Tel Aviv

Menschenrechtler in Israel stehen am Pranger


Avihai Stollar von der Nichtregierungsorganisation "Breaking the Silence" steht am 23.12.2015 im Büro der Gruppe in Tel Aviv (Israel). Der ehemalige Soldat wirft der Regierung vor, kritische Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen statt auf die Kritik einzugehen. "Breaking the Silence" fordert ein Ende der israelischen Besatzung im Westjordanland.

Avihai Stollar von der Nichtregierungsorganisation "Breaking the Silence" steht am 23.12.2015 im Büro der Gruppe in Tel Aviv (Israel). Der ehemalige Soldat wirft der Regierung vor, kritische Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen statt auf die Kritik einzugehen. "Breaking the Silence" fordert ein Ende der israelischen Besatzung im Westjordanland.

Von Katharina Binder

Seit Jahren rückt Israel politisch nach rechts. Menschenrechtsorganisationen geraten vonseiten der Politik, aber auch durch Extremisten unter Druck. Nach Hassbotschaften fürchten linke Aktivisten nun um ihre Sicherheit.

Das Video ist nur 69 Sekunden lang. Aber sein Inhalt hat in Israel nach zahlreichen tödlichen Angriffen durch Palästinenser für Aufruhr gesorgt: Ein Mann geht mit einem Messer in der Hand scheinbar auf den Zuschauer los. Bevor er zusticht, erscheinen Fotos von vier israelischen Menschenrechtlern. Sie werden als ausländische Agenten bezeichnet, die Israel bekämpfen und die Attentäter schützen.

Der Clip der rechtsextremen israelischen Gruppierung Im Tirzu erschien im Dezember, inmitten einer Debatte um den Umgang des Staates mit linken Gruppierungen. Der deutsch-israelische Historiker Moshe Zimmermann sieht die Entwicklung mit Sorge. "Heute gilt alles, was gegen die Stimme der Regierung ist, was kritisch ist gegenüber Rassismus und Nationalismus in der jüdischen Bevölkerung, als Zeichen des Verrates", sagt er. Deswegen erscheine es vielen als gestattet, diese Stimme zum Schweigen zu bringen.

Zimmermann verurteilt nicht nur das Video, sondern auch den Umgang der Regierung mit kritischen Organisationen. Aktuell steht in der Knesset eine Abstimmung über das sogenannte "Transparenz"-Gesetz an. Nach dem Wunsch von Justizministerin Ajelet Schaked von der rechtsnationalen Siedlerpartei sollen Organisationen, die ihr Geld vor allem von ausländischen Regierungen erhalten, dies künftig stets sichtbar ausweisen. Die Gruppierungen müssten beispielsweise in der Knesset eine entsprechende Plakette tragen. Ein Ministerausschuss hat dem Gesetz bereits zugestimmt.

Israels einflussreichste Bürgerrechtsorganisation ACRI kritisiert die geplante Regelung als "harten Schlag gegen die Demokratie, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Menschenrechte", wie sie auf ihrer Internetseite schreibt. "Das ist für uns kein "Transparenz"-Gesetz, sondern ein Markierungsgesetz", sagt ein Sprecher. Es gehe darum, die Organisationen als Außenseiter zu brandmarken.

Schaked hält das Gesetz für notwendig, um den ausländischen Einfluss auf die israelische Politik zu unterbinden. Dies schrieb sie im Dezember in einem Brief an die Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe im Bundestag. Die Abgeordneten hatten Schaked und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufgefordert, das Gesetz nicht zu verabschieden.

Der Vorsitzende der Parlamentariergruppe, Volker Beck (Grüne), sagt mit Blick auf eine ähnliche Regelung in Russland, das israelische Gesetz atme "Putin'schen Geist". Seit Mai können russische Behörden Nichtregierungsorganisationen ohne Vorwarnung die Arbeit im Land verbieten.

Mitte Dezember verbaten der israelische Erziehungs- und der Verteidigungsminister der Organisation Breaking the silence (Das Schweigen brechen) die Zusammenarbeit mit Schulen und dem Militär. Mitglieder der Gruppierung - viele davon Soldaten und Reservisten - berichten regelmäßig von ihren Erlebnissen in den besetzten Palästinensergebieten, häufig sehr kritisch. Im Tirzu zeigte in seinem Video auch ein Mitglied von Breaking the Silence. Erziehungsminister Naftali Bennett von der Siedlerpartei warf ihnen "Lügen und Hetze" gegen Israel vor.

"Sie delegitimieren lieber unsere Stimme, als dass sie unsere Kritik beantworten", sagt Avihai Stollar, Rechercheur bei Breaking the silence. "Das ist der einfachste Weg." Breaking the silence fordert ein Ende der jahrzehntelangen Besatzung der Palästinensergebiete.

Das Video von Im Tirzu hat zudem eine Welle von Drohungen im Internet und per Telefon ausgelöst, erzählt Stollar. Täglich bekämen sie mehr als 100 Nachrichten mit der Botschaft: Ihr solltet erschossen und verbrannt werden. Mittlerweile sitzt ein Wachmann vor dem Büro.

Israel ist nicht erst bei der vergangenen Wahl im März politisch nach rechts gerückt. Seit mehr als fünf Jahren sprächen rechtsnationale Kräfte in der Regierung Kritikern die Daseinsberechtigung ab, sagt Ronit Heyd von der Menschenrechtsorganisation The Israel Fund. "Es ist eine deutlich schwierigere Arbeitsumgebung geworden." Das "Transparenz"-Gesetz etwa ziele explizit auf regierungskritische Organisationen ab. Privates Geld, das beispielsweise rechte Gruppierungen erhielten, müsse nicht ausgewiesen werden.

In den vergangenen Jahren hat die israelische Regierung bereits mehrere Gesetze erlassen, die vor allem linke Gruppen betreffen. So müssen Verbände heute schon auf ihrer Internetseite alle drei Monate ihre Geldspenden von ausländischen Regierungen auflisten.

Zimmermann, der früher Professor an der Universität in Jerusalem war, geht davon aus, dass die Situation für regierungskritische Gruppierungen schwieriger werden wird. "Meine Befürchtung ist, dass die Demokratie nicht den Weg findet, wieder eine Gegenströmung zu der jetzt vorherrschenden des radikalen Nationalismus zu erzeugen", sagt der 72-Jährige. "Das bedeutet eine erodierte Demokratie."