Bayern

Abitur-Niveau im Sinkflug? Das sagt der Philologenverband


Braucht es strengere Abi-Prüfungen? Zumindest für Bayern würde Benedikt Karl, Pressereferent des Bayerischen Philologenverbands, widersprechen.

Braucht es strengere Abi-Prüfungen? Zumindest für Bayern würde Benedikt Karl, Pressereferent des Bayerischen Philologenverbands, widersprechen.

Von Stefan Karl

Kein Zweifel: Abiturienten gibt es bundesweit mehr als noch vor 20 Jahren. Und sie haben immer bessere Zeugnisse. Was aber sagen diese Zahlen wirklich aus?

Haben Schulen und Ministerien ihre Anforderungen stetig abgesenkt, um das politisch geforderte Mehr an Abiturienten zu erreichen? Susanne Lin-Klitzing, die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Philologenverbands, hat am Montag eine strengere Bewertung der Abiturienten gefordert. Wie denkt der Bayerische Philologenverband darüber? Das haben wir bei Pressereferent Benedikt Karl angefragt.

Herr Karl, auch in Bayern beobachten Lehrer, Eltern und Schüler, dass bei den Abi-Prüfungen immer mehr Einser-Schnitte rauskommen. Heißt das, dass die Abi-Aufgaben leichter sind, als noch vor Jahren?

Benedikt Karl: Mit der Einführung des G8 hatten wir eine Verschiebung hin zum Mündlichen. Mündliche und schriftliche Leistungen zählen seitdem in der Oberstufe 50-50; und die Abiturnote des Schülers setzt sich zu zwei Dritteln aus den Leistungen der Vorjahre zusammen. Insofern haben sich die Ergebnisse von den Ziffern her nach oben verschoben, was aber am Niveau erst mal nichts ändert.

… also Referate, Ausfragen, Extemporalien zählen jetzt mehr?

Benedikt Karl: Ja, auch Mitarbeitsnoten und Präsentationen. Seit G8 haben wir eine Gewichtung zugunsten der mündlichen Beiträge und die sind tendenziell ein bisschen besser. Das war aber auch so gewollt.

Ist es so gesehen gerechter geworden, weil auch Eigenschaften wie Esprit, Ausdrucksstärke und Kreativität mehr Gewichtung erhalten?

Karl: Sicher kommt es dem ein- oder anderen Schüler mehr entgegen. Trotzdem kommt niemand um die schriftlichen Prüfungen herum.

Viele Eltern haben den Eindruck, es gäbe kein Mittelfeld mehr. Viele Einser-Zeugnisse, dann lange nichts und dann nur noch die "gerade-so"-Bestandenen. Entspricht das den Tatsachen?

Diese Vermutung muss man zurückweisen. Wenn Sie sich die Ergebnisse im Detail anschauen, dann merken Sie, dass sie immer noch einer Gauß-Kurve entsprechen [an der Gauß'schen Normalverteilung orientiert sich das Ideal für Prüfungsergebnisse - sie legt fest, dass wenige Prüflinge an den beiden Enden der Notenskala liegen sollten, die Mehrheit bei den mittleren Noten landen sollte, Anm. d. Redaktion]. Durch die Verbesserung der Noten verschiebt sich diese Gauß-Kurve eher nach links und staucht sich bei den sehr guten Noten. Es ist nicht so, dass das Mittelfeld fehlen würde.

Rückwärts in die Zukunft?

Gibt es Dinge, bei denen der Bayerische Philologenverband Handlungsbedarf sieht?

Mit der Einführung des G9 wird jetzt die Ausgestaltung der Oberstufe und des Abiturs diskutiert. Da haben wir im Dezember unsere Vorstellungen dargelegt. Die Wiedereinführung ist durchaus eine Möglichkeit, ein paar Stellschrauben zu drehen. Wir wollen weg von Deutsch und Mathe als verpflichtende Abiturfächer, sondern wollen, dass die Schüler wieder mehr Auswahlmöglichkeiten nach ihren Neigungen und Talenten haben. Deutsch oder Mathe soll verpflichtend sein, aber nicht beides. Wir machen die Erfahrung, dass es die Schüler weiter bringt, wenn sie weniger festgelegt sind und sich stattdessen in der Oberstufe über entsprechende Vertiefungskurse spezialisieren können.

Vonseiten mancher politischer Kräfte, aber auch von NGOs wurde gerade Bayern immer wieder aufgefordert, mehr Abiturienten hervorzubringen. Hatte das unter Umständen doch Auswirkungen, eben in besagten Änderungen zur Einführung des G8?

Diese Rufe aus der Politik sind ja zum Glück verhallt. Man geht jetzt sogar so weit, dass die OECD, die immer die niedrigen Abiturienten- und Akademikerquoten in Deutschland angemahnt hat, mittlerweile sogar das duale Ausbildungssystem lobt. Nichtsdestotrotz gibt es bei uns immer mehr Schulen, die das Abitur vergeben, wir haben immer mehr Schüler auf den Fachober- und Berufsoberschulen. Auch deswegen gibt es mehr Abiturienten als früher. Das ist zum einen gut, weil auch viele Kinder aus bildungsfernen Schichten es jetzt bis zum Abitur schaffen. Leider sind viele Eltern der Meinung, dass aus ihrem Kind ohne Gymnasium und Abitur nichts wird. Dem muss man natürlich entschieden widersprechen. Es entscheidet sich auch nicht nach der vierten Klasse, was ein glückliches menschliches Wesen ausmacht.

Also Fazit: Eigentlich sollte man sich über die große Zahl der Einser-Schnitte?

Noten sind nicht alles...