Atomkraftwerk bei Landshut
Isar 2: Rechtsgutachten wirft TÜV Befangenheit vor
29. Juli 2022, 6:15 Uhr aktualisiert am 3. April 2023, 20:04 Uhr
Der russische Krieg in der Ukraine befeuert in Deutschland längst beendete Debatten zur Atomkraft neu. Nun gerät eine Stellungnahme des TÜV Süd in den Fokus. Eine Anwaltskanzlei erhebt schwere Vorwürfe.
In der Debatte um eine längere Laufzeit für das Atomkraftwerk Isar 2 wirft ein Rechtsgutachten dem TÜV Süd bei der Sicherheitsbewertung des Reaktors Befangenheit vor. Konkret wirft die Hamburger Kanzlei Michael Günther in ihrer 21-seitigen Stellungnahme, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und im Auftrag von Greenpeace Deutschland erstellt wurde, dem TÜV Süd eine "schlampig argumentierende Auftragsarbeit" vor, die "nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann". Auch ergebe sich der Eindruck, der TÜV lasse geltendes Atomrecht außer Acht.
Mitte Juni war ein Gutachten des TÜV bekannt geworden, welches im Auftrag des bayerischen Umweltministeriums einen Weiterbetrieb des Atomreaktors Isar 2 auch über den 31. Dezember 2022 hinaus sicherheitstechnisch für möglich hält. Auch eine Wiederinbetriebnahme des bereits abgeschalteten Blocks C in Gundremmingen sei "aus technischer Sicht möglich", heißt es in dem auf den 14. April 2022 datieren TÜV-Gutachten. Seither führen die Befürworter einer Laufzeitverlängerung - etwa die CSU - das Gutachten immer wieder als Beleg dafür an, dass das im Zuge des Atomausstiegs gesetzlich festgelegte Datum gekippt werden müsse.
Die Bewertung sei "offenbar für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt" gewesen, heißt es dazu im Rechtsgutachten. Der TÜV Süd bescheinige, was der Auftraggeber wünsche. "Unabhängig vom Zustand und ohne Überprüfung der AKW steht für den TÜV das Ergebnis bereits fest", sagt Heinz Smital, Atomphysiker und Greenpeace-Atomexperte. Auch die offenkundig kurze Bearbeitungsdauer des TÜVs nähre den Verdacht, "dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist", so die Anwälte.
Mit Blick auf die laufende Debatte um drohende Energieengpässe im Winter wegen eines Mangels an Erdgas aus Russland betonte Smital: "Die AKW sind ein Sicherheitsrisiko und keine Hilfe bei einem möglichen Gasmangel im kommenden Winter." Atomkraft sei zu schwerfällig, um Stromspitzen abzufedern. Statt auf mehr Kernkraft zu setzen, müsse es jetzt darum gehen, einen sparsamen Umgang mit erneuerbaren Energien zu erreichen.
Seit Wochen Diskussionen über längere Laufzeit
Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt hatten sich in einer Stellungnahme im März 2022 bereits gegen einen Weiterbetrieb der drei letzten deutschen AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 ausgesprochen. Eine längere Laufzeit bringe im kommenden Winter keine zusätzlichen Strommengen, stattdessen müssten die AKW umgehend die vorgeschriebene umfangreiche Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, lautete damals die Begründung. Zudem sei ein Wiederanfahren der bereits stillgelegten AKW "gesetzlich nicht rechtssicher" und daher ausgeschlossen.
Inzwischen hat das Bundeswirtschaftsministerium weitere Untersuchungen zum Sinn und zu möglichen Risiken einer längeren Laufzeit von Atommeilern angekündigt. Die Ergebnisse sollen in den kommenden Wochen vorgelegt werden.
Am Donnerstag hatte auch der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) eine Studie vorgelegt, die einen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken kategorisch ablehnt. Der Nutzen längerer Laufzeiten stehe in keinem Verhältnis zu den Risiken und Kosten. Das Gutachten, das die Diplom-Physikerin Oda Becker im Auftrag des BUND erstellt hatte, bemängelt einen geringen energiewirtschaftlichen Nutzen sowie einen nicht ausreichenden Schutz der Kraftwerke gegen Hochwasser und Terroranschläge. So basierten die zuletzt 2009 vorgenommenen Sicherheitsüberprüfungen auf einem Regelwerk aus den frühen 80er-Jahren, in denen die Atom-Unfälle von Tschernobyl und Fukushima noch gar nicht berücksichtigt seien.
Weil im Winter das Gas knapp zu werden droht, wird trotzdem seit Wochen darüber diskutiert, die Kraftwerke länger laufen zu lassen. Auch Vertreter von SPD und Grünen hatten sich zuletzt gesprächsbereit gezeigt, zumindest was einen sogenannten Streckbetrieb angeht, also die weitere Nutzung der aktuell verwendeten Brennstäbe über den Jahreswechsel hinaus.