2015, 17:21 Uhr aktualisiert am 10. November 2015, 17:21 Uhr
Zum Schluss wurde der Prozess emotional. Mit einem Mal übermannten den 39-jährigen Nigerianer auf der Anklagebank die Gefühle.
Nach knapp drei Stunden Verhandlung am Amtsgericht hatte sich Vorsitzender Richter Michael Piringer mit den Schöffen zur Beratung zurückgezogen. Indes begann der Angeklagte zu weinen, vergrub das Gesicht in den Händen und schniefte hörbar. Körperverletzung, Erschleichen von Leistungen, räuberische Erpressung. Gefängnis oder doch noch mal Bewährung?
Was am Dienstag für ihn auf dem Spiel stand, war dem Asylbewerber offensichtlich zu viel. Piringer registrierte zwar die Tränen, packte aber deswegen nicht die Samthandschuhe aus: "Wenn Sie nur zum Saufen und für Straftaten nach Deutschland gekommen sind - dann können wir gut auf Sie verzichten." Harte Worte.
Die Geschichte dahinter: Bei einem Streit in der Wallersdorfer Asylbewerberunterkunft am 29. Juli 2014 soll der 39-Jährige einen Mitbewohner mehrfach mit einem Pfannenstiel attackiert haben. Zudem stand der Verdacht im Raum, dass er einen weiteren Mitbewohner mit einem Messer angegriffen hätte. Am 21. August hat sich der Nigerianer dann laut Anklageschrift des Erschleichens von Leistungen und der räuberischen Erpressung schuldig gemacht: Bei einer Bahnfahrt hat er kein Ticket besessen und die Zugbegleiterin, die ihm die Strafgebühr abverlangte, bedroht und geschlagen. Vorgeführt wurde er übrigens von der Polizei, direkt aus der U-Haft in der JVA Landshut: Weil das Gericht befürchtet hatte, dass der Mann sich angesichts der drohenden Verhandlung absetzen könnte. Die Verhandlung kostete Nerven, das begann schon bei der Aufnahme der Personalien des Angeklagten, eigentlich einer reinen Formsache. Der 39-jährige Nigerianer, der seit 2013 in Deutschland auf Asyl wartet, behauptete steif und fest, die italienische Staatsbürgerschaft zu haben. Sein Dolmetscher hakte mehrfach nach. Piringer schüttelte ungläubig den Kopf: "Woher wollen Sie die denn haben? Nur weil Sie über Italien eingereist sind?" Das Rätsel ließ sich nicht endgültig klären. Ebenso wenig der genaue Tathergang beim Streit in der Asylbewerberunterkunft. Ursprünglich stand sogar die Vermutung im Raum, dass es sich um eine Messerstecherei gehandelt haben könnte. So bestätigten es die Polizisten im Zeugenstand, die als erste an den Tatort gerufen worden waren.
"Es tut mir leid"
Mehrheitlich wurde von den Zeugen vor Gericht aber die Version bestätigt, dass der Angeklagte mit einem Pfannengriff zugeschlagen habe. Nachdem er mit einem 35-jährigen Syrer in der Küche der Gemeinschaftsunterkunft in Streit geraten war, zertrümmerte der Angeklagte eine Pfanne, griff sich den Stiel und schlug dem Syrer damit auf den Rücken. Der spürte einen schneidenden Schmerz, wie er im Zeugenstand aussagte, während seine Füße nervös im Millisekundentakt auf und nieder wippten. Ein Geständnis war dem Nigerianer hinsichtlich der Prügelei nicht zu entlocken. Allerdings ließ er via Übersetzer ausrichten "Es tut mir leid", nachdem Verteidiger Rudibert Arm meinte, sein Mandant wolle etwas sagen. Bei dem Streit war er übrigens betrunken gewesen, er hatte laut Attest 2,2 Promille. Neben dem Geschädigten waren weitere Mitbewohner der Unterkunft sowie ein extern wohnender Bekannter des Geschädigten geladen, die den Streit gesehen und zum Teil eingegriffen hatten. Ob ein Messer im Spiel war, konnte letztlich keiner genau sagen. Auch der Pfannenstiel ist nie aufgefunden worden. Eindeutig und sehr theatralisch allerdings beteuerte ein 22-jähriger Iraker - vorgeführt in Handschellen, da aktuell im Knast lebend - die Unschuld des Angeklagten. Ursprünglich hat der Iraker einmal behauptet, der Angeklagte habe ihn mit einem Messer am Arm verletzt. Gegen ihn läuft ein separates Verfahren wegen falscher Verdächtigung. "Der Angeklagte ist unschuldig", räumte der 22-Jährige nun überraschenderweise vor Gericht lautstark ein. Seine flapsige Ausdrucksweise brachte ihm eine Rüge ein: Der "Typ" auf der Anklagebank, das sei ein Freund von ihm, konnte er sich nicht verkneifen, dem Gericht mitzuteilen. Wie zur Bestätigung klatschten sich die beiden ab, der Zeuge drückte dem Angeklagten einen Kuss auf die Hand und rief "I love you, Brother", bevor die Polizei ihn wieder abführte. "Benehmen Sie sich bitte wie ein Erwachsener", stöhnte Piringer nur.
