Interview: Immobilien in Corona-Zeiten
„Glaube nicht, dass es einen massiven Crash gibt“
7. April 2020, 9:00 Uhr aktualisiert am 7. April 2020, 13:19 Uhr
Die Corona-Krise hat auch Auswirkungen auf Immobilien, etwa auf die Möglichkeit der Mietstundung. Im Interview mit idowa erklärt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg, mit welchen weiteren Auswirkungen er rechnet. Fallen die Immobilienpreise und die Mieten? Was gilt es bei einer Anlage in Immobilien zu beachten? Markiert Corona das Ende der Immobilienblase?
Vergangene Woche wurde gemeldet, dass sich sechs Millionen Menschen in den USA arbeitslos gemeldet haben. Ein Teil dieser Menschen ist sicherlich Hausbesitzer und hat sicherlich Schulden. Droht ein erneuter großer Kreditausfall bei Hausbesitzern in den USA, wie wir ihn 2008 erlebt haben?
Professor Tobias Just: Das hängt davon ab, wie schnell die US-Wirtschaft wieder Tritt fasst. Es gibt die Aussage vom Präsidenten, dass er die Wiedereröffnung für Ostern gerne in den Raum stellen würde. Das mag man für belastbar halten oder auch nicht. Richtig ist aber auf jeden Fall: Je länger die Wirtschaft in den USA in diesem Zustand bleibt, desto massiver wird der Schock werden. Und umso wahrscheinlicher ist es auch, dass einige US-Bürger ihre Kredite nicht sofort bedienen können. Das Gute ist immerhin, dass das Volumen dieser Subprime-Hypotheken [Anm. d. Red.: Hypotheken an Kunden mit eingeschränkter Bonität], die in der letzten Krise der Schubgeber waren, kleiner ist. Es wurde auch sorgfältiger geprüft. Es heißt aber nicht, dass es nicht doch einen Anstieg von Zwangsversteigerungen geben kann. Und mit jeder Woche, die die US-Wirtschaft auf "Lockdown" gestellt ist, erhöht sich sicherlich das Risiko.
Könnte die deutsche Bankenwelt von einer möglichen Krise in den USA angesteckt werden, wenn es doch wieder zu massiven Kreditausfällen käme?
Just: Eine Ansteckung ist möglich. Aber auch hier gilt, dass das Niveau einer Ansteckung ein anderes sein dürfte. Letztendlich ging es in der letzten Krise um die sogenannten CMBS [Anm. d. Red: hypothekenbesichertes Wertpapier] und die CDO [Anm. d. Red.: forderungsbesichertes Wertpapier], also die Verbriefungen von Krediten, die die deutschen Asset Manager gekauft hatten. Wenn wir weniger Subprime-Hypotheken und weniger Verbriefungen in der aktuellen Situation haben, dann ist ein solcher Beschleunigungsprozess nicht mit derselben Intensität zu befürchten. Es werden zwar Verbriefungen durchgeführt und es werden sicherlich solche Verbriefungen auch von deutschen Asset Managern gekauft worden sein, aber das Volumen ist deutlich geringer als 2007/2008. Das Risiko ist sicherlich deutlich größer als null, aber deutlich kleiner als noch 2007/2008. Gleichwohl muss man sagen, dass der makroökonomische Schaden, der latent in solchen Arbeitsmarktzahlen zum Ausdruck kommt, sehr, sehr groß ist. Einen so schnellen und so starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen hatten wir in den USA noch nie bemerkt.
Auf was muss man sich in Deutschland im Immobilienbereich einstellen? Sehen Sie unmittelbare Auswirkungen der Corona-Krise auf den Markt?
Just: Schon erkennbar ist, dass es weniger Transaktionen gibt, sowohl im Kleinen, als auch im Großen. Die großen Transaktionen werden erst einmal auf Eis gelegt. Im Kleinen werden etwa Termine von Maklern nicht durchgeführt. Die Menschen warten zu Recht erst einmal ab. Es gibt eine ganz starke Beruhigung auf dem Immobilienmarkt. Auch hier gilt: Je länger das Ganze andauert, desto mehr wird es sich in den Preisen widerspiegeln müssen. Wenn einige Wochen eine Beruhigung gegeben ist, dann ist das möglicherweise für jemanden, der akut verkaufen muss, im Einzelfall mit einem Preisrückgang verbunden. Der Markt insgesamt aber müsste diese Situation verdauen können. Gravierender wird es dann, wenn der Arbeitsmarkt tatsächlich unter Druck gerät. Wenn Leute etwa umziehen müssen, weil sie den Arbeitsplatz regional wechseln. Wenn sie sich größere Arbeitsplatzsorgen machen, als in den letzten fünf, sechs Jahren. Sie werden dann im wahrsten Sinne des Wortes kleinere Brötchen backen müssen. Sie machen möglicherweise nicht die Vergrößerung, die sie eigentlich mit der Familie vorgehabt haben, sondern sie bleiben erst Mal da, wo sie sind, und sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Wenn das eintritt, dann wird es eine nachhaltigere Beruhigung auf den Wohnungsmärkten geben. Ein Stück weit ist das bereits angelegt. Wir haben einen sehr starken Anstieg der Kurzarbeit, was zunächst mal nur die glimpfliche Seite ist. All das führt aber dazu, dass Menschen verunsichert sind. Und Verunsicherung bedeutet für den privaten Nutzer, dass er möglicherweise seinen Wohnkonsum nicht vergrößern wird.
