Bayern

Warum die Sendlinger Straße die Einkaufsmeile der Zukunft werden könnte

Leerstand, eine nahe Baustelle, Geschäftsschließungen und Neueröffnungen: Viele erkennen die Sendlinger Straße gerade nicht wieder. Warum der stete Wandel hier eine Chance bietet - und was trotzdem fehlt


Wolfgang Fischer vom Verband der Innenstadthändler Citypartner kennt sich aus in der Stadt. Mit der AZ ist er durch die Sendlinger Straße spaziert. Und hat erklärt, was sich hier warum verändert.

Wolfgang Fischer vom Verband der Innenstadthändler Citypartner kennt sich aus in der Stadt. Mit der AZ ist er durch die Sendlinger Straße spaziert. Und hat erklärt, was sich hier warum verändert.

Von Ruth Frömmer

Altstadt - Dass man an der U-Bahn-Station Sendlinger Tor ein paar Minuten länger einplant, wissen die meisten Münchner eh. Gefühlt ändern sich die unterirdischen Wege durch die Baustelle täglich.

Aber auch oben drüber auf der Sendlinger Straße finden viele sich nicht mehr zurecht vor lauter Umbruch. Einige Geschäfte haben in den letzten Jahren geschlossen. Adidas und dm in der Hofstatt: weg. Das Café Starbucks: weg. Der Imbiss Ringlers und der Geschenke-Laden Kadoh mussten schon im letzten Jahr wegen zu hoher Miete schließen. Bei Leder Fischer läuft gerade der Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe.

"Es hat viel Wechsel gegeben, aber nicht zum Negativen"

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Anne Wildner wollte unbedingt in der Sendlinger Straße ihren Laden eröffnen. Sie sieht hier großes Potenzial.

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Claudia Slanzi verziert Kerzen in Handarbeit. Sie hat nun in der Sendlinger Straße eröffnet.

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Stephan Lindner vom Juwelier Fridrich. Dass um sein Geschäft andere kommen und gehen, kennt er.

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Archbald Graf von Keyserlingk betreibt die "Heimwerk"-Restaurantkette. Er findet, die Sendlinger Straße braucht mehr Gastronomie.

Wolfgang Fischer ist Geschäftsführer von City Partner. Der Verein kümmert sich um die Belebung der Innenstädte. Die AZ hat ihn gefragt, was los ist auf der zentralen Einkaufsmeile. "Es hat viel Wechsel gegeben", bestätigt Fischer, "aber nicht zum Negativen." Vom architektonischen Zuschnitt her ist die Sendlinger Straße kleinteilig, das eignet sich nicht für Filialisten, die große Ladenflächen benötigen. Und bei kleinen Läden sei eine gewisse Fluktuation ganz normal.

Die Sendlinger Straße war nie der Ort für Filialisten

Beim Immobilienverband IVD Süd war die Sendlinger Straße schon immer als 1B-Lage eingestuft. Denn sie kommt nur auf ein Drittel der Fußgängerfrequenz im Vergleich zur Kaufinger Straße mit ihren großen Filialisten.

Aber auch Stephan Kippes vom IVD stellt fest, dass sich die Sendlinger Straße gerade entwickelt. Zwar gibt es hier in der Tat keine großen Modeketten. Aber der Grad an Filialen sei trotzdem gestiegen und die kleinen mittelständischen Läden werden weniger.

Den Familenbetrieb Fridrich gibt es sein 1864 - hier beobachten sie seit Jahrzehnten den Wandel

Ein Fels in der Brandung ist der Familienbetrieb Fridrich. Seit 1864 hat das Trauringhaus schon viele Geschäfte um sich herum kommen und gehen sehen. "Das war immer so", sagt Geschäftsführer Stephan Lindner. Der größte Einschnitt für die Straße sei der Weggang der "Süddeutschen Zeitung" im Jahr 2008 gewesen. Im selben Jahr zog auch die AZ weg. Das sei prägender gewesen als die Umwandlung in eine Fußgängerzone.

In der Hofstatt laufen gerade gleichzeitig gesammelt die Mietverträge aus. Adidas ist schon weg

Auf dem ehemaligen "SZ"-Gelände befindet sich seit genau zehn Jahren die Einkaufspassage Hofstatt. Die Verträge mit den Mietern laufen dort gerade gesammelt aus, weiß Wolfgang Fischer. Adidas hat seinen prominenten Laden am Eingang bereits geräumt.

Die Ladenfläche habe nicht mehr den aktuellen Anforderungen an die Produktpräsentation entsprochen, so ein Sprecher des Unternehmens. Schon vor einiger Zeit hat der Sportmode-Hersteller ohnehin seinen Terrex Store weiter unten auf der Sendlinger Straße eröffnet.

Der Drogeriemarkt dm will in das Sperrengeschoss der U-Bahn Sendlinger Tor

Der Drogeriemarkt dm hat die Einkaufspassage verlassen, weil er eine neue Filiale im U-Bahngeschoss am Sendlinger Tor eröffnet. Der Termin steht allerdings noch nicht fest. Die Starbucks-Filiale schräg gegenüber musste schließen, weil das Gebäude, in dem sich das Café befand, demnächst kernsaniert wird.

