[Frei]schreiben!
Rosa Röckchen und Breakdance-Beats
1. September 2008, 1:51 Uhr aktualisiert am 1. September 2008, 1:51 Uhr
Ballett ist aus der Mode gekommen. Vielleicht hat der ein oder andere am Dachboden mal ein Foto von Oma gefunden, mit strengem Dutt und rosa Tutu. Sah ganz süß aus, aber wer geht denn da heute noch freiwillig hin? Machen das nicht nur kleine Mädchen, die von Mama dazu gezwungen werden? Oder macht es etwa Spaß? Auch noch mit 20 und ganz aus freien Stücken?
"Ballett? So richtig mit Tutu und Spagat?" Das ist meistens das Erste, was ich zu hören bekomme, wenn ich auf die Frage nach meinen Hobbys "Ballett." antworte. Aber Ballett ist mehr als süße kleine Siebenjährige in rosa Röckchen, die zum Entzücken ihrer Mütter durch den Ballettsaal stolpern, oder die Primaballerinen auf den großen Bühnen, bei denen man sich mit jeder neuen Verrenkung fragt, wie lange ihre Bandscheiben diese Tortur noch hinnehmen werden. Was ist Ballett dann?
Ich mache Ballett seit ich drei Jahre alt bin. Mehr aus Zufall denn aus Begeisterung: Ich übernahm den Platz meiner großen Schwester, die damals in der Ballettschule aufhörte. Heute bin ich froh, dass ich dabei geblieben bin, denn das wöchentliche Training macht mir Spaß und es ist jedes Mal wieder eine tolle Erfahrung, auf der Bühne zu stehen. Dabei bin ich nicht mal eine besonders beeindruckende Tänzerin; Den immer nachgefragten Spagat beherrsche ich jedenfalls nicht.
Traum kleiner Mädchen
Doch darum geht es auch nicht. Zwar habe auch ich, wie wohl jedes kleine Mädchen, das von Mama in den Ballettunterricht geschickt wurde, mal davon geträumt, in New York oder Moskau die Giselle oder den sterbenden Schwan zu tanzen und ein Riesenpublikum zu begeistern. Aber auch mir wurde, wie den meisten, mit spätestens 14 Jahren klar, dass es dafür bei mir nicht reichen wird. Ich habe trotzdem weiter getanzt. Warum? Und was hat es mir gebracht, außer einer ausgeprägten Begeisterung für alle Arten von Tanzfilmen? Es gibt eine Menge Gründe, Ballett zu machen. Weil man fit bleiben will, weil man nette Leute kennen lernt oder einfach, weil es Spaß macht, sich zur Musik zu bewegen.
Ich empfand es immer als schön, einen Sport gefunden zu haben, bei dem sich nicht alles nur ums Gewinnen dreht. Sondern darum, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Und bei dem man nicht nur auf ein Ziel hinarbeitet, sondern manchmal einfach so vor sich hin tanzt. Vieles ist harte Arbeit: Dehnen, bis man sich fragt, ob die anderen, die den Spagat schon können, eigentlich aus Gummi sind; die Glieder verrenken, bis man den Ballettlehrer des Sadismus verdächtigt; blutig getanzte Füße aus Spitzenschuhen schälen und gefühlte tausendmal ein und dieselben zehn Sekunden proben, bis wirklich alle 14 Mädchen den Arm gleichzeitig heben. Trotzdem: Vor allem ist es die Freude am Tanzen, die ich aus dem Ballettunterricht ziehe. Die Fähigkeit, nicht nur Musik, sondern auch die eigene Stimmung in Bewegung zu übersetzen. Denn das ist für mich das schönste am Ballett: Die gelernten Bewegungen mit Leben auszufüllen. Mit den eigenen Gefühlen, der Freude oder auch der Wut. Solange, bis man vor Erschöpfung nicht mehr wütend ist.
