Energie
Bayern will doppelt so viel erneuerbaren Strom bis 2030
17. Mai 2022, 15:24 Uhr aktualisiert am 17. Mai 2022, 15:24 Uhr
Mehr Sonne, mehr Wasser, mehr Wind: Der Freistaat reagiert mit einem ehrgeizigen Konzept auf die Energiekrise. Ob das reicht, wird sich zeigen - und hängt auch an einer noch offenen Entscheidung im Bund.
Mit einer Verdoppelung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren bis 2030 will die bayerische Staatsregierung die Energieversorgung des Freistaates sicherer und verlässlicher machen. Das Kabinett beschloss am Dienstag ein Konzept, welches gleichermaßen auf den Ausbau in allen Bereichen setzt und auf einem Papier beruht, welches noch am Dienstag an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geschickt werden sollte. "Jedes Fitzelchen" an Erneuerbaren solle genutzt werden, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Sitzung in München. Die Eckpunkte der neuen Energiestrategie:
Windkraft: Die 10H-Mindestabstandsregel, die den zehnfachen Abstand der Windradhöhe zur nächsten Siedlung vorschreibt, soll bestehen bleiben, aber in großzügig gelockerter Form. Durch eine Verringerung des Mindestabstands auf 1000 Meter etwa in Gewerbegebieten, entlang von Autobahnen, auf Truppenübungsplätzen oder in Wäldern soll ein Zuwachs von mindestens 800 Windkraftanlagen zu den bestehenden gut 1100 ermöglicht werden. Dies bedeutete einen Zuwachs bei der installierten Leistung um ein Mehrfaches, weil modernere Anlagen leistungsfähiger sind, wie Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger vorrechnete.
Insgesamt sollen dafür zwei Prozent von der Landesfläche als Vorranggebiete für Windräder ausgewiesenen werden. Bisher sind es nur 0,69 Prozent. "Ohne diese Steuerung, die wir über die 10H-Ausnahmeregelung machen, kann es passieren, dass es ein Hauen und Stechen um die besten Standorte gibt. Um jeden Meter wird gestritten", sagte Söder. Ansonsten werde es so viel Ärger und böses Blut geben, dass es der Energiewende schade.
Söder forderte Habeck auf, die Kompromisslösung zu akzeptieren. Andere mögliche Genehmigungsverfahren, etwa basierend auf der Bundesemissionsschutzverordnung, also entsprechend der Lärmbelastung der Windräder für direkte Anwohner, würden die Menschen verunsichern und langwierige Streitigkeiten provozieren, sagte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler).
Photovoltaik (PV): Die Stromerzeugung aus Solarenergie soll bis 2030 von heute 13 Terawattstunden (TWh) auf 40 TWh verdreifacht werden. Dafür sollen neben staatlichen Dächern etwa auch Parkplätze oder Autobahnen genutzt werden und neue Solarparks entstehen. Zudem soll es mehr sogenannte Agri-PV-Anlagen geben, darunter eine Modellanlage auf dem Gelände der Bayerischen Staatsgüter in Grub bei München und weitere auf Standorten in Niederbayern (Kringell), Schwaben (Neuhof), Unterfranken (Schwarzenau) und in der Oberpfalz (Almesbach). Agri-Photovoltaik bezeichnet ein Verfahren zur Nutzung von Flächen für die Landwirtschaft und die Stromproduktion.
Wasserkraft: Auch hier sollen neue Standorte für Kraftwerke geprüft werden, etwa an der Salzach. Grundlage sind dafür die vom Umweltministerium ermittelten 30 potenziellen Standorte für neue Anlagen an vorhandenen Querbauwerken. Ziel sei es, insgesamt ein zusätzliches Potenzial von 18 Megawatt (MW) Leistung und rund 160 Gigawattstunden (GWh) Stromproduktion jährlich zu erschließen.
Bioenergie: Aktuell befinden sich rund 1,9 Gigawatt (GW) installierte Leistung im Freistaat. Bis 2030 sieht die Staatsregierung hier ein Steigerungspotenzial von rund 15 Prozent.
Geothermie: Bis 2050 sollen rund 25 Prozent des hiesigen Wärmebedarfs im Gebäudesektor mit der Geothermie gedeckt werden. Um das Ziel zu erreichen, sollen interkommunale Projekte vernetzt werden. Ferner sind der Ausbau der Wärmenetze und die Durchführung weiterer Bohr-Projekte, die industrielle Nutzung von Prozesswärme und der Ausbau der mitteltiefen Geothermie geplant. Mittel- bis langfristiges Ziel sei dabei auch die geothermale Erschließung Nordbayerns.
Unabhängig von den bayerischen Einzelmaßnahmen fußt das Konzept auf einer Vielzahl an Forderungen an den Bund wie höhere Einspeisevergütungen, mehr Fördermöglichkeiten, schnellere Genehmigungsverfahren und einheitlichere Rahmenbedingungen. Auch der Ausbau der Stromtrassen müsse forciert werden, es müsse verhindert werden, dass Energie in Süddeutschland teurer werde als im Norden.
Söder betonte, dass er eine rasche Unabhängigkeit von russischem Gas nicht für möglich halte, zugleich brauche es in einer Übergangszeit auch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Bayern müsse ferner an das europäische Wasserstoffnetz angeschlossen werden. Nur so könne der steigende Energiebedarf im Land sicher gedeckt werden.
Bayern sei schon jetzt stark bei den Erneuerbaren und habe etwa bei der Photovoltaik sowie bei anderen regenerativen Energieformen die höchste Produktion aller Länder, sagte Söder - mit Ausnahme der Windkraft. Aber auch hier stehe Bayern besser da als von manchen behauptet. Ob das neue Konzept, welches Habeck eigentlich bereits bis März vorgelegt werden sollte, ausreicht, um den Wegfall der 10H-Regel, zu verhindern, muss nun abgewartet werden.
Theoretisch könnte der Bund die Regel, die es in abgeschwächten Formen auch in einigen anderen Bundesländern gibt, auch gegen den Willen der Länder abschaffen. Habeck hatte aber wiederholt betont, bei der Energiewende auf einen breiten Konsens zu setzen, da andernfalls der Erfolg von vorneherein angezweifelt werden müsse.
Dies sieht auch Söder so. Er warnte den Bund vor einem "Durchregieren". Dies wäre ein schwieriger politischer Stil und würde am Ende der Sache nicht gerecht werden. "Wir hoffen sehr, dass das am Ende ein gutes Ergebnis gibt." Dem Vernehmen nach wird das Energiekonzept des Bundes noch im Mai im Bundeskabinett behandelt.