Spiele mit abenteuerlichen Szenarien

Vor dem Flüchtlingsgipfel: Die Gerüchteküche brodelt


Koalitionäre im Krisenmodus: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Koalitionäre im Krisenmodus: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Von Manfred Fischer / Onlineredaktion

Am Wochenende treffen sich die Spitzen der Koalition zum Flüchtlingsgipfel. Dessen Ausgang scheint offen - so offen, dass über abenteuerliche Szenarien spekuliert wird.

Während sich jeden Tag Tausende von Flüchtlingen an der bayerisch-österreichischen Grenze drängen, brodelt in München die Gerüchteküche. Kracht die große Koalition, wiederholt sich der Kreuther Trennungsbeschluss von 1976, scheitert mit der Kanzlerin gar ganz Europa? Es gibt noch einen ganz anderen Verdacht: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ziehen eine raffinierte "Guter Cop, böser Cop"-Show durch, um Flüchtlinge zu entmutigen und letztlich doch zu einer Grenzschließung zu kommen.

So jedenfalls wird vereinzelt in Brüssel und im Ausland spekuliert. "Es besteht die Angst, dass Deutschland seine Grenzen schließen könnte", sagt der slowenische Ministerpräsident Milo Cerar. Das würde einen "Dominoeffekt" mit katastrophalen Folgen ergeben: einen Flüchtlingsrückstau über Österreich und den Balkan bis nach Griechenland. Horst Seehofer und seine CSU lassen jedenfalls keine Gelegenheit aus, um vor dem Koalitionsgipfel am Wochenende den Druck zu erhöhen - vor allem auf die Kanzlerin. Zur CSU-Drohkulisse kann es gelegentlich auch gehören, über einen Koalitionsbruch munkeln zu lassen. Wenn man nachfragt, etwa bei der Berliner CSU-Landesgruppenvorsitzenden Gerda Hasselfeldt, wird das ins Reich der Märchen und Sagen verwiesen. "Niemand", sagt Hasselfeldt, erwäge dergleichen. "Die Frage stellt sich nicht", sagt Manfred Weber (CSU), EVP-Fraktionschef im Europaparlament. Von der CSU kämen weniger Drohgebärden als vielmehr Hilfeschreie.

Oberreuter: Rückzug der Minister wäre Eigentor

Der Rückzug der drei CSU-Minister aus der Bundesregierung, über den seit Mittwoch spekuliert wird, wäre für die CSU ein kapitales Eigentor, meint der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. So ein Schritt würde "mittel- und langfristig sehr auf Kosten der CSU gehen" und wäre geradezu "kindisch". Aus einem solchen "Irrweg" würde die CSU "sehr schwer wieder rauskommen, auch nicht nach der nächsten Bundestagswahl". Was insbesondere CSU-Vertreter aus der zweiten oder dritten Reihe nicht davon abhält, laut über diese Kamikaze-Option nachzudenken. Aber auch Parteichef Seehofer tut bislang nichts, um dem "abenteuerlichen Szenario" (Oberreuter) ein Ende zu bereiten. Stattdessen orakelt er in einer Weise, die alles möglich erscheinen lässt: "Wir sind auf alles vorbereitet, juristisch, politisch, prüfen dieses, jenes." Thomas Kreuzer, Fraktionschef im Landtag, will auch über das Verhältnis von CDU und CSU nachdenken, wenn sich in Berlin nichts bewegen sollte. In jedem Fall "muss sich schnell etwas ändern", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, Josef Zellmeier unserer Zeitung. Daher rechnet er am Montag mit "sichtbaren Konsequenzen" falls das Treffen am Wochenende keine greifbaren Ergebnisse liefere.

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Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) sieht das Bündnis mit CDU und SPD in einer "echten Koalitionskrise" und erwähnt das Jahr 1976, als die CSU unter Franz Josef Strauß die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigte - was nie umgesetzt wurde. In der CSU-Führung habe das aber so niemand gefordert, fügt er hinzu. Es handele sich um "Hirngespinste, die manche in München zelebrieren können", meint der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Max Straubinger. Jede Spekulation um eine "Koalitionskrise" sei "Käse", bescheidet Straubinger dem bayerischen Finanzminister, ohne diesen zu nennen. Allerdings sei die "Ungeduld in der CSU groß", Lösungen für die Flüchtlingskrise zu finden.

Transitzonen mit Folgen für Nachbarländer

Konkreter ist die Drohung mit einer Klage gegen die Bundesregierung zum Bundesverfassungsgericht. Abgesehen von der Merkwürdigkeit, dass die CSU dann gegen ihre drei Bundesminister vor dem Kadi ziehen würde, stellt sich die Frage, ob ein solcher Schritt praktische Folgen haben würde. Manchmal geht es auch sehr schnell bei den Karlsruher Verfassungshütern, gibt Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) zu bedenken: In dem Verfahren, das Bayern 1973 gegen den Grundlagenvertrag mit der DDR angestrengt habe, habe Karlsruhe in nur zwei Monaten entschieden. Was die CSU erreichen möchte, hat ihr Innenminister in Bayern, Joachim Herrmann, schon vor zwei Wochen klar beschrieben. An der bayerischen Grenze sollen die Flüchtlinge in "Transitzonen" aufgenommen werden, aus denen ohne gültige Papiere zwar eine Rückreise, nicht aber eine Einreise nach Deutschland möglich ist. Unter strikter Anwendung des Dubliner Übereinkommens könnten dann alle Schutzsuchenden, die aus einem sicheren Drittstaat kommen, aus diesen "Gewahrsamseinrichtungen" zurückgeschickt werden. Zuständig dafür wäre die Bundespolizei und damit der Bund.

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Da nahezu alle Flüchtlinge derzeit aus dem sicheren Drittland Österreich kommen, würde die Zahl der legal nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge praktisch auf Null sinken und die Nachbarn hätten das Problem. Man müsse dieses Verfahren nur "ein paar Wochen oder Monate durchhalten", dann werde sich ein "Roll-back-Effekt" einstellen, zeigt sich Herrmann überzeugt. Denn das "Grundproblem" bestehe darin, dass auf den Fluchtrouten "nur noch auf Durchzug geschaltet" werde. In Wien, Ljubljana und Zagreb befürchtet man, dass sich Herrmann damit durchsetzen könnte.