Landshut
Gewalt fängt nicht erst bei der Ohrfeige an
11. Juni 2012, 7:53 Uhr aktualisiert am 11. Juni 2012, 7:53 Uhr
"Meine Ehe war ein Kleinkrieg, bei dem mein Mann mir immer an allem die Schuld zuwies", sagt Anita Gareis (Name von der Redaktion geändert).
Ein reizender, fürsorglicher, charismatischer Typ sei ihr Mann am Anfang ihrer Beziehung gewesen. Der Wunsch, eine Familie zu haben, war es, der Anita veranlasste, ihren Mann schon innerhalb eines Jahres zu heiraten. Im Laufe zweier Jahre wurden zwei Kinder geboren. "Die ersten sieben Jahre lief es gut, wir waren mit den kleinen Kindern beschäftigt und hielten zusammen", erzählt Anita. Doch plötzlich wendete sich das Blatt. Anitas Mann verbrachte immer mehr Zeit mit seinen Freunden und lieh ihnen Geld, ohne es zurückzufordern. Als er eine Wohnung oder ein Haus kaufen wollte, lehnte Anita ab. Ihr war die finanzielle Belastung zu groß. Im Gegenzug warf er ihr vor, ihn zu blockieren. Sie könne nicht mit Geld umgehen, nicht putzen und hätte einen Schuhtick: All das gehörte zu den ständige Vorwürfen. Auch Drohungen wie "Dann nehme ich dir die Kinder weg" kamen vor. Alle Versuche, mit ihm zu reden, scheiterten. "Entweder zog er alles ins Lächerliche, verließ die Wohnung, ließ mich links liegen oder warf wutentbrannt etwas zu Boden." Zuerst hätten sie und die Kinder die Scherben noch aufgehoben; dann habe sie zu den Kindern gesagt, die müsse der Papa wegräumen. "Ich wollte einfach nicht länger über sein Verhalten hinwegsehen."
Zur häuslichen Gewalt gehören laut Polizei alle Fälle von psychischer und physischer Gewalt zwischen Ehe- und Lebenspartnern und Kindern. "Psychische Gewalt ist auch, wenn der Mann immer die Schuld bei seiner Frau sucht", sagt Polizeisprecher Stefan Scheibenzuber. Auch den Partner oder die Kinder im Freundes- und Bekanntenkreis schlecht zu machen oder ins Lächerliche zu ziehen, fällt unter psychische Gewalt.
Auch Anita wurde vor ihren Kindern schlechtgemacht. "Wenn ich einmal einen Termin vergaß, sagte mein Mann ,Typisch Mama'." Als Anitas Mutter ihn zur Rede stellte, sagte er: "Du kennst ja deine Tochter, die übertreibt mal wieder."
Nicht nur Verwandte, auch die Nachbarschaft zog er auf seine Seite. "Er flirtete mit den Frauen und schimpfte über mich." Die Frauen lachten Anita aus, und gaben ihr zu verstehen, dass sie selbst schuld sei, wenn ihr Mann so herumschrie. "Ich kam mir vor wie die Hauptdarstellerin einer Soap, an deren Unglück sich alle anderen weiden." Anita verteidigte sich nicht mehr, sie reagierte - wie viele Frauen, die seelische Gewalt efahren - mit Scham- und Schuldgefühlen.
"Seelische Gewalt wird von den Frauen oft viel demütigender empfunden als eine Ohrfeige", sagt Angelika Hirsch, Leiterin des Awo-Frauenhauses. Die Gesellschaft habe eine Verpflichtung hinzuschauen und auch einzugreifen, wenn Frauen seelisch oder körperlich Gewalt angetan werde. "Die Frauen brauchen Rückendeckung von außen, jemand, der ihnen sagt, dass sie das Recht haben, sich zur Wehr zu setzen." Bei Anita war es eine Freundin, die ihr zuhörte, sie zur Trennung ermutigte und sie und die Kinder vorübergehend bei sich aufnahm.
Zwei Versuche, sich von ihrem Mann zu trennen, scheiterten. Nach ihrem Auszug passte ihr Mann sie vor ihrer Arbeitsstelle ab und bedrängte sie, es noch einmal miteinander zu versuchen. "Ich hatte das Gefühl, die Familie kaputt zu machen." Der dritte Trennungsversuch gelang. Nachdem ihr Mann die Tochter geschlagen hatte, rief sie die Polizei, und schaffte es per Gerichtsbeschluss, ihren Mann aus der Wohnung zu verweisen. Dieses Jahr wurde sie geschieden.
Wegen der ständigen Schuldzuweisungen habe sie an einer Depression gelitten, die sie mit Hilfe einer Therapie bewältigt habe. Gefestigt sei sie, dennoch tauchen die Schatten aus der Vergangenheit immer wieder auf. "Etwas Neues anzufangen, fällt mir schwer, weil ich dann immer seine Worte höre: ,Das schaffst du doch sowieso nicht'." Es sei nicht leicht, die Selbstzweifel und das Gefühl, mies und wertlos zu sein, loszuwerden, zumal diese auch bei ganz alltäglichen Vorhaben im Haushalt auftauchen.
Erst nach der Trennung ist ihr bewusst geworden, wieviel ihre Kinder von dem abwertenden Wortschatz ihres Mannes übernommen haben. Um die unheilvolle Zeit ihrer Ehe aufzuarbeiten und wieder mehr Lebensfreude zu gewinnen, will Anita eine Selbsthilfegruppe für Opfer häuslicher psychischer und physischer Gewalt gründen. Wichtig ist ihr, anderen Menschen, die subtilen Formen psychischer Gewalt erkennbar zu machen. "Denn Gewalt fängt nicht erst beim Schlagen an."
Interessierte können sich an die Selbsthilfe-Kontaktstelle Landshut der Diakonie, Telefon 0871/ 609114, E-Mail kthomanek@diakonie-landshut.de wenden.
Von Alexandra Beck