Deutscher Judoka

Dominic Ressel: "Habe das Potenzial zum Olympiasieger"


Judoka Dominic Ressel.

Judoka Dominic Ressel.

Von Magnus Rötzer

Judoka Dominic Ressel spricht im Interview über die Olympia-Absage, seine Schulter-Operation und die aktuellen Trainingsmöglichkeiten.

Dominic Ressel ist Judoka in der Gewichtsklasse bis 81 Kilogramm und gilt als eine der deutschen Medaillenhoffnungen für Olympia in Tokio 2021. Im ausführlichen idowa-Interview spricht der gebürtige Kieler und Weltranglistendritte über den Reiz des Judosports, Willen und Werte und über die Chancen der Verschiebung der Olympischen Spiele.

Herr Ressel, Olympia wäre ursprünglich kürzlich zu Ende gegangen. Wie haben Sie die Verlegung der Spiele auf 2021 aufgenommen?
Dominic Ressel: Noch bevor Olympia verschoben wurde, war mein Stand der Dinge, dass es entweder verschoben oder gecancelt wird. Dann habe ich natürlich die Verschiebung um ein Jahr erst einmal positiv aufgenommen. Über lange Zeit hinweg war ich immer der Optimist, als alle schon den Teufel an die Wand gemalt haben. Ich dachte mir, da müsse schon viel passieren, dass es nicht stattfindet in diesem Jahr. Dann ging es hin und her. Im Endeffekt bin ich glücklich darüber, dass die Spiele nur verschoben wurden.

Wie gehen Sie als Sportler damit um, wenn man lange Zeit auf ein Event wie Olympia hinarbeitet und es dann verschoben wird?
Ressel: Mein Gedanke war: Ich habe jetzt mehr Zeit, mich darauf vorzubereiten.

Also ist es für Sie gar nicht negativ, dass Olympia erst im nächsten Jahr stattfindet?
Ressel: Es ist schon negativ und ärgerlich. Aber was bringt es einem, den Kopf in den Sand zu stecken und die ganze Zeit zu sagen, dass alles scheiße ist? Durch die Verschiebung haben ich und meine Teamkameraden die Chance, uns umso besser auf Olympia vorzubereiten - leider gilt das auch für meine Konkurrenten. So versuche ich das Ganze zu sehen. Es fühlt sich dann schon komisch an zu sagen: 'Heute Abend hätte ich eigentlich - wenn alles gut gegangen wäre - mit der Goldmedaille um den Hals irgendwo in Tokio im Club feiern können.'

Im März wurde Olympia verschoben, spätestens im Juli wären die Teilnehmer offiziell festgestanden. Werden die Karten für das Teilnehmerfeld jetzt noch einmal neu gemischt oder können Sie sich schon sicher sein, dass Sie auch 2021 dabei sein werden?
Ressel: Es ist nicht hundertprozentig sicher. So wie ich das mitbekommen habe, wäre ich in diesem Jahr gefahren, der Deutsche Judo-Bund (DJB) hatte die Nominierungen schon gemacht. Die Nominierung wurde nun noch einmal aufgehoben, weil der Verband meinte, dass es dafür jetzt zu früh wäre. Die neuen Nominierungskriterien sollen wohl so formuliert sein, dass im Prinzip die Leute, die sowieso schon nominiert waren, wieder fahren werden, es sei denn die Kandidaten würden sich noch verletzen.

Apropos Verletzung: Nachdem bekannt wurde, dass Olympia verschoben wird, haben Sie sich zu einer Schulter-OP entschlossen. Wie sind die Operation und der Heilungsprozess verlaufen?
Ressel: Es ist alles gut verlaufen. Ich bin jetzt langsam wieder ins Judotraining eingestiegen. Es war eine langwierige Verletzung, die ich schon mindestens zwei Jahre mit mir herumgeschleppt hatte, aber nie die Zeit hatte, mich darum zu kümmern.

Und jetzt war der perfekte Zeitpunkt dafür gekommen...
Ressel: Genau. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt. Ich habe nicht viel an Training verpasst und vor allem keine Turniere oder ähnliches, wo es um wichtige Punkte geht.

Dominic Ressel über die neugewonnene "Leidenschaft" Laufen, das aktuelle Training und seinen Terminplan

Sport im Allgemeinen war sowieso lange nicht möglich. Wie haben Sie sich nach Ihrer Operation fit gehalten?
Ressel: Nach der OP war erst einmal nicht viel möglich. Ich bin dann so viel gelaufen, wie noch nie in meinem Leben. Ich mag Laufen eigentlich nicht, aber ich habe dann gelernt, es zu mögen (schmunzelt). Wir haben teilweise auch in einer Garage eines Kumpels ein bisschen Gewichte gestemmt, das war neben dem Laufen das einzig Mögliche.

