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Matthias Keck über die Unterschiede zwischen Jung und Alt
4. September 2020, 13:53 Uhr aktualisiert am 4. September 2020, 13:53 Uhr
Das Alter - wahrscheinlich einer der Evergreens schlechthin unter den Gesprächsthemen der Generation Ü50. Beim Kaffeeklatsch zum Geburtstag meiner Tante habe auch ich mich in eine Debatte zum Alter eingebracht. Es scheint, als begebe man sich als Jugendlicher auf gefährliches Terrain, wenn man mit der Welt der Kaffeetässchen und Kuchenstückchen in Berührung kommt. Aber ich habe mich darauf eingelassen. Was sich zunächst nach dem größten Albtraum anhört, eröffnete mir neue Gedanken und einen anderen Blick auf mich selbst - und die Alten.
Bei der Unterhaltung mit meinen Tanten ging es darum, ob zwischen Jugendlichen und der nächstälteren Generation tatsächlich ein Graben klafft. Ein Graben, in dem das Verständnis für den jeweils anderen verloren geht. "Ich werde älter, das weiß ich. Aber nimmt man mich älter wahr?", fragte eine Verwandte. "Ich bleibe doch dieselbe!" Sie richtete sich damit an mich. Ich, der mit Abstand Jüngste am Tisch, sollte nun also meine Einschätzung zur Wahrnehmung einer älteren Dame abgeben. Das schrie nach einem Fettnäpfchen, in das ich ungern treten wollte. Nach kurzer Denkpause musste ich dennoch gestehen, dass ich ältere Menschen natürlich anders wahrnehme. Ich bin jung, dynamisch, offen und vielseitig. Zumindest will ich das sein. Alte Leute sind eher festgefahren und langweilig. Oder? Ich dachte im Anschluss viel über die Unterschiede nach, die bestehen oder eben nicht bestehen. Welches Bild kann man von meiner Generation zeichnen und wie unterscheidet es sich von dem der Babyboomer-Generation?
Bus verpasst? Kein Problem!
Alltagsszene: Die Türen des haltenden Busses stehen offen. Hektische Schritte sind zu hören. Ein Teenager sprintet um die Ecke, will den Bus erwischen - und verpasst ihn. Für uns Jungen muss das kein Grund zur Panik sein. Mama ist schnell angerufen, schlimmstenfalls auch ein Taxi. Für den besonders Ambitionierten reicht die Wegbeschreibung über Google Maps und die bequemste Fußstrecke ist gefunden. Wir Jungen bleiben in solchen Situationen gelassen, können mit Planänderungen umgehen und verwandeln sie manchmal sogar in etwas Besseres. Eine Stunde Wartezeit bis zum nächsten Bus? Kein Problem! Eine Handynachricht genügt, um herauszufinden, welche Freunde in der Nähe herumlungern und mit einem die Zeit überbrücken.
Für meine Tanten und deren Altersgenossen kommt das Verpassen von egal was einer Katastrophe gleich. Der Gedanke: Lieber eine halbe Stunde vor Beginn bei jeder Art von Termin erscheinen, aber keinesfalls unpünktlich! Die Magazine im Wartezimmer liegen dort schließlich nicht umsonst herum. Ein guter Eindruck ist außerdem immer wichtig. Und wer pünktlich ist, macht einen guten Eindruck.
Keine Sekunde Langeweile
Wir Jungen tun uns das eher ungern an und tauchen überall möglichst knapp auf, um keine Sekunde mit Langeweile zu verschwenden. Die Älteren sind uns damit in Sachen Zuverlässigkeit meilenweit voraus. Wer sich mit ihnen verabredet, kann darauf setzen, sie zu vereinbarter Zeit an vereinbartem Ort anzutreffen. Können wir das immer von uns behaupten? Das Meinungsforschungsinstituts YouGov untersuchte 2013 den Wertewandel innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung. Die Studie belegt die Kluft zwischen dem, was wichtig war, und dem, was es zunehmend ist: Klassische Tugenden wie Pünktlichkeit haben demnach über die Jahre mehr und mehr an Bedeutung verloren.
Wir Jungen nehmen also manches vielleicht etwas zu locker. Sich über WhatsApp zu verabreden, ist ungefähr so bindend wie der Satz "Ich ruf' dich später nochmal an". Unter Freunden ist das meist keine große Sache, an anderer Stelle sollten wir unsere Unverbindlichkeit aber doch überdenken. Zum Beispiel in der Schule: Wie oft musste ich mich vor meinen Lehrern rechtfertigen, weil ich die E-Mail mit dem Handout für mein Referat nicht rechtzeitig geschickt habe. Es lag immer an der "Kann ich später machen"-Mentalität, die uns doch alle zumindest ein klein wenig prägt. Laut der Psychologin Gabrielle Rütschi kommt diese vor allem durch die digitalen Medien, wie sie in einem Interview mit dem SZ-Magazin betont: "Die Technologien der virtuellen Welt machen es uns leicht, unverbindlich zu sein." Trotzdem: Auch wenn es mir im Nachhinein oft teuer zu stehen kommt, erscheint mir eine ausgeklügelte Planung meist unnötig.
