Das Brexit-Beben
Stimmen aus Politik und Wirtschaft in der Region
16. Januar 2019, 10:11 Uhr aktualisiert am 16. Januar 2019, 19:27 Uhr
Das Brexit-Beben vom Dienstag und die Nachwirkungen. 24 Stunden nach der schallenden Ohrfeige muss sich Großbritanniens Premierministerin Theresa May einem Misstrauensvotum stellen. Europa und die Welt schauen gebannt auf das Vereinigte Königreich. Wir haben Stimmen aus der bayerischen Wirtschaft und Politik zur gestrigen Abstimmung in London gesammelt.
"Das Resultat der Abstimmung im House of Commons bedeutet, dass die Unsicherheit bezüglich der Handelsbeziehungen zwischen UK und der EU nach dem Brexit größer geworden ist. Unsicherheit ist für unsere Geschäftstätigkeit nicht hilfreich. Als verantwortungsvolles Unternehmen bereiten wir uns daher weiterhin auf das Worst-Case-Szenario und damit einen no-deal Brexit vor. Wir appellieren nachdrücklich an alle Beteiligten, alles Mögliche zu tun, um dringend benötigte langfristige Planungssicherheit zu schaffen und den reibungslosen Handel aufrecht zu erhalten, auf dem unser internationales Produktionsnetzwerk basiert." - Christina Hepe, Pressesprecherin BMW Group
"Bei einem harten Brexit bleibt kaum ein Wirtschaftsbereich ausgeklammert. Ein 'no deal' bedeutet nicht nur das Ende des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und die Einführung von Zöllen, betroffen sind ebenso Bereiche von Markenrecht und Umsatzsteuer bis zum Finanzsektor oder etwa der Austausch von Mitarbeitern. Das alles wird bürokratischer, komplizierter, zeitaufwändiger und damit teurer. Die Auswirkungen sind weitreichender, als man auf den ersten Blick vermuten würde." - Peter Sonnleitner, Bereichsleiter International der IHK Niederbayern
"Ein harter Brexit ist kaum noch zu vermeiden. Dieser würde gravierende Folgen für die Wirtschaft nach sich ziehen. Es muss jetzt schnell eine politische und damit die Wirtschaft stabilisierende Lösung gefunden werden, die unseren Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit zurückgibt. Der Brexit insgesamt ist und bleibt aus unserer Sicht sowohl für Großbritannien wie auch für die Mitgliedstaaten der EU grundlegend falsch. Dennoch müssen wir die Austrittsentscheidung Großbritanniens akzeptieren. Wenige Wochen vor dem Ausstiegsdatum können sich unsere Unternehmen nicht in der erforderlichen Weise vorbereiten. Ein ungeordnetes Ausscheiden des Vereinigten Königreichs riskiert ein bilaterales Außenhandelsvolumen Bayerns von über 20 Milliarden Euro an Ein- und Ausfuhren von Waren. Die unmittelbar drohende Rezession in der britischen Wirtschaft wird das Wachstum in Bayern beeinträchtigen. Ein ungeordnetes Ausscheiden des Vereinigten Königreiches muss London unbedingt vermeiden. Die Wirtschaft erwartet von der Premierministerin rasche Antworten, wie es weitergehen soll, insbesondere zu der Möglichkeit, den Austritt zu verschieben. Jede Unklarheit würde Tausende von Unternehmen und Arbeitsplätzen in Deutschland, Bayern und vor allem im Vereinigten Königreich gefährden." - Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer vbw (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V.)
