Erding
BGH hebt Freispruch auf: Totschlag-Prozess um Frauenarzt wird neu verhandelt
6. Dezember 2015, 9:32 Uhr aktualisiert am 6. Dezember 2015, 9:32 Uhr
Die Indizien hätten doch gereicht: Der spektakuläre Prozess gegen den Erdinger Frauenarzt Michael B. wird neu aufgerollt.
Es war ein spektakulärer Indizienprozess, an dessen Ende ein umstrittener Freispruch stand: Der wegen Totschlags an seiner Ehefrau angeklagte Frauenarzt Michael B. konnte am 19. Januar den Gerichtssaal als freier Mann verlassen - weil man sich weder von der Unschuld noch von der Schuld des Angeklagten habe überzeugen können, wie die Vorsitzende Richterin der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Gisela Geppert damals in der Urteilsbegründung sagte. Dementsprechend nüchtern fiel das Fazit der Vorsitzenden nach 20 Hauptverhandlungstagen aus: "Der Tod der Brigitte B. bleibt vorerst ungeklärt." Nun hat allerdings der Bundesgerichtshof (BGH) nach der Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenkläger vergangene Woche den Freispruch aufgehoben und das Verfahren ans Landgericht zurückgewiesen. Die Indizien hätten durchaus für eine Verurteilung ausgereicht, hieß es seitens des BGH, und so muss nun eine andere Strafkammer den Fall komplett neu verhandeln. Wann es zur Neuauflage des Prozesses kommt, steht noch nicht fest.
Bis zum Schluss hatte der renommierte Gynäkologe - der dem Vernehmen nach zuletzt auf der Suche nach einer neuen Praxis in Nordrhein-Westfalen war - die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, er habe am 4. Dezember 2013 seine 60-jährige Ehefrau Brigitte im Badezimmer des gemeinsamen Reihenhauses in Erding zunächst verprügelt und dann erwürgt. Während des Prozesses erschien der 56-Jährige trotz seiner ausgesuchten Höflichkeit und den perfekt sitzenden Anzügen nicht in bestem Licht. Der Freispruch hatte zu erfolgen, so Geppert, weil kein Täter ermittelt werden konnte, nicht weil man Professor B. für unschuldig halte. Es bestünden "erhebliche Verdachtsmomente". So sei die Kammer überzeugt davon, dass der Angeklagte sie in einigen Punkten nicht mit der Wahrheit bedient habe, etwa was die Alkoholsucht seiner Frau betrifft, die er nicht bemerkt haben will: "Eine Leber, die zu 95 Prozent verfettet ist, kann einem nicht entgehen." Auch sei die Ehe nicht ganz so harmonisch gewesen wie vom Angeklagten geschildert. Neben den Alkoholproblemen und dem dominanten Gebaren von Brigitte B. habe auch das Thema Geld für genug Konfliktpotential zwischen den Eheleuten gesorgt. "Brigitte B. kam auf schlimme Weise ums Leben, aber man muss doch feststellen, dass sie geldgierig war", sagte Geppert zu diesem Punkt. Dieses Konfliktpotential hätte sich ohne weiteres am 4. Dezember mit einer Tötung entladen können: "Jeder kann eine derartige Aggression entwickeln." Allein die Gesamtschau aller Indizien sei nicht ausreichend.
Dies sah der erste Strafsenat des BGH anders. Gerade die Gesamtschau der Indizien hätte auch zu einer Verurteilung führen können. Das Schwurgericht habe sich zu sehr an einzelnen Indizien verzettelt - ein Punkt, den Staatsanwalt Klaus Kurtz unmittelbar nach der Urteilsverkündung im Januar bereits kritisiert hatte. Die Kammer habe bei der Urteilsfindung "überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung gestellte Nachweisbarkeit" gehabt und belastenden Indizien und Widersprüchlichkeiten unzureichend gewichtet, so Kurtz, der für Michael B. eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren gefordert hatte. Ob der 56-Jährige nun erneut in Untersuchungshaft muss, ist noch nicht entschieden.
Am Rande der erstinstanzlichen Verhandlung wurde Kritik an der Vorgehensweise der Erdinger Kripo laut. Den Beamten wurde Unprofessionalität vorgeworfen. Dies habe damit begonnen, so Geppert, dass der Tatort als solcher trotz 100 Blutergüssen an der Leiche nicht erkannt worden sei. Was dann folgte, sei eine "polizeiliche Spurenvernichtung anstelle einer polizeilichen Leichenschau gewesen". Die Leiche sei nicht gesichert gewesen; ihre Temperatur lediglich ein Mal, und das mit einem völlig unzureichenden Fleischthermometer, gemessen worden. Später habe man Michael B. gar erlaubt, das Bad zu putzen. Auch die drei Verteidiger des Professors hatten die Ermittlungsarbeit der Kripo bemängelt. So hatte der Kölner Juraprofessor Karsten Fehn gesagt, die Arbeit der Polizei strotze vor "Fehlern, Versäumnissen, frühzeitigen Festlegungen und Manipulationen. Der Münchner Verteidiger Matthias Schütrumpf hatte darauf hingewiesen, dass ein völlig unbekannter Täter Brigitte B. umgebracht haben könnte - die Spurenlage am Tatort widerspreche dem nicht.