In eigener Sache
Warum wir bei schweren Unfällen zurückhaltend berichten
4. Mai 2022, 18:05 Uhr
Sagen, was ist. Dieser Leitspruch von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein gilt als eine der wichtigsten Formeln für guten Journalismus. Auch unsere Redaktion versucht jeden Tag, diesem Anspruch gerecht zu werden. Wir recherchieren gründlich, fragen kritisch nach und berichten möglichst zeitnah. Geht es allerdings um Unfälle mit Schwerverletzten oder sogar Todesopfern, halten wir uns mit unserer Berichterstattung zurück. Erst recht, wenn es sich um einen Suizidversuch handeln könnte. In diesem Artikel möchten wir transparent machen, warum wir so vorgehen.
Zunächst einmal: Unfälle oder andere Einsätze mit Schwerverletzten Todesopfern gehören zu den traurigsten Anlässen, über die eine Redaktion berichten kann. Sie hinterlassen Trauer, Schmerz und Betroffenheit. Gleichzeitig sehen wir es als unsere Pflicht an, über alle wichtigen Ereignisse in unserer Region zu berichten - das schließt auch die Traurigen ein. Da tödliche Unfälle in aller Regel im öffentlichen Raum geschehen, machen wir bei diesen keine Ausnahme. Wir gehen bei unserer Berichterstattung aber besonders sensibel vor. Konkret bedeutet das:
Rücksicht auf die Angehörigen
Normalerweise ist es unser Anspruch, in unserer Berichterstattung möglichst schnell den jeweils aktuellen Stand abzubilden. Bei tödlichen Unfällen tun wir das jedoch nicht. Denn in solchen Fällen steht für uns die Rücksicht auf die Angehörigen der Opfer vor dem öffentlichen Interesse. Wir berichten natürlich zeitnah, wo und wann sich der Unfall ereignet hat und schildern auch den Hergang, sofern er bereits bekannt ist. Dies sind ja wichtige Informationen, beispielsweise für Autofahrer, die sich auf eine Verkehrssperre einstellen müssen. Allerdings schreiben wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob bei dem Unfall Personen ums Leben gekommen sind - selbst, wenn wir das bereits sicher wissen. Der Grund: Wir warten ab, bis die Polizei die Angehörigen der Verstorbenen kontaktiert und ihnen die traurigen Nachrichten überbracht hat. Erst dann schreiben wir in unseren Berichten von Todesopfern. Wir tun das, um zu verhindern, dass Angehörige durch unsere Berichterstattung vom Tod ihrer Liebsten erfahren. Solche Nachrichten sind für die Betroffenen schwer genug. Sie sollten sie deswegen nicht aus der Presse, sondern von dafür geschulten Beamten erfahren.
Zurückhaltung bei Bildern
Wir halten uns bei Unfallbildern generell eher zurück. Bei Unfällen mit Schwerverletzten oder Todesopfern schauen wir aber noch einmal genauer hin und wägen ab. Zwei Punkte sind hier besonders wichtig: Die Würde der Opfer - und der Schutz der Leser. Bilder, auf denen Leichen oder Schwerverletzte zu sehen sind, veröffentlichen wir nur in absoluten Ausnahmefällen. Die grauenhaften Kriegsbilder aus Butscha, die weltweit für Entsetzen gesorgt haben, waren so eine Ausnahme. Denn hier ist es für das Verständnis des Textes wichtig, die Bilder auch selbst sehen zu können. Weitere Beispiele aus der Vergangenheit wären das Foto des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi oder Geschehnisse von zeitgeschichtlicher Relevanz wie 9/11. Auch in solchen Fällen hinterfragen wir uns aber immer wieder selbst, ob ein Bild wirklich zumutbar und notwendig ist. Bei Unfällen sind Fotos von Verletzten in der Regel nicht nötig, um das Geschehene zu begreifen - deswegen entscheiden wir uns hier oft gegen eine Veröffentlichung. Falls wir Fotos zeigen, stellen wir sicher, dass darauf niemand erkennbar ist und auch keine Rückschlüsse auf die Betroffenen möglich sind. So verpixeln wir Kennzeichen und auch andere Details, die ein beteiligtes Auto identifizierbar machen könnten.
Sensibilität bei Kommentaren
Meinungsfreiheit ist uns sehr wichtig. Grundsätzlich lassen wir bei all unseren Themen Diskussionen und Kommentare zu, solange sie respektvoll vorgetragen werden. Geht es um tödliche Unfälle oder solche mit Schwerverletzten, sind wir aber besonders wachsam und entfernen bisweilen auch Beiträge, die nicht per se gegen unsere Kommentarregeln verstoßen. Ein klassisches Beispiel: Es kommt immer wieder vor, dass unter Artikeln zu Unfällen über die mögliche Ursache spekuliert wird. Prinzipiell ist eine solche Diskussion natürlich legitim. Unter einem Beitrag zu einem tödlichen Unfall wirkt sie allerdings mindestens deplatziert, wenn nicht gar respektlos. Das gilt besonders, wenn es um eventuelle Schuldzuweisungen geht. Bedenken Sie: Auch Angehörige oder Freunde des Opfers könnten hier mitlesen. Deswegen unterbinden wir solche Beiträge häufig. Das gleiche gilt, wenn Nutzer, die den Unfall selbst beobachtet haben, eigene Eindrücke weiterverbreiten. Wenn sie beispielsweise schreiben, dass der Fahrer ums Leben gekommen ist, obwohl dies noch nicht offiziell bestätigt ist. Auch in solchen Fällen greifen wir ein und entfernen die entsprechenden Beiträge.
Fälle, in denen wir gar nicht berichten
Viele Unfälle mit Todesfolge oder Suizidversuche finden im öffentlichen Raum statt, weswegen wir auch darüber berichten. Es gibt aber auch Fälle, in denen wir uns gegen eine Berichterstattung entscheiden. Beispielsweise, wenn Unfälle in einem rein privaten Umfeld geschehen. Hier steht für uns die Privatsphäre der Angehörigen vor dem Interesse der Bevölkerung, sofern keine außergewöhnlichen Umstände dazu kommen. Auch bei Suiziden berichtet unsere Redaktion im Einklang mit dem deutschen Pressekodex nur mit größter Zurückhaltung. Allerdings ist in solchen Fällen nicht immer gleich klar, ob es sich um eine Selbsttötung, einen Suizidversuch oder ein tragisches Unglück handelt. Liegen Hinweise auf einen Suizid vor, so bemühen wir uns zeitnah um eine Einschätzung der Polizei. Bis wir diese bekommen, halten wir uns bei der Berichterstattung bewusst zurück.