Alles sch(n)uppe?

Selbstversuch: Die Beine gegen einen Nixenschwanz tauschen


Arielle war schon immer meine Lieblings-Disneyprinzessin. Als Kind konnte ich ihre Filmsongs auswendig, verzierte meine Schulhefte mit Zeichnungen von Unterwassermenschen und wollte Meeresbiologie studieren. Heute bin ich erwachsen, studiere Medien und Kommunikation und weiß, dass es keine Kreuzung zwischen Mensch und Fisch gibt. Den Gedanken, per Flosse die Tiefen des Ozeans zu erforschen, finde ich allerdings immer noch faszinierend. Was also tun, um meinem Kindheitstraum so nah wie möglich zu kommen? Die Lösung: ein Meerjungfrauen-Schwimmkurs im Erlebnisbad "elypso" in Deggendorf.

Unter der gläsernen Kuppel des Bades herrschen an diesem Dienstagnachmittag tropische Temperaturen. Die Luft ist zum Schneiden dick, das Wasser gluckst und glitzert verheißungsvoll. Ich schmecke Chlor auf der Zunge, rieche Feuchtigkeit und Desinfektionsmittel. Zusammen mit zehn Mädchen im Grundschulalter warte ich auf Kursleiterin Alexandra Baranyai-Szabó. Sie wird uns in die Kunst des Meerjungfrauenschwimmens einweisen und begrüßt uns spaßhaft mit den Worten: "Ich bin hier die Obernixe." Die braun gebrannte 30-Jährige mit den haselnussfarbenen Haaren und Augen ist trainiert und schlank. Sie ist ehemalige Europameisterin im Synchronschwimmen und über das Internet auf die Flosse gekommen. Nun gibt sie Kurse im Spaßbad.

Mit Socken in die Flosse

Ich frage nach bestimmten Voraussetzungen und erwähne beiläufig, dass mein Sternzeichen Wassermann ist. Alexandra Baranyai-Szabó lacht. "Das Meerjungfrauenschwimmen ist eine Erweiterung des normalen Schwimmens mit mehr Pepp", erklärt sie. Mitmachen kann jeder, der mindestens acht Jahre ist und schwimmen kann. "Dass wir eine Erwachsene hierhaben, ist eine Premiere", eröffnet sie mir mit einem Augenzwinkern.

Vor ihr liegen die drei Bestandteile der sogenannten Monoflosse. Ein durchsichtiges Acrylblatt in Delfinflossenform mit einem schwarzen Fußteil aus Gummi, darüber ein flauschig weißer Schutzüberzug. Daneben liegen leblose Schläuche aus dehnbarem Badeanzugstoff in Grün, Blau und Gelb. Sie werden über die Beine gezogen. Wer empfindliche Füße hat, soll Socken gegen die Reibung tragen. Das Ganze kostet 160 Euro und wiegt mit Wasser vollgesogen vier bis fünf Kilo. "Es ist eine Einmalanschaffung und der Einstieg für den Sport", erklärt Alexandra Baranyai-Szabó. Profis lassen sich eine Flosse aus Silikon für 1 000 bis 5 000 Euro maßschneidern.

Die Trendwelle des "Mermaiding" schwappt gerade aus Amerika zu uns herüber. Deutschland ist europäischer Vorreiter. Mittlerweile gibt es einen Flossenhersteller namens "Magictail", eine Bayerische Meerjungfrauen-Schwimmschule und einen deutschen Meerjungfrauen-Club. In Ägypten wird dieses Jahr noch die "Miss Mermaid Germany" gewählt. "Ich glaube nicht, dass es nur ein kurzweiliger Trend ist. Das fängt gerade erst an", vermutet die Kursleiterin.

Anziehen wie eine Strumpfhose

Die Nixen stürzen sich auf die Flossen wie im Schlussverkauf. Ich selbst ergattere eine farblich passende zu meinem Bikini-Oberteil. Sie ist stromlinienförmig, so wie ich es früher immer gezeichnet habe, mit pflaumenfarbigen Schuppen bedruckt und fühlt sich an wie nasses Seehundfell. Ich ziehe sie wie eine Strumpfhose bis zum Bauchnabel. Wie soll ich mit so zusammengebundenen Beinen bloß ins Becken kommen?

