Regensburg
SSV Jahn: Zeit, Geschichte zu schreiben
1. März 2018, 11:00 Uhr aktualisiert am 1. März 2018, 11:00 Uhr
Jahn Regensburg hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren einen beachtlichen Weg hingelegt. Der Grundstein dafür wurde bereits rund um den Abstieg 2015 gelegt. Nun soll Historisches gelingen.
Als Andreas Geipl vor rund dreieinhalb Jahren von der zweiten Mannschaft des TSV 1860 München nach Regensburg gewechselt ist, war noch einiges anders beim damaligen Drittligisten SSV Jahn. Gespielt wurde im altehrwürdigen Jahnstadion an der Prüfeninger Straße und am Trainingsplatz war man von Profibedingungen so weit entfernt wie es Geipls Ex-Verein 1860 inzwischen von der Champions League ist. "Als ich von Sechzig gekommen bin, war ich schon etwas anderes gewohnt", blickt Geipl heute zurück. Aber ihm hat's trotzdem richtig gut gefallen. "Die Atmosphäre im Verein hat mir gefallen, die Leute waren mir von Anfang an sympathisch - das hat alles gepasst."
Doch sportlich lief's nicht, der Jahn stieg in die Regionalliga ab, die Stimmung unter den Fans brodelte. Auch für Geipl persönlich eine schwierige Zeit, denn er zog sich in der Saison einen Kreuzbandriss zu. Wenngleich sie beim Jahn natürlich liebend gerne auf diesen Abstieg und das Jahr in der Regionalliga Bayern verzichtet hätten - am Ende hatte es auch etwas Gutes. "Manchmal muss man einen Schritt zurück machen, um dann zwei nach vorne machen zu können", sagt Geipl. Und der Jahn hat sportlich in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren mehr als nur zwei Schritte nach vorne gemacht. Unter Ex-Trainer Heiko Herrlich in die 2. Bundesliga durchmarschiert, steht der Oberpfälzer Verein aktuell auf Rang fünf in der Tabelle.
Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hat ein Mann, den viele Fans in der Abstiegssaison gerne vom Hof gejagt hätten: Geschäftsführer Christian Keller. Beim Jahn hat man sich aber nicht verrückt machen lassen und hat die Entwicklung in die richtige Richtung schon damals erkannt. Heute lässt sich rückblickend sagen: der Grundstein für die jetzige Situation wurde bereits vor dem Abstieg gelegt. "Wir haben damals im Kern nicht anders gearbeitet als heute", vergleicht Keller.
Wirtschaftlich konsolidieren, sportlich entwickeln
Kellers Devise bei seinem Amtsantritt vor fast fünf Jahren war: erst muss sich der Club wirtschaftlich konsolidieren, bevor er sportlich nach Höherem strebt. Die konzeptionellen, personellen und strukturellen Voraussetzungen habe man bereits in den beiden Jahren vor dem Abstieg geschaffen. Auf dieser Grundlage war die folgliche sportliche Entwicklung möglich. Dies eröffnet nun wirtschaftlich wiederum andere Möglichkeiten. So hat sich der Jahn zum Beispiel vor dieser Saison ein GPS--Tracking-System für 30.000 Euro angeschafft, um die Laufleistung im Training der Profis detailliert messen und die Trainingssteuerung daran anpassen zu können. Ein Baustein auf dem Weg zu einem erfreulichen Ergebnis: der Jahn hat in dieser Saison kaum Verletzungen, die auf Überbelastung zurückzuführen sind. "Die Idee hätten wir vor zwei Jahren auch schon gehabt, aber damals hat schlicht und ergreifend das Geld dafür gefehlt", sagt Keller.