"Ich hatte Angst, große Angst"
Weitaus weniger enthusiastisch trat dann die Geschädigte des zweiten Tatbestands auf. Während die korpulente Frau, eine 39-jährige Essenbacherin, regelrecht in den Saal schlich, warf sie dem Angeklagten einen winzigen Blick zu. "Ich hatte Angst, große Angst", beschreibt sie den Vorfall vom 21. August 2014 mit teilweise brüchiger Stimme. Zwischen den Haltestellen Moosburg und Freising habe die Zugbegleiterin im Donau-Isar-Express Richtung München ihre übliche Kontrolltour gemacht. Der Nigerianer, der wohlgemerkt im letzten von fünf Waggons ganz hinten saß, hatte kein Ticket. Er hielt der Kontrolleurin schließlich einen 50-Euro-Schein hin. Die tat, was ihre Vorschriften verlangen: "Ich musste zum normalen Fahrpreis - das wären 15,70 Euro gewesen - die 40 Euro Strafe verlangen. Ein reguläres Ticket dürfe ich im Zug nur dann verkaufen, wenn mich ein Fahrgast unverzüglich nach dem Einsteigen aufsucht." Weil sie gesehen habe, dass der Nigerianer ohnehin nur den Fünfziger bei sich hatte, sei sie gnädig gewesen: "Ich habe glatt 40 Euro gemacht. Das war eh schon ein Zugeständnis."
Der Nigerianer wurde daraufhin aggressiv, begann zu schimpfen. Als die Zugbegleiterin weitergehen wollte, schnitt er ihr den Weg ab und verlange vehement das Geld zurück. So viel konnte die Zugbegleiterin von der ausländischen Schimpftirade verstehen. Schließlich spürte sie sogar einen Schlag auf ihren Unterarm: "Mein Kartenkontrollgerät flog runter, so heftig war das", erinnert sie sich. "Ich hab es dann irgendwie geschafft, in den Personalwaggon zu flüchten. Und selbst da lief er mir nach und klopfte von außen gegen die Tür." Die Zugbegleiterin rief schließlich die Polizei, die den renitenten Fahrgast am Münchner Hauptbahnhof dann gleich in Empfang nahm. Ist das nun ein Erschleichen von Leistungen und eine räuberische Erpressung? Verteidiger Rudibert Arm sprach für seinen Mandanten: "Er hat doch mit dem 50 Euro-Schein signalisiert, dass er zahlen will. Ich bin auch schon mal Bahn gefahren ohne Karte - weil der Automat nicht ging. Und man sich oft schwer tut, den Zugbegleiter zu finden." Und Erpressung? "Nötigung trifft es wohl eher", befand Arm. "Zweifelsohne war das Nötigung", musste ihm Piringer eine gute halbe Stunde später bei der Urteilsverkündigung recht geben. "Aber hinzu kommt, dass er sich mit der Nötigung einen Geldvorteil verschaffen wollte - damit sind wir bei der räuberischen Erpressung." Der Tatbestand "Erschleichen von Leistungen" liege auf der Hand: "Warum sonst würde man sich in das hinterste Abteil setzen? Das ist auf gut Deutsch gesagt eine Unverschämtheit", wandte sich Piringer an den Nigerianer.
Urteil als letzte Bewährungschance
Und in Bezug auf dessen Einträge im Bundeszentralregister - vorsätzliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Trunkenheit im Verkehr - setzte er noch eins drauf: "Sie sind seit drei Jahren in Deutschland und Ihnen fällt nichts anderes ein als Saufen und Straftaten? Dann können wir gut auf Sie verzichten." Allerdings bekommt der Nigerianer eine Chance, sich zu bewähren: Genau wie Staatsanwalt Klaus Kurtz plädiert hatte, verhängte Piringer für die vorsätzliche Körperverletzung in der Unterkunft sowie die Geschichte im Zug eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten - ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Verteidiger Arm hätte nur eine Freiheitsstrafe von acht Monaten vorgeschlagen. Piringer hob abschließend den Haftbefehl auf und gab dem Verurteilten mit auf dem Weg in die Freiheit eine Analogie. "Sie stehen mit einem Fuß im Gefängnis. Kennen Sie Monopoly? Bei der nächsten Straftat führt der Weg nicht mehr über Los. Dann gehen Sie direkt ins Gefängnis. Und das ist in jedem Land gleich."