Für die ältere Generation ist sie allerdings so gar nicht unnötig. Alles muss in eine Ordnung passen. Alles muss gut durchdacht sein. Das macht den ein oder anderen ganz schön starr. Bei größeren Anschaffungen muss erst eine, vielleicht auch zwei bis drei Nächte darüber geschlafen werden, bevor die Entscheidung feststeht. Neuer Fernseher oder neues Handy? Erst werden verschiedene Angebote eingeholt und Preise verglichen. Der anfängliche Favorit könnte ja doch einige Haken haben. Nehmen deine Eltern manche Dinge hier auch oft zu ernst und bereiten sich unnötig Sorgen?
Bei der Entscheidungsfindung hören meine gerne nicht nur auf sich, sondern halten auch viel von anderen Meinungen. Sie respektieren Fachleute und Autoritäten. Die Existenz von Personen, die mehr Ahnung haben, als wir selbst, bezweifeln wir Jungen dagegen oft. Ältere Leute aber sind froh um sie. Das kann allerdings auch gefährlich werden. Dann nämlich, wenn diese Haltung ausgenutzt wird. Im vergangenen Oktober brachten Betrüger eine Dame aus dem nordrhein-westfälischen Witten dazu, ihnen ihr gesamtes Erspartes zu geben. Die Begründung der Gauner: Das Geld wäre auf ihrer Bank nicht sicher. Die Frau vertraute auf die Schwindler, da sie als Polizisten getarnt waren.
Ein bisschen egoistisch
Die meisten Leute in unserem Alter würden wahrscheinlich nicht so leicht auf einen solchen Trick hereinfallen. Wir wollen unsere Entscheidungen selbst treffen und sie niemandem - auch nicht der Polizei - überlassen. Für eine Anschaffung brauchen wir nicht mehrere Tage, sondern Sekunden per Mausklick im Internet. Kein Verkäufer, der uns dreinreden könnte, sondern allein unser Wille. Wir fühlen uns mündig und hassen Bevormundung. Während die Generation unserer Eltern stumm spurte, diskutieren wir mit Lehrern um jeden Punkt, wenn wir uns ungerecht benotet fühlen. Man kann ja zumindest versuchen, alles für sich rauszuholen. Oft werden wir deshalb als egoistisch beschrieben. Das sind wir auch ein bisschen. Aber wir bekommen zumindest den Mund auf.
Trotzdem müssen wir uns ständig anhören, dass dahinter ja nicht viel stecken kann. Wir sind noch völlig ohne Lebenserfahrung, haben keine Vorstellung von der knallharten Realität. Das ist wahr. Es ist wichtig, dass wir denen zuhören, die schon mehr Weisheit sammeln konnten und von ihnen lernen. Zuverlässiger könnten wir zum Beispiel sein. Aber das heißt nicht, dass wir nicht auch etwas zu bieten hätten, wovon sich manch Erfahrener etwas abschauen könnte. Wir sind flexibel und wir sagen, was wir denken und stehen dazu. Meistens.
Kein Jung und Alt
Doch gibt es jetzt überhaupt "Die Alten" und "Die Jungen"? So, wie ich sie hier dargestellt habe, auf keinen Fall. Die wenigsten Ü50er würden zum Beispiel einem als Polizisten getarnten Halsabschneider all ihr Geld geben. Und unter uns Jugendlichen sind Werte, die lange als vorgestrig abgestempelt waren, wieder hoch im Kurs, was die neuen Jugendstudien des SINUS-Instituts zeigen. 2016 schon attestierte man uns darin mehr Akzeptanz für Disziplin. Laut der aktuellen Veröffentlichung vom Juli diesen Jahres bewegt uns nicht nur die Umwelt, sondern vordergründig auch eine Sehnsucht nach Dingen wie Sicherheit, Halt und Geborgenheit, wie es das Horizont-Magazin zusammenfasst.
Eine meiner Tanten passt ebenso nicht ganz ins Schema und ist der Beweis, dass man Jung und Alt nicht trennen kann. Sie ist nicht immer pünktlich, dafür ist sie alles andere als starr. Es ist diejenige, deren Geburtstag wir bei dem Kaffeeklatsch gefeiert haben. Sie sagt, das Alter wäre ihr egal. Wahrscheinlich deshalb, weil sie sich nicht wirklich so verhält, wie das Alter es ihr vorgeben würde. Ihre kleine Schwester, meine Mutter, wirft ihr deshalb vor, unvernünftig zu sein. Das sagt sie zu mir auch immer.
Manchmal liegen eben doch nur ein paar Jahrzehnte zwischen den Menschen, während gewisse Dinge gleich sind. Die Angst, zwischen den Generationen könnte überhaupt kein Verständnis füreinander bestehen, ist also unbegründet. Ein gewisser Abstand zueinander bleibt wahrscheinlich dennoch einfach nur natürlich, was einen gesunden Austausch zwischen Alt und Jung umso wichtiger macht.
Immer pünktlich und starr - so werden ältere Menschen von Jugendlichen oft gesehen. Aber sind sie wirklich so? Und was können die Generationen voneinander lernen?