Der Jahn liegt aktuell nur einen Zähler hinter dem Aufstiegsrelegationsplatz drei. Träumen erlaubt? "Die Fans dürfen alles", sagt Christian Keller, ist aber auch überzeugt, dass der harte Fankern sehr wohl einzuschätzen weiß, wo der Jahn herkommt und die richtigen Erwartungen mitbringt. Nur intern dürfe keiner zu träumen beginnen. "Wir haben den klaren Auftrag, ganz rational zu bleiben und uns nicht von Emotionen leiten zu lassen. Wir haben aktuell 36 Punkte und das würde uns am Ende nicht reichen." Obgleich natürlich auch Keller aufgrund der aktuellen Ausgangslage sehr optimistisch ist, dass in den verbleibenden zehn Spielen auch die noch nötigen Punkte eingefahren werden. "Das Ziel bleibt der Klassenerhalt", betont Keller. "Aber klar ist auch: Wenn wir das schnell schaffen sollten, dann wollen wir aus den restlichen Spielen so viele Punkte wie möglich holen - aber immer mit dem Blick von Spiel zu Spiel, denn das zeichnet uns aus."
Regensburg hat in dieser Saison eine Mannschaft auf dem Platz, "für die man sich einfach nur begeistern kann", wie Präsident Hans Rothammer vor kurzem gesagt hat. "Wir sind als Mannschaft gewachsen, halten zusammen und treten immer als Team auf", sagt Mittelfeldspieler Geipl. Der Teamgeist, der den Jahn zu den letzten Erfolgen geführt hat, entstand gerade aus dem Abstieg. Vier Spieler, die mit dem Jahn 2015 aus der 3. Liga abgestiegen sind, standen am vergangenen Spieltag alleine in der Startelf des Jahn, weitere sind mit dem Verein durch das schwere Jahr in der Regionalliga gegangen. "Das war schon ein Knackpunkt, dass es nun so läuft", sagt Geipl. Der Kern sei zusammengeblieben und zusammengewachsen. Christian Keller ist überzeugt: "Die Aspekte Mannschaftsgefüge und Zusammengehörigkeit wurden schon im zweiten Halbjahr der Abstiegssaison geboren. Viele Spieler haben damals gelernt, was es bedeutet, durch Dick und Dünn zu gehen." Der Kern der Mannschaft blieb beim Jahn und wollte den Abstieg gemeinsam wiedergutmachen.
Zuschauer: ein bisserl mehr dürfte es sein
Nur zweieinhalb Jahre später steht der Jahn glänzend da. Die ganz große Euphorie ist mit Blick auf die Zuschauerzahlen (Im Schnitt 10.335) aber noch nicht ausgebrochen. Dennoch ist es der beste Zuschauerschnitt des Jahn seit Jahrzehnten und der zweitbeste in der Geschichte. "Rational betrachtet sind wir mit der Entwicklung zufrieden", sagt Keller. Aber von der emotionalen Seite her würde er sich bei den aktuellen Leistungen schon auch mehr Zuschauer wünschen. Man habe einmal erhoben, dass es im Einzugsbereich Ostbayern rund 1,2 Millionen fußballbegeisterte Menschen gibt. "Vor diesem Hintergrund sollte es mit dem attraktiven Fußball, den die Mannschaft spielt, möglich sein, dass man mittel- und langfristig alle zwei Wochen auch 15.000 Menschen ins Stadion bewegt", so Keller.
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Dass dem aktuell nicht so ist, zeigt, dass der Jahn auf seinem Weg zum "Botschafter der Region Ostbayern", der er gerne sein will, noch nicht am Ziel ist. "Die Marke ist noch nicht wieder so stark", sagt Keller. Das Image des Chaosclubs ist noch in vielen Hinterköpfen verankert. Was dagegen hilft: weiter gut arbeiten. "Wenn wir fünf Jahre beharrlich und gut weiterarbeiten, dann kann ich mir vorstellen, dass wir unserer Vision nochmal einen maßgeblichen Schritt näher kommen werden. Wir wollen in all unseren Handlungen für unsere Markenwerte Ambition, Bodenständigkeit und Glaubwürdigkeit stehen. Dann werden die Menschen auch wieder dauerhaft und unabhängig von kurzfristigem Erfolg oder Misserfolg stolz auf ihren Jahn sein", sagt Keller.