"Das wird den Mietsteigerungen ein Ende bereiten"
Gibt es Zahlen zu den Hypotheken in Deutschland, die möglicherweise im Feuer stehen könnten?
Just: Solche Zahlen sind mir aktuell nicht bekannt. Wir hatten im letzten Jahr aber unser "German Debt Projekt" durchgeführt. Da war unisono die Meinung der Banken, dass die Kredit-Ratings ihrer Kunden überwiegend sehr gut dastehen. Wir kommen aus einer Situation heraus, in der die allermeisten Kunden gut dastehen, wo die Banken auch gezwungener Maßen durch die Regulierungen sehr umsichtig finanziert haben.
Sehen Sie den Staat in der Pflicht, weitere Maßnahmen zu setzen, etwa im Hinblick auf Besteuerung im Immobiliensegment?
Just: Ich glaube nicht, dass derzeit eine Diskussion lohnt, die Grunderwerbssteuer anzupacken. Oder die Grundsteuer zu diskutieren. Was tatsächlich die relevantere Größe ist: Welche Verwerfungen entstehen, wenn tatsächlich kleinere Vermieter auf Mieter stoßen, die ihre Miete stunden können. Das kann im Gewerbe aber auch im privaten Wohnungsfall eine Rolle spielen. Hier lohnt es sich, zu beobachten, inwiefern man tatsächlich einseitig auf die vermeintlich schwächere Marktseite geschaut hat, indem man diese Mietstundungsregel eingeführt hat. Das ist aber wahrscheinlich etwas, dass nicht dieselbe Dimension erreichen wird, wie im Falle von Mieterhaushalten. Insofern fand ich die Reihenfolge nachvollziehbar. Aber man sollte sich diese schwächeren Vermieter sehr sorgfältig ansehen. Knapp ein Fünftel aller Vermieter haben ein Einkommen, dass unterhalb des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung liegt. Das sind etwa Rentner, die früher selbstständig waren, und ihre Alterseinkünfte nun aus Immobilien beziehen.
Wie beurteilen Sie die möglichen Auswirkungen auf das Niveau der Mieten?
Just: Kurzfristig werden wir Mietstundungen haben, das wird aber im Niveau der Mieten keinen Ausdruck finden. Wir werden eine Marktberuhigung haben, weil es weniger Jobgesuche und weniger Jobangebote geben wird. Dementsprechend wird es auch weniger Zuzüge in die Ballungsräume geben. All das wird den Mietsteigerungen ein Ende bereiten. Das wahrscheinliche Szenario ist, dass die Mieten ein Plateau erreichen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es viele Vermieter gibt, die in der aktuellen Martkphase versuchen, Mietsteigerungen durchzusetzen.
Und die Kaufpreise von Immobilien: Ist aktuell auch hier von einer Plateaubildung auszugehen?
Just: Wahrscheinlich werden Marktteilnehmer erst einmal das Interesse verfolgen, die Plateaubildung auszuweiten. Ich halte einen Rückgang der Preise aber für wahrscheinlicher, als einen Rückgang der Mieten. Und zwar aus mehreren Gründen. Letztlich sind die Preise ja nichts anderes als alle zukünftigen Mieten, heruntergerechnet auf heute. Wenn wir durch diese aktuelle Situation für die Menschen eine Einkommensverschlechterung sehen, dann muss das in den Mietsteigerungserwartungen mindestens Ausdruck finden. Dann müssen die Erwartungen an die Zukunft korrigiert werden. Das würde sich dann am ehesten bei den Preisen ausdrücken.
Wenn man schon seit geraumer Zeit vorhatte, ein Eigenheim zu finanzieren: Wie sollte man dann derzeit vorgehen? Sich nach Möglichkeit die aktuellen Zinsen sichern oder einfach abwarten?
Just: Es gibt zwei wichtige Punkte, die man tatsächlich abwarten sollte. Wie entwickelt sich die Corona-Epidemie weiter? Hier brauchen wir tatsächlich noch etwas verlässlichere Daten, inwiefern wir einen noch dauerhafteren "Lockdown", also eine Kontaktsperre, benötigen. In den volkswirtschaftlichen Publikationen wird immer davon gesprochen, dass eine Schließung von einer Woche ein Prozent Wirtschaftswachstum bedeute. Es wird in den Risikoabschätzungen ein Krisenszenario konzipiert, das schwärzer ist als die Situation 2008/2009. In dieser Situation ist es aber das Wichtigste, dass man erst einmal das gesundheitliche Risiko abschätzen kann. Und danach dann das eigene Arbeitsmarktrisiko. Ich glaube, der Punkt mit den Zinsen kommt dann erst, wenn man die ersten beiden Punkte verlässlich bewerten kann. Dementsprechend würde ich dazu raten, erst einmal abzuwarten. Was sind die akuten gesundheitlichen Risiken? Was sind die konkreten gesamtwirtschaftlichen und persönlichen Arbeitsmarktrisiken? Und erst wenn das geklärt ist, sollte man zur Bank.