Wann konnten Sie zum ersten Mal wieder ein richtiges Judotraining abhalten?
Ressel: Vor der OP habe ich anderthalb Wochen Judo gemacht, das war aber sehr eingeschränkt. Immer nur mit meinem Mitbewohner als Partner. Judo ist sehr komplex, jeder kämpft unterschiedlich, da ist das Trainieren mit nur einem Partner immer noch sehr eingeschränkt. Für mich war dann wegen der OP ja Schluss, aber bei den anderen ging es eigentlich relativ zügig voran. Jetzt trainieren wir bereits mit bis zu zwanzig Leuten auf der Matte, das ist schon fast wieder der Normalzustand.

Gibt es denn im aktuellen Training Unterschiede im Vergleich zu den Einheiten vor Corona?
Ressel: In der Halle dürfen wir unsere Masken abnehmen, aber auf dem Weg in die Halle - das ist ein großer Komplex, in dem wir trainieren - müssen wir eine Maske tragen. Wir müssen täglich einen Fragebogen ausfüllen, ob wir irgendwelche Anzeichen für eine Infektion haben. Zudem wird jede zweite Dusche freigelassen und in den Kraftraum darf auch nur eine begrenzte Anzahl an Leuten. Normalerweise trainieren wir nicht so früh, aber zurzeit ist irgendwer der "Dumme", der dann um 7 Uhr im Kraftraum sein muss, damit das zeitlich funktioniert.

Sämtliche Wettkämpfe wurden abgesagt. Laut Terminplan der International Judo Federation soll der Grand Prix in Zagreb das nächste stattfindende Event sein. Steht für Sie persönlich schon fest, wann Sie Ihren nächsten Wettkampf bestreiten werden?
Ressel: Die Termine stehen zwar im Internet, aber ob die Wettkämpfe stattfinden werden, ist eine andere Frage. Es sollen auch noch internationale Trainingslager stattfinden, aber mein Trainer hat gesagt, dass wir dort nicht teilnehmen werden. Der Nutzen im Vergleich zum Risiko ist zu gering. Judo ist ein Vollkontaktsport. Wenn wir unter uns trainieren, dann trainieren wir vielleicht mit fünf, sechs Leuten zusammen. Aber bei internationalen Trainingslagern rangeln wir da in einer Woche mit dreißig, vierzig Leuten. Da ist das Risiko zu hoch.

Wie ist es denn für Sie, ohne ein konkretes Ziel vor Augen zu trainieren? Ist das als Wettkampfsportler eine Herausforderung?
Ressel: Auf jeden Fall. Für mich geht es zurzeit, ich bin ja wegen meiner Schulter sowieso noch nicht zurück im Training. Für mich heißt es erst wieder richtig fit werden. Da hab ich jetzt keinen Rückschlag, aber kürzlich habe ich das erste Mal wieder ganz locker gekämpft und am Tag danach tat die Schulter schon noch ein wenig weh. Die anderen Kämpfer haben mit dem Bundestrainer gesprochen, wir wollen etwas mehr Planung im Training und ein Ziel pro Woche. Ein Speerwerfer kann trainieren, sieht Fortschritte und kann vergleichen, wie weit er den Speer vor Corona im Vergleich zu jetzt geworfen hat. Aber ein Judoka kann diesen Vergleich nicht anstellen, ohne sich Kopf-an-Kopf mit seinen Konkurrenten zu messen. Wenn ich mich in die Situation der anderen Judokas hineinversetze, dann wäre das für den Kopf schon anstrengend, einfach zu trainieren, ohne einen Fortschritt zu merken.

Wie hat sich denn Ihr erster Trainingskampf angefühlt?
Ressel: Das fühlt sich immer gut an, wenn man wieder etwas Judo machen kann. Alleine schon Uchi Komi (Techniktraining, gezieltes Wiederholen von Bewegungsabläufen; Anm. d. Red.) fühlt sich für mich sehr gut an, wenn man lange kein Judo mehr gemacht hat. Ich freue mich jedes Mal wieder tierisch und es juckt in den Fingern.

Dominic Ressel über seine Erfolge, den Reiz des Judo und Werte

Sprechen wir über Ihre bisherigen Erfolge. Dazu gehören zum Beispiel der Sieg des Grand Slams in Paris 2019 oder der dritte Platz beim Grand Slam in Düsseldorf. 2017 wurden Sie Vize-Europameister. Was war Ihr persönlich schönster Erfolg?
Ressel: Paris ist natürlich ganz vorne mit dabei. Der Sieg dort war für mich ein Meilenstein und hat mir persönlich gezeigt, dass ich zur Weltspitze gehöre. Ich glaube, ich habe vorher einmal einen Grand Prix gewonnen, der allerdings nicht so stark besetzt war wie Paris und Paris ist im Judo eines der größten Turniere im ganzen Jahr. Rein emotional betrachtet war der schönste Moment, als ich in Düsseldorf zuhause die erste Medaille geholt habe. Es war zwar nur der dritte Platz, aber es ist etwas anderes, wenn Freunde und Familie in der Halle sind. In Paris herrscht eine riesige Atmosphäre, aber wenn meine Eltern und meine Schwester mit in der Halle sind, dann ist das doch noch einmal etwas anderes.

