Bayern

Notstand bei Münchens Ergotherapeuten: "Die Versorgung ist bedroht"

Die Ergotherapie kämpft wie viele Gesundheitsberufe mit dem Fachkräftemangel. Ausländische Bewerber könnten helfen - doch sie werden von zu viel Bürokratie behindert, findet die Münchnerin Jasmin Kirchesch


Die Ergotherapeutin Jasmin Kirchesch hilft in ihrer Praxis Menschen, die durch Unfall, Krankheit oder Behinderung mit Einschränkungen zu kämpfen haben. Dabei bräuchte sie dringend Unterstützung. "Wir arbeiten am Limit", sagt sie.

Die Ergotherapeutin Jasmin Kirchesch hilft in ihrer Praxis Menschen, die durch Unfall, Krankheit oder Behinderung mit Einschränkungen zu kämpfen haben. Dabei bräuchte sie dringend Unterstützung. "Wir arbeiten am Limit", sagt sie.

Von Anna-Maria Salmen

München - Mit einem Lächeln deutet Jasmin Kirchesch auf ein Haus nahe ihrer Praxis für Ergotherapie. Der Mann, der dort wohnt, hat einen Schlaganfall erlitten und war lange nicht mobil, erzählt sie - mittlerweile kann er jedoch wieder laufen. Dieser Fortschritt ist auch der Arbeit Kircheschs und ihres Teams zu verdanken. In ihren Räumlichkeiten im Lehel hilft die Ergotherapeutin Menschen, die durch Unfall, Krankheit oder Behinderung mit Einschränkungen zu kämpfen haben. Vielen gibt sie durch ihre Behandlungen wieder ein Stück Lebensqualität zurück.

Doch die ergotherapeutische Versorgung ist bedroht, warnt die 37-Jährige. Denn wie überall im Gesundheitssektor herrscht auch hier Fachkräftemangel. Und das Problem wird zusätzlich verschärft: Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen ist mit großen Schwierigkeiten verbunden - unnötigerweise, wie Kirchesch findet.

Die Ergotherapeutin und studierte Gesundheitsmanagerin kann zahlreiche Beispiele nennen. In ihrer Praxis, die sie seit 2016 im Lehel betreibt, beschäftigt sie unter anderem Mitarbeiterinnen aus Spanien und Österreich. Eine Bereicherung, sagt Kirchesch: "Sie bringen oft spannende Behandlungsmethoden mit." Und alle haben ein "solides Studium" absolviert. Bis eine ausländische Fachkraft allerdings bei Kirchesch arbeiten darf, vergeht meist eine lange und unsichere Zeit.

Denn um in Deutschland als Ergotherapeut tätig sein zu dürfen, braucht es eine Zulassung. Die wird ausländischen Bewerbern allerdings extrem erschwert, sagt Kirchesch. Akribisch werde geprüft, ob ihre Ausbildung oder ihr Studium gleichwertig mit den deutschen Standards ist. Während der gesamten Dauer dieses Verfahrens dürfen sie nicht arbeiten - und verdienen dementsprechend kein Geld.

Kirchesch selbst hat eigener Aussage nach noch nicht erlebt, dass der Prozess in weniger als sechs Monaten erledigt war. "Oft zieht es sich noch länger und dauert auch mal eineinhalb Jahre."

Grundsätzlich kann die Ergotherapeutin nachvollziehen, dass eine Prüfung der Studieninhalte nötig ist, sagt sie. Aber oft seien es Kleinigkeiten, die fehlen würden. "Die Bewerber müssen dann mühevoll Stunden nachholen und verdienen währenddessen nichts." Die anschließende Prüfung würden viele als Schikane empfinden - immerhin haben sie ja bereits einen Bachelor- oder sogar Masterabschluss. Und der sollte ursprünglich Studiengänge und -abschlüsse europaweit einheitlicher und vergleichbarer machen.

Viele ausländische Fachkräfte lassen sich von dem anstrengenden Prozess abschrecken, weiß Kirchesch. "Es braucht dafür Stärke und Durchhaltevermögen. Denn es geht ja auch ums Überleben." Gerade in München könnten viele es sich nicht leisten, monatelang nichts zu verdienen und nicht zu wissen, ob das Anerkennungsverfahren überhaupt erfolgreich endet.

Für Kirchesch ist es eine Zwickmühle: Immer wieder bewerben sich bei ihr Absolventen renommierter Universitäten, zum Beispiel aus dem englischen Oxford oder aus Wien. "Österreich ist doch direkt nebenan", sagt Kirchesch und schüttelt den Kopf darüber, dass es sogar Fachkräfte aus dem Nachbarland so schwer haben.

Gerade eben hat sie eine Bewerbung erhalten, die junge Frau hat am bekannten Royal College in London studiert. Doch Kirchesch kann sie ebenfalls nicht direkt einstellen - obwohl sie die Unterstützung dringend bräuchte. "Es wird händeringend Personal gesucht. Wir arbeiten am Limit."

Dabei könnte man relativ einfach für Abhilfe sorgen, davon ist Kirchesch überzeugt. Wenn sich ein Bewerber im Studium oder in der Ausbildung zum Beispiel viel mit Pädiatrie beschäftigt hat und sich dementsprechend gut mit der Behandlung von Kindern auskennt, könnte er in diesem Bereich bereits ohne Probleme eingesetzt werden, findet die Ergotherapeutin. Wenn in einem anderen Bereich noch Erfahrung fehlt - etwa in der Geriatrie, die sich um die alten Menschen kümmert - würde das zunächst nicht stören. Entsprechende Kenntnisse könnte man laut Kirchesch parallel zur Arbeit nachholen, ohne gleich einen monatelangen Verdienstausfall in Kauf nehmen zu müssen.

Denn die Grundzüge ihrer Arbeit sind überall auf der Welt gleich, sagt die 37-Jährige: "Es geht darum, Menschen zu helfen und die Patienten zu unterstützen." Ergotherapeuten behandeln dabei nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch seelische, etwa Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsschwierigkeiten bei Kindern oder Stresssymptome bei überlasteten Erwachsenen. "Das lernt eine Ergotherapeutin in England oder Spanien genauso wie in Deutschland."

Letztendlich gehe die übermäßige Bürokratie auch zulasten der Patienten, sagt Kirchesch. Denn wenn es nicht genügend Fachkräfte gibt, muss man unter Umständen länger auf seine dringend nötige Therapie warten. "Es geht ja oft um Schmerzen oder starke Beeinträchtigungen."

Wer sich zum Beispiel nach einem Unfall oder Schlaganfall zurück ins Leben kämpft, kann manchmal selbst einfache alltägliche Aufgaben nicht bewältigen. Schnelle Hilfe ist also zentral. Kirchesch hofft daher auf das Gehör der Politik. Sie ist überzeugt, dass ausländische Fachkräfte helfen können, eine gute ergotherapeutische Versorgung sicherzustellen. "Sonst kann man mit einem Bachelorabschluss überall auf der Welt arbeiten, nur in Deutschland nicht. Dabei ist die Ergotherapie so ein wichtiger Beruf."