"Das trifft Bayern sogar doppelt
Wie beurteilen Sie denn die Situation in Bayern? Gibt es hier auf dem Immobilienmarkt Gegebenheiten, die in Anbetracht der Krise besonders zu beachten sind?
Just: Bayern war in dem Aufschwung bis 2020 massiv begünstigt. Die Wirtschaftsstruktur hat für Vollbeschäftigung gesorgt, die Unternehmen waren die Kraftwerke der deutschen Wirtschaft, neben anderen Powerhäusern in Deutschland. In Bayern gab es sehr, sehr starke Regionen. Und dort sind die Immobilienpreise deutlich stärker angezogen, als in vielen anderen Regionen. Ausgehend davon gibt es nun aber eine Situation, die Bayern deutlich schwächt. Das eine ist die Exportabhängigkeit und die Industriestruktur - die sind in der aktuellen Beruhigung eine Last. Das andere ist die Tourismusabhängigkeit in vielen ländlichen Regionen Bayerns, die ebenfalls eine Last ist. Diese Krise erreicht nicht wie eine klassische Rezession die Industrie als erstes, sondern hat als erstes die vermeintlich stabilen Touristik- und Eventbranchen erreicht. Das trifft Bayern sogar doppelt, weil es eines von drei Bundesländern ist, die bisher am stärksten von Corona erwischt wurden. (…) Immerhin, und das ist beruhigend, erreicht die Krise das Land in einer Situation der Stärke.
Aktien großer Immobilienkonzerne haben zuletzt stark nachgegeben. Wie beurteilen Sie die Geldanlage in solche Werte derzeit?
Just: Grundsätzlich gilt für Immobilienaktien, dass sie eine hohe Volatilität haben. Immobilienaktien verhalten sich kurzfristig wie normale Aktien, weil sie sehr liquide sind. In einer entsprechenden Phase werden auch Immobilienaktien verkauft. Langfristig verhalten sich Immobilienaktien eher wie Immobilien. Wer eine Investition in Immobilienaktien prüft, sollte sich das dahinterliegende Portfolio genau ansehen. Wenn es etwa Wohnungen sind und man bewertet das Wohnungsportfolio langfristig stabil, dann ist das eine sinnvolle Sache. (…) Ganz kurzfristig, und das steckt hinter den Korrekturen, stellt sich natürlich die Frage: Wie sicher sind aktuell die Mieteinnahmen der Objekte? Und das gilt es für Anleger ebenfalls zu prüfen: den Unterschied zwischen einer kurzfristigen Korrektur, die möglicherweise damit verbunden ist, dass Mietzahlungen gestundet werden, und langfristigen Perspektive. Langfristig kann das Engagement doch wieder lohnen, weil wir weiterhin einen Bedarf an Wohnraum haben.
Über die vergangenen Jahre war immer wieder von der "Immobilienblase" die Rede. Glauben Sie, dass eine steile Preisentwicklung aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise der Vergangenheit angehört?
Just: Ich habe die Entwicklung bis 2019 gerne als eine Form der rationalen Übertreibung bezeichnet. Es hatte Elemente der Übertreibung, weil wir Phänomene gesehen haben, Kaufpreisvervielfältiger, die wir noch nie in Deutschland hatten. Es wurde das Vierzigfache, teils das Fünfzigfache für Münchner Wohnraum bezahlt. Manchmal sogar darüber hinaus. Das war es, was als spekulative Übertreibung missgedeutet wurde. Ich nenne es eine rationale Übertreibung, weil es vornehmlich dadurch getrieben war, dass es auf den Anleihemärkten keine rentierlichen Papiere mehr gab mit guter Bonität. Das heißt, die institutionellen Anleger hatten keine Möglichkeit mehr, die versprochene Ausschüttungsrendite durch Kapitalmarktprodukte zu garantieren. Und dementsprechend sind die regelrecht in Immobilienanlagen getrieben worden. Denn die 2,5 Prozent Ausschüttungsrendite bei Immobilien war immer noch besser als die 0 Prozent bei Staatsanleihen. Das ist hoch rational. (…) Corona hat jetzt nicht dazu geführt, dass diese grundlegende Logik weg ist. Deswegen glaube ich nicht, dass es einen massiven Crash gibt, es sei denn, die Volkswirtschaft kommt aus der Rezession nicht heraus.