Hinein ins Blaue: Zeit für erste Flossenschläge

Auf dem Hinterteil robbe ich vorwärts und gleite langsam ins Blaue. Ich tauche unter, lasse das Leben an Land und seine Geräusche hinter mir. Statt gefliester Beckenwände sehe ich spielende Fische und schillernde Korallen. Meine Haare streichen wie Wasserpflanzen um meine Ohren, kräftige Flossenschläge treiben mich schnell voran, das Wasser fließt samtig über meine Haut. Nicht gerade die unendlichen Weiten des Ozeans, aber viel besser als meine Versuche früher in der Badewanne. Nur der Ohrendruck macht mir zu schaffen. Der Auftrieb trägt mich zurück an die Oberfläche. Die neunjährige Hannah Jonas taucht prustend neben mir auf: "Ich habe dich nachgemacht", sagt sie. Ich muss lächeln und fühle mich geschmeichelt. Die Expertin aber findet noch einiges zu verbessern. "Die Bewegung ist ähnlich wie beim Delfinschwimmen und muss aus der Körpermitte kommen. Die Beine fest zusammen und bis in die Zehenspitzen durchgestreckt. Schau her", sagt Alexandra Baranyai-Szabó und schwimmt mir das Prinzip vor. Die Arme wie eine Pfeilspitze gestreckt, eine Vorwärtsrolle unter Wasser, die Flosse klatscht mit einem beeindruckend lauten "Flapp" auf die Oberfläche.

Mein erster Versuch bringt mir eine Nasenspülung mit Chlorwasser ein. Ziemlich anstrengend so ein Disneytraum. "Es ist weit mehr als nur ein bisschen Hin- und Herschwimmen. Es trainiert mehr Muskeln als Fußball", betont die 30-Jährige. Außerdem fördere das Schwimmen mit der Flosse Koordination, Ausdauer und Körpergefühl. Wegen alldem wäre es eigentlich auch für Meermänner interessant. In Deggendorf war bisher nur einmal ein Junge dabei. "Mein Mann hat es auch ausprobiert - mit der Bedingung, dass keine anderen Badegäste mehr da sind. Er war überrascht, wie anstrengend es ist", erzählt die Kursleiterin lachend. Ich sehe meinen Nixenfreundinnen beim Toben zu. Sie üben Schrauben und tauchen durch Reifen. Nur hin und wieder rutschen ihre Füße aus der Flosse, Socken in Rot und Schwarz-Weiß gestreift kommen zum Vorschein. Die Illusion ist für einen kurzen Moment zerstört. Wir erregen jede Menge Aufsehen im Bad. Kleine Mädchen schwimmen immer wieder an mir vorbei, berühren ehrfürchtig meine Flosse, um zu prüfen, ob sie echt ist. Leute tauchen mit Schwimmbrillen, um uns unter Wasser zuzusehen. Die Smartphones der stolzen Väter klicken, Mütter sehen mit glänzenden Augen zu.

Unfassbar und mystisch

Neu ist diese Faszination nicht. Die Menschen sind seit Jahrhunderten von Wasserwesen gefesselt. Beweise dafür: Hans Christian Andersens Märchen "Die kleine Meerjungfrau" oder Heinrich Heines Lied von der Loreley. Warum verzichten nun also Menschen auf ihre Beine, wo doch Arielle so dringend welche wollte? "Meerjungfrauen sind Fabelwesen, unfassbar und mystisch. Im Wasser kann man jemand anderer sein", glaubt Alexandra Baranyai-Szabó.

Auch ich vergesse bald, dass ich eigentlich Beine und keine Flosse habe. Bis ich einen Krampf in den Zehen bekomme. Da kommt mir die Pause zum Schminken gerade recht. Denn am Ende des Kurses folgt die Reifeprüfung für jede Möchtegern-Meerjungfrau: ein Unterwasser-Fotoshooting. Das Motto: Glitzern muss die Nixe! Ich bekomme die Farben Lila und Himmelblau verpasst. Im Wasser ist Multitasking hoch zehn gefordert: Sekundenlang die Luft an- und die Augen offenhalten, die Haarwolke bändigen, Luftblasen vermeiden, zur Kamera tauchen, lächeln, lächeln, lächeln - und dabei einen halbwegs menschlichen Gesichtsausdruck hinkriegen. Ich habe Angst, dass mir die Kontaktlinsen wegschwimmen. Die Anstrengung treibt mir die letzten Luftreserven aus der Lunge. Erschöpft hechte ich mit einem wenig grazilen Bauchklatscher aus dem Becken. Autsch! Meine Finger und Zehen sind aufgeweicht und meine Knöchel zeigen rote Druckstellen. Dennoch will ich die Flosse gar nicht mehr hergeben. Sicher war das nicht mein letztes Mal beim Meerjungfrauenschwimmen. Und wenn ich heimkomme, schaue ich mir "Arielle" auf DVD an. Denn nun kann ich mitreden.

Die nächsten Termine fürs Meerjungfrauenschwimmen im elypso in Deggendorf sind am 5. und 19. Oktober je von 15 bis 18 Uhr und am 3. und 5. November je von 9.30 Uhr bis 12.30 Uhr.