Geschichte ohne Worte
Im Ballett habe ich gelernt, ohne Worte eine Geschichte zu erzählen. Dabei geht es nicht nur um klassische Ballette wie "Der Nussknacker". Jedes Lied erzählt irgendeine Geschichte und wer dazu tanzt, muss die passenden Bewegungen finden. Die meisten Ballettschulen bieten neben dem klassischen Unterricht auch modernen Tanz an. Von Breakdance bis hin zu Musicals ist alles Mögliche dabei. Ich habe zu Musik aus "Cats", "West Side Story" und "Step up" Tänze gelernt. Mal die originalen, mal eher eigene Kreationen, die unsere Lehrer unseren Fähigkeiten entsprechend choreographierten. Und so seltsam es klingen mag: Mit einer klassischen Ausbildung fällt es einem durchaus leichter, auch zu Hip Hop zu tanzen, schon allein deshalb, weil man beweglicher ist, und gewohnt, auf den Rhythmus zu hören. Und es war auch mal ganz lustig, auf dem Schulhof eine Breakdance-Einlage hinzulegen und auf die erstaunte Frage "Wo hast du denn DAS gelernt?" zu antworten: "Im Ballett."
Ballett hat aber noch mehr Vorteile, von denen man auf den ersten Blick nichts ahnt. Das gut ausgeprägte Gleichgewichtssystem zum Beispiel. Während meine Freundinnen auf ihren ersten High-Heels wankten und immer in Gefahr einer Bänderzerrung schwebten, hatte ich dank Spitzentanz zumindest mit diesem Problem nicht zu kämpfen.
Lampenfieber und Improvisation
Ich habe gelernt, aufzutreten, mit Lampenfieber umzugehen - und mich auch von Pannen nicht drausbringen zu lassen: Denn wenn man auf der Bühne vor über 100 Zuschauern plötzlich mitten im Tanz den Schuh verliert, muss es trotzdem weitergehen. Dann tanzt man eben halb barfuss weiter und versucht dabei noch, den Schuh unauffällig von der Bühne zu kicken, damit nicht irgendeine andere drüber stolpert. Und solche Erfahrungen sind nicht nur für Ballettauftritte brauchbar. Denn als ich in der Schule in einem Referat mehr als einmal den Faden verlor, versuchte ich es mit demselben Prinzip: Lächeln, so tun, als liefe alles nach Plan und dann weitermachen - irgendwie. Es hat funktioniert.
Ich habe aber noch mehr gelernt als Tanzen und Improvisieren. Nähen zum Beispiel. Als mir kurz vor der Aufführung ein Paar Schläppchen in die Hand gedrückt wurde: "Die musst du anziehen, deine passen farblich nicht... Ach ja, und du musst noch die Gummibänder annähen, sonst verlierst du sie..." "Ähm..." Eigentlich war Handarbeit nie meine Stärke, aber sie haben gehalten.
Aber auch als Kindergärtnerin, Maskenbildnerin oder Requisiteurin sammelte ich da Erfahrungen. Als hinter der Bühne ein Kind in Tränen ausbrach, weil Mama nicht da war. Als wir uns innerhalb weniger Minuten von russischen Landmädchen in amerikanische Großstädterinnen verwandeln sollten. Oder als ein Teil eines Kostüms einfach nicht mehr auffindbar war und am Ende ein mit Sicherheitsnadeln festgesteckter Stofffetzen als Gürtel herhalten musste.
Bleibende Erinnerungen
Ich jedenfalls werde meine Ballettschule vermissen, wenn ich zum Studieren Straubing verlasse: Den Saal, der sich seit 16 Jahren kaum verändert hat, die Lehrer, die ich alle länger hatte als die in den Schulen, und die anderen Tänzerinnen und Tänzer, mit denen man vor den Aufführungen gezittert oder sich an heißen Sommertagen über das anstrengende Training beschwert hat. Denn trotz manchmal schmerzender Füßen und chaotischer Aufführungen: Es ist schön. Ich kann das Hobby Ballett nur weiter empfehlen.