Beim Grand Slam in Düsseldorf 2018 setzte sich Ressel unter anderem gegen den späteren und amtierenden Weltmeister Sagi Muki durch und gewann die Bronzemedaille. (Foto: imago)

Beim Grand Slam in Düsseldorf 2018 setzte sich Ressel unter anderem gegen den späteren und amtierenden Weltmeister Sagi Muki durch und gewann die Bronzemedaille. (Foto: imago)

Sie sprechen es an: Als Sie den Sieg in Paris eingefahren haben, haben Sie realisiert, Sie gehören zur Weltspitze. Machten Sie sich deshalb in den nachfolgenden Turnieren selber noch mehr Druck als zuvor?
Ressel: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich gebe immer mein Bestes, aber ich mache mir persönlich keinen Druck. Es ist immer noch Judo und man kann gegen jeden verlieren. Ich sage jetzt nicht: Ich bin unbesiegbar und ich blamiere mich, wenn ich gegen jemanden verliere, der nicht in der Top Ten der Weltrangliste ist.

Judo-Weltmeister und Kommentatoren-Legende Neil Adams meinte in einem Video über Sie, dass Sie die Fehler Ihrer Gegner perfekt zu Ihren Gunsten ausnutzen können und das einen guten Judoka ausmacht. Wo sehen Sie selbst Ihre Stärken?
Ressel: Es ist eine Stärke und eine Schwäche von mir, dass ich gut fühlen und improvisieren kann. Ich kann die Fehler der Gegner gut nutzen, wenn sie falsch in einen Wurf einsteigen. Auf der anderen Seite verleitet mich dieses Gefühl oft dazu, die Linie, die vor dem Kampf besprochen wird, zu überschreiten. Das kann dazu führen, dass ich selbst Fehler mache. Dieses Gefühl ist also Fluch und Segen zugleich.

In einem Video des Weltverbands sagten Sie, dass derjenige mit dem größten Willen Olympiasieger wird. Sind Sie derjenige mit dem größten Willen?
Ressel: Das würde ich schon sagen. Das zeigt sich dann an Tag X. Aber ich bin motiviert, ich bin gewillt und ich habe das Potenzial dazu.

Was macht für Sie den Reiz des Judosports aus?
Ressel: Der Reiz, im Mann gegen Mann der Bessere zu sein. Ich liebe diesen Sport, ich liebe es zu kämpfen und zu sehen, wer der Bessere ist. Auch wenn ich mal verliere, das kommt vor. Man kann auch zweimal gegen denselben Gegner verlieren. Aber es fühlt sich gut an, wenn man merkt, dass es bei der zweiten Niederlage knapper war als bei der ersten und man sich denkt: Beim nächsten Mal kriege ich ihn vielleicht. Und wenn nicht - dann beim übernächsten Mal.

Gerade im Leistungssport muss man viele Opfer bringen. Wie hat Judo Ihr Leben geprägt?
Ressel: Eigentlich komplett. Mit 17 Jahren bin ich von meinem Elternhaus weg nach München gezogen. Ich würde es aber nicht als Opfer bezeichnen. Es sind kleine Dinge, bei denen ich aber niemals sagen würde, dass ich was verpasst habe. Zum Beispiel in der Teenager-Phase, als alle Freunde aus der Schule Feiern gegangen sind und man dann sagen musste, dass man nicht kann, weil man am Wochenende ein Turnier hat. Hinzu kommt das Achten auf das Gewicht und der Verzicht auf gutes Essen. Aber das war es alles wert.

Sie arbeiten bei der Bundespolizei. Inwieweit hilft es Ihnen im Vergleich zu anderen Judokas, dass Sie der Sportgruppe der Bundespolizei angehören?
Ressel: Für mich persönlich ist das die beste Möglichkeit. Wir haben in der Nationalmannschaft nur Sportsoldaten oder Sportpolizisten. Diejenigen, die bei der Bundeswehr sind, studieren nebenbei noch und kümmern sich um Ihre Zukunft. Das ist leider so in Deutschland, dass wir Judokas uns nebenbei um unsere Zukunft kümmern müssen. Für mich persönlich war das Studium keine Option. Ich habe es versucht, aber relativ schnell aufgegeben und dann blieb für mich nur noch die Option Bundespolizei. Man muss schon sehr schlau und talentiert in seinem Studienfach sein, um nebenbei noch an der internationalen Spitze im Judo zu sein.

Im Judo sind Werte wie Respekt, Hilfsbereitschaft und Mut gefragt und werden dort auch gelebt. Werte, die es in unserer Gesellschaft in der aktuellen Situation besonders bedarf?
Ressel: Ich denke schon, ja. Mut vielleicht nicht gerade, aber Respekt und Anstand sind wichtige Aspekte, die man heutzutage beachten sollte. Wenn ich in die Halle gehe, gehe ich davon aus, dass sich meine Teamkameraden neben der Matte zusammenreißen, sich an Regeln halten und selber aufpassen. Ich denke, dass wir Judokas schon geprägt sind durch den Sport, die Disziplin und den Respekt, der uns gelehrt wird.