Wenn der Jahn heuer in der Liga bleibt, dann hat er Historisches geschafft und erstmals in seiner Geschichte die zweite Liga sportlich gehalten. "Das wäre für uns brutal wichtig", sagt Keller, denn dann würde der Jahn weiter an den deutlich höheren Fernsehgeldern partizipieren. Klar ist aber auch: "Wenn wir drinbleiben würden, dann würden wir auch in den nächsten drei, vier Jahren zu den Abstiegskandidaten zählen, was die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angeht."
Planungen laufen: den Kern erhalten
Die Planungen für die Zukunft laufen auf Hochtouren. 17 Spieler haben bereits Vertrag für die kommende Saison, nur vier Verträge laufen aus. Zudem ist die Zukunft der fünf Leihspieler noch nicht geklärt. "Am liebsten", sagt Christian Keller, "würde ich alle fünf halten. Sie haben sich gut eingefügt und entwickelt." Allerdings liegt die Entscheidung hier nicht beim Jahn, sondern bei den verleihenden Vereinen und den Spielern. Also muss der Jahn hier noch Geduld haben und abwarten. Die Intension Kellers ist es, den Kern der Mannschaft zu halten - "weil es ein guter Kern ist und weil er gezeigt hat, dass er sich weiterentwickeln kann." Veränderung sei zwar nie schlecht. "Aber da die Mannschaft intakt ist, wollen wir die Veränderung auf ein Mindestmaß beschränken", so Keller.
Auch auf der Position des Trainers ist Beständigkeit das Ziel. Achim Beierlorzer hat vor dieser Saison ohnehin gleich für zwei Jahre in Regensburg unterschrieben. Nachdem im Sommer der zweimalige Aufstiegstrainer Heiko Herrlich in Richtung Leverkusen abgewandert ist, hat der Jahn mit Beierlorzer den nächsten "Glücksgriff" gemacht, wie Andi Geipl meint. "Er arbeitet mit uns sehr akribisch und detailliert, auch mit jedem Spieler an seinen individuellen Schwächen. Was ihn vor allem ausmacht, sind seine Persönlichkeit und sein Auftreten. Er ist menschlich und sportlich einfach ein Top-Trainer", singt Geipl fast schon eine Lobeshymne auf seinen Coach.
Christian Keller ist ebenfalls hochzufrieden mit der Arbeit Beierlorzers und des gesamten Trainerteams. Beierlorzer bringe genau das, was man sich vor der Saison erwartet habe. "Er passt mit seiner Persönlichkeit zu den Werten unseren Clubs: ambitioniert, bodenständig und glaubwürdig. Er verfolgt unsere Spielidee und hat diese in der Umsetzung sogar noch weiterentwickelt. Und er kann die Spieler weiterentwickeln, jeder unserer Spieler hat noch einmal einen Sprung gemacht", erklärt Keller.
Ob der Geschäftsführer stolz darauf ist, wie der Jahn heute dasteht, das will er so genau gar nicht beantworten. Er weiß, dass für die aktuelle Situation auch ein Stück weit Glück in den entscheidenden Momenten - vor allem in den Relegationsspielen - nötig war. "Derzeit mag uns das Momentum, da gab es auch andere Zeiten." Natürlich freue ihn aber die aktuelle Situation. "Stolz", sagt Keller, "bin ich aber vor allem darauf, dass wir in der harten Abstiegssaison intern zusammengehalten haben, loyal zueinander waren und unseren Weg, von dem wir überzeugt waren und sind, weitergegangen sind." Ein Weg, der den Jahn in eine tolle Situation gebracht hat und ihn in eine positive Zukunft blicken lässt.