"Wir würden uns einfach wünschen, dass die Briten sagen, was sie wirklich wollen. Das, was jetzt passiert, ist das totale Chaos und die totale Unregierbarkeit Großbritanniens", sagte Bayerns Ministerpräsident am Mittwoch auf einer CSU-Fraktionsklausur im oberfränkischen Kloster Banz. "Wir würden und wollten die Briten immer bei uns halten." Nach wie vor habe man Interesse an einem "geregelten Übergang". "Im Moment ist nichts planbar und machbar." - Ministerpräsident Markus Söder
"Kompletter Ausstieg ohne Deal wäre für alle Beteiligten ein Desaster"
"Der Ausgang der gestrigen Abstimmung hat mich nicht überrascht, wohl aber das deutliche Ergebnis. Das war schon sehr heftig. Es ist eine schwierige Situation. Jetzt muss man erst einmal das heutige Misstrauensvotum abwarten. Wir alle hätten gerne Klarheit. Zeit genug wäre da gewesen. Da aber immer noch alles offen ist, muss auch die bayerische Wirtschaft im Grunde auf alles vorbereitet sein und ich denke, dass dies auch der Fall ist - so gut das eben möglich ist. Ich habe mich häufig mit Experten in England unterhalten, die dort im Bankensektor tätig sind. Sie sind der Meinung, dass ein neues Referendum nicht zwingend einen anderen Ausgang bringen würde. Die Chancen stehen 50/50. Ein kompletter Ausstieg ohne Deal wäre jedoch für alle Beteiligten ein Desaster. Bei einem Brexit haben wir im Bundestag vier Milliarden Euro Mehrkosten für den Haushalt eingeplant." - Alois Rainer, MdB (CSU)
"Nicht für jedes Unternehmen wird Großbritannien im Falle eines ungeregelten Brexits als EU-Drittland attraktiv bleiben. Solange keine Regelungen herrschen, drohen den Unternehmen im bilateralen Handel mit der Insel hohe Zollkosten, nicht planbare Abfertigungszeiten an den Grenzen und ein Ende des freien Personenverkehrs. Es bleibt jetzt wenig Zeit, um dennoch eine Übergangslösung zu finden. Ansonsten können die Firmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr so einfach nach Großbritannien entsenden und Zulieferteile werden an den Häfen in Dover oder Ramsgate feststecken. Der Handelsnation Großbritannien wird an guten Geschäftsbeziehungen gelegen sein, nur bis ein Freihandelsabkommen abgeschlossen ist, wird viel Zeit vergehen." - Markus Huber, Außenwirtschaftsexperte der IHK Oberpfalz Regensburg/Kelheim
"Unmittelbar sind wir als Unternehmen nur in geringem Umfang von einem anstehenden Brexit betroffen, da Osram lediglich einen sehr kleinen Teil seines Jahresumsatzes in Großbritannien erwirtschaftet. Allerdings könnten die fortgesetzte Unsicherheit und gegebenenfalls die Folgen eines ungeregelten Austritts für viele unserer Kunden geschäftsrelevant sein und einen negativen Einfluss auf das Markt- und Wirtschaftsumfeld haben." - Jens Hack, Pressesprecher Osram München/Regensburg
"Hätte es die Flüchtlingskrise bei uns nicht gegeben, wären die Briten in der EU geblieben"
"Bayern hat gute und enge Handels- und Investitionsbeziehungen zum Vereinigten Königreich. Es war 2017 unser zweitwichtigster Exportmarkt innerhalb der EU und viertwichtigster weltweit. Bayern hat Waren und Dienstleistungen von fast 14 Milliarden Euro, das heißt 7,3 Prozent der bayerischen Ausfuhren, nach Großbritannien geliefert. Brexit wäre ein Verlustgeschäft für beide Seiten: die Wirtschaftsbeziehungen würden beschwerlicher, bürokratischer und im Ergebnis teurer. Der Binnenmarkt muss weiterhin reibungslos funktionieren. Am liebsten wäre mir, Großbritannien würde am Ende doch noch in der EU bleiben. Ich bin mir sicher, hätte es die Flüchtlingskrise bei uns nicht gegeben, wären die Briten in der EU geblieben. Bayerns Wirtschaft ist zwar robust. Die Gefahren, die für unsere exportorientierten Unternehmer drohen, wären aber ein völlig unnötiges Risiko. Allein schon durch Lieferverzögerungen, die Zoll- und Passkontrollen mit sich bringen könnten, kann der Export geschädigt werden - ganz zu schweigen von potenziellen Zöllen und den Bürokratiekosten der Zollabwicklung." - Hubert Aiwanger, MdL/Bayerns Wirtschaftminister (Freie Wähler)
"Ein ungeordneter Brexit ist die schlechteste aller denkbaren Lösungen. Zunächst treffen die Konsequenzen natürlich die Briten, dann aber auch die Europäer, die in der EU verbleiben. Es sind vielfältige negative Auswirkungen auf die Wirtschaft zu erwarten. Da auch in der Region Straubing etliche Unternehmen tätig sind, die international agieren, können negative Auswirkungen auf Stadt und Region nicht ausgeschlossen werden." - Markus Pannermayr, Oberbürgermeister von Straubing (CSU)
"Grundsätzlich bedauern wir den Austrittswunsch sehr und hegen eine große Sorge in Zusammenhang mit einem möglichen ungeordneten Brexit - unter anderem in Bezug auf das gesamte Handelsgeschehen und die Nordirland-Frage. Die Folgen davon sind völlig offen. Geschäfte könnten ganz wegfallen, die Auswirkungen auf die Betriebe könnten entsprechend negativ sein. Für die Stadt Regensburg könnte sich das dann in der Festsetzung der Gewerbesteuer bemerkbar machen." - Dieter Daminger, Referent für Wirtschaft, Wissenschaft und Finanzen