Bayern

Stadtgeschichte zum Mitnehmen: Ein Antiquariat von Weltgeltung

In der Brienner Straße saß eine Kunsthandlung mit internationalem Renommee, der die Nazis ein Ende setzten.


Wie eine Kapelle: ein kleinerer Ausstellungsraum mit Kreuzrippengewölbe und einem großformatigen Altarbild an der Wand.

Wie eine Kapelle: ein kleinerer Ausstellungsraum mit Kreuzrippengewölbe und einem großformatigen Altarbild an der Wand.

Von Thomas Müller

Das Haus steht noch - in der Brienner Straße 26 (früher 47). Errichtet wurde es 1911 im Auftrag des Münchner Antiquars Jacques Rosenthal (1854-1937), der damit sein 1895 gegründetes Antiquariat im neuen Zentrum des Münchner Kunsthandels angesiedelt hatte. Die Geschichte der Kunsthändler-Dynastie hat Franziska Eschenbach auf "Munich Art to Go" nachgezeichnet.

Die Brienner Straße hatte sich Anfang des 20. Jahrhunderts zur führenden Kunst- meile entwickelt - mit prominenten Namen wie der Galerie Caspari, Kunsthandlung von Siegfried Lämmle, Kunsthandlung von Julius Böhler, die Galerie Norbert Fischmann, die Ludwigsgalerie oder die Kunsthandlung der Gebrüder Jordan & Co.

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links: Die Familie Rosenthal auf Aufnahmen aus den Jahren 1918/19: Erwin Rosenthal neben seinem Vater Jacques, der den kleinen Sohn Felix (1917-2009) auf dem Schoß hält. Daneben steht der älteste Sohn Albrecht Rosenthal (1914-2004).rechts: Emma Rosenthal hält ihre Enkelinnen Gabriella (1913-1975) und Nicoletta (1915-1988) im Arm. Dahinter steht die Schwiegertochter Margherita, Tochter des renommierten Antiquars und Verlegers Leo Olschki. Margherita und Erwin bekamen 1920 noch ein weiteres Kind: Bernhard Rosenthal (1920-2017).

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Der große Ausstellungsraum mit Stoff bezogenen Wänden, Holzvitrinen und Gemälden.

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Das Geschäftshaus heute - in der Brienner Straße 26: Zu sehen ist auch der Globus-Brunnen aus den 50er Jahren vor dem Gebäude.

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Brienner Straße 47: das Wohn- und Geschäftshaus des Antiquariats Jacques Rosenthal im Jahr 1915.

Besonders durch seinen umfangreichen Bestand an mittelalterlichen Handschriften und frühen Drucken hatte sich Jacques Rosenthal unter Bücherliebhabern und Kunstsammlern weltweite Bekanntheit erworben. Er war Preußischer und Bayerischer Hoflieferant.

Sein Sohn, Kunsthistoriker Erwin Rosenthal (1889-1981), erweiterte 1920 den geschäftlichen Radius mit der Gründung des Antiquariats L'Art Ancien in Lugano (ab 1929 in Zürich) und einer Kunstgalerie in Berlin (1920-1925).

Die Machtübernahme der Nazis und antijüdische Rassenpolitik setzte dem allen ein jähes Ende: So fiel die langgeplante Eröffnung einer hochkarätigen Ausstellung mittelalterlicher Handschriften des britischen Sammlers Chester Beatty am 1. April 1933 mit dem von den Nazis ausgerufenen "Tag des Judenboykotts" zusammen.

Der Enkel von Jacques Rosenthal, Albrecht Rosenthal, erinnerte sich, dass die Eingangstür des Geschäfts an der Brienner Straße durch die SA versperrt worden war und die Fensterläden geschlossen werden mussten. Besucher gelangten heimlich durch den Hintereingang in die Ausstellungsräume.

Zwei Jahre später im März 1935 musste Jacques Rosenthal sein Haus verkaufen. Der von ihm geplante Verkauf an die Witwen- und Waisenkasse wurde jedoch durch die "Deutsche Arbeitsfront" verhindert. Die DAF beanspruchte das Anwesen für sich und setzte sich im Juli 1935 als Käuferin durch. In nächster Nähe zum Parteizentrum der NSDAP am Königsplatz war die Immobilie besonders bei den NS-Institutionen sehr begehrt.

Das Antiquariat Rosenthal zog in bescheidene Räumlichkeiten in der Konradstraße 16. Fast zeitgleich wurde dem Sohn Erwin Rosenthal im August 1935 die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer verwehrt. Zudem wurde er aufgefordert, das Antiquariat innerhalb von vier Wochen zu schließen.

Erwin Rosenthal protestierte gegen die Maßnahme und wies darauf hin, dass ein Verkauf seines Lagerbestandes von knapp 500 000 Büchern und 4000 Drucken nicht nur den geschäftlichen Ruin bedeuten würde, sondern auch einen Preisverfall auf dem deutschen Kunstmarkt zur Folge hätte. Die Frist für die sofortige Liquidation wurde tatsächlich vorerst ausgesetzt.

Im Dezember 1935 zog Rosenthal die Konsequenz - und verkaufte das Antiquariat an den Mitarbeiter Hans Koch. Bereits im März 1936 emigrierte Erwin Rosenthal mit seiner Frau und den Kindern nach Florenz.

Seine Eltern Jacques und Emma Rosenthal (1857-1941) zogen in das Hotel Regina am Maximiliansplatz, wo der Antiquar am 5. Oktober 1937 verstarb.

Seiner Frau Emma Rosenthal gelang im Dezember 1939, nachdem unter größten Schwierigkeiten die hohen Summen für die "Reichsfluchtsteuer" und die "Judenvermögensabgabe" beglichen werden konnten, die Flucht in die Schweiz. Sie verstarb am 24. Juni 1941 in Küssnacht bei Zürich.

Kurz zuvor hatten Erwin Rosenthal und seine Frau Margherita Visa für die USA erhalten.

Im Jahr 1958 sollte das Paar nach Europa zurückkehren. Sie verbrachten die Jahre bis zu ihrem Tod in Lugano. Die Antiquarsdynastie Rosenthal aber lebte weiter: Die Söhne Bernhard, Felix und Albrecht Rosenthal führten die Geschäfte in London, Zürich und Berkeley fort.

Wie gesagt, das Haus in der Brienner Straße 26 steht noch, es wurde nach Beschädigungen im Krieg wieder aufgebaut. In dem denkmalgeschützten Bürohaus sitzt (zusammen mit der Nummer 28) eine weltweit agierende Rechtsanwaltskanzlei.

Sehenswert: der Globus-Brunnen, den Architekt Werner Kraus 1956 errichtet hat. Unter dem Globus (und daher nicht zu sehen) ist eine Inschrift eingelassen - die lautet: "Bei jedem Schlag dieser Glocke wird in Deutschland ein Kind geboren, auch in deiner Hand liegt sein Glück."

Erst im April 2022 hatte der Eigentümer, die Bayerische Landesbank, die Liegenschaft verkauft.