Ob Kerzen oder Möbel: Boutiquen ziehen Bummler an

Also alles kein Grund zur Sorge, sagt Wolfgang Fischer. Im Gegenteil, viele Händler sehen die Entwicklung der Straße positiv. Der Designmöbel-Experte Konzept Haus Interiors zum Beispiel ist Ende letzten Jahres in die ehemaligen Räume von Jeans Kaltenbach gezogen.

Die Geschäftsführerin Anne Wildner sieht viel Potenzial: "Dies ist unser erster Brand Store in Deutschland und wir haben uns dafür ganz gezielt die Sendlinger Straße in München ausgesucht."

Die Sendlinger Straße habe ein schönes Flair, sagt eine Händlerin

Die Straße habe ein schönes Flair und noch viele kleine Boutiquen, die Bummler anziehen: das perfekte Umfeld für ihre Möbel-Boutique, wie sie ihren Laden selbst beschreibt. Im Moment eröffnen Möbelhäuser gerne Geschäfte in Innenstadt-Lagen und präsentieren dort ihre Waren. Nur ein paar Meter weiter hat Kare im letzten Jahr sein Geschäft wiedereröffnet.

Auch neben der Hofstatt, wo die Modekette Abercrombie & Fitch einst mit halb nackten Männern in dunklen bedufteten Verkaufsräumen junges Publikum anzog, eröffnet demnächst eine amerikanische Möbelkette.

Online boomt. Aber die Leute gehen auch wieder gerne in die Fußgängerzonen

Anders als von vielen befürchtet, haben die Menschen nach der Pandemie das Bummeln neu schätzen gelernt. Zwar wird immer noch viel online gekauft, aber die Fußgängerzonen füllen sich langsam wieder.

Darum wagen auch kleinere Händler einen Neuanfang in der Sendlinger Straße. Claudia Slanzi hat viele Jahre bei Franz Fürst, dem Wachszieher am Dom, gearbeitet. Als das Traditionsgeschäft schließen musste, hat sie mit Cera Kerzen ihren eigenen Laden eröffnet - in der Sendlinger Straße.

"Noch mehr Laufkundschaft wäre sogar zu viel"

Ihr Eingang ist zwar ums Eck in der Herzog-Wilhelm-Straße, "aber das ist gut so", erzählt Slanzi der AZ. Zwar hätten einige Stammkunden vom Dom Probleme, ihr Kerzengeschäft auf Anhieb zu finden, aber sie hat viel Laufkundschaft dazugewonnen.

"Wenn ich meinen Eingang direkt auf der Sendlinger Straße hätte, wäre das sogar zu viel Laufkundschaft für mich." Ihre Kerzen verziert sie im Atelier hinter dem Laden selbst und vorne berät sie jeden Kunden ausführlich.

Was fehlt, sind ein paar attraktive Cafés und Restaurants

Zum längeren Verweilen lädt die Sendlinger Straße trotzdem nicht ein. Die Autos sind zwar weg, aber trotz ein paar Blumenkübeln und kleiner Bäumchen wirkt die Umgebung grau und zubetoniert. Das fehlende Grün wird mit der U-Bahn unter der Straße und Denkmalschutz erklärt.

Die Lösung für dieses Problem wäre laut Archibald Graf von Keyserlingk ganz einfach: Man müsste die Gastronomie als wesentlichen Teil der Gestaltung des öffentlichen Raums wahrnehmen und dementsprechend fördern.

Gastronomen müssen lange auf eine Genehmigung warten

"Im direkten Umgang werden wir aber betrachtet wie Störenfriede, nicht wie Partner", so Keyserlingk. Gastronomen, die eine Idee haben, müssen in Sachen Genehmigungen einen langen Atem haben.

Er selbst betreibt das Restaurant Heimwerk, unter anderem im Tal, und ist sich sicher, dass es ansprechende und vielfältige Lokale sind, die das Bummeln in den Fußgängerzonen attraktiver machen und die Leute aus den Randvierteln in die Innenstadt locken.

Politiker vor Ort haben nichts gegen mehr Gastronomie

In der Sendlinger Straße sieht es da bis auf ein paar Ausnahmen noch recht karg aus. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Der zuständige Bezirksausschuss Altstadt-Lehel ist laut seiner Vorsitzenden Andrea Stadler-Bachmaier (Grüne) jedenfalls offen für Vorschläge - solange die entsprechenden Vorgaben zur Feuerwehrzufahrt eingehalten werden.

Wie kreativ und bunt manche Wirte ihre Außenflächen auch auf kleinen Flächen gestalten, kann man gerade wieder an den vielen bunten Schanigärten in der Stadt sehen. Solche Konzepte wären fraglos eine große Bereicherung auf der Betonmeile.

Natürlich müssen sich Gastronomen auch die Miete leisten können

Aber das funktioniert nur, wenn sich die Betreiber die entsprechenden Mieten auch leisten können - und die befinden sich immerhin auf 1B-Lagen-Niveau.

Es ist also eine Menge möglich auf der Sendlinger Straße. Der nächste große Einschnitt wird auf jeden Fall noch in diesem Jahr passieren. Dann soll die Baustelle an der U-Bahn verschwinden. Das dürfte der Straße zum nächsten Aufschwung verhelfen. Es bleibt zu hoffen, dass die Sendlinger Straße in Zukunft eine vielfältige Fußgängerzone mit der richtigen Mischung aus alten, neuen, kleinen und großen Läden bleibt - und zwar für alle Münchner.