Nachwuchsleiter des SSV Jahn im XXL-Interview
Christian Martin: "Achtfacher Flickflack? Das passt nicht zu uns"
23. November 2019, 9:20 Uhr aktualisiert am 23. November 2019, 9:38 Uhr
Während sich die erste Mannschaft des SSV Jahn Regensburg in den vergangenen Jahren fantastisch entwickelt hat und im dritten Jahr in der 2. Liga erneut eine gute Rolle spielt, hat sich auch in der Nachwuchsarbeit der Oberpfälzer einiges getan. Christian Martin (39) ist seit 2016 Leiter der Jahnschmiede. Im ausführlichen idowa-Interview spricht er über die Philosophie im Jahn-Nachwuchs, die Bedeutung von Ergebnissen, die großen Summen, die teilweise im Nachwuchs schon gezahlt werden und den Vergleich zu andere Profi-Nachwuchsleistungszentren (NLZ).
Herr Martin, seit 2016 sind Sie Leiter der Jahnschmiede. Was sind die größten Unterschiede, die festzustellen sind zwischen dem Status quo und damals?
Christian Martin: Wir haben uns in dieser Zeit in allen Bereichen weiterentwickelt: Personell, infrastrukturell und auch konzeptionell. Die Zertifizierung als Bundesliga-Nachwuchsleistungszentrum im letzten Jahr war für uns ein großer Meilenstein. Insgesamt hat sich in der Professionalität schon massiv etwas getan - speziell in den letzten drei Jahren, aber eigentlich auch schon in den vergangenen fünf Jahren.
Mit welcher Philosophie geht der SSV Jahn an die Nachwuchsarbeit heran?
Martin: Wir wollen als Verein unseren eigenen Weg gehen. Wir wollen der Ausbildungsclub für Ostbayern sein, Niederbayern und die Oberpfalz sind unser Haupteinzugsgebiet. Das bedeutet, dass wir vor allem mit den Talenten aus der Region arbeiten und sie auf ein möglichst hohes sportliches Level bringen wollen. Gleichzeitig legen wir aber auch Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung unserer Spieler und dürfen auch das schulische und berufliche Umfeld nicht vernachlässigen.
Im sportlichen Bereich zeichnet den Jahn aus, dass er eine sehr klare Spielidee verfolgt. Wie darf man sich das im Nachwuchsbereich vorstellen?
Martin: Wir haben uns in den vergangenen Jahren die Frage gestellt, mit welcher Art zu spielen wir die größte Wahrscheinlichkeit haben, erfolgreich zu sein. Wir sind das aus einer Gesamtclubperspektive angegangen. Es gibt also nicht nur eine Spielidee, die sich sehr umfassend mit den verschiedenen Spielphasen beschäftigt. Wir wollten auch eine Spielidee, die den Spielertypen, die wir in der Region haben, am gerechtesten wird.
Was ist denn das Besondere am "ostbayerischen" Spieler?
Martin: Die Region zeichnet vor allem eine gewisse Bodenständigkeit aus, die auch deshalb für uns als Markenwert so wichtig ist. Deshalb wollen wir Spieler, die klar in der Birne sind. Die wissen, dass es auch noch anderes gibt als Fußball, aber bereit sind alles zu geben und für die Mannschaft zu arbeiten. Für uns ist es ein wesentlicher Wert, dass man übers Team kommt. Das ist auch die Basis, an der unsere Spielidee ansetzt. Da ist es relativ schwierig, dass sich ein einzelner Spieler einmal ausnimmt. Die Spieler sollen Fußball als Teamsport sehen. Sie sollen auch mit Selbstvertrauen agieren, denn wir versuchen in unserem Spiel immer aktiv zu sein.
Kann man denn überhaupt in jedem Altersbereich den gleichen Fußball spielen lassen?
Martin: Grundsätzlich haben wir von den Profis bis zu den Teams der Jahnschmiede die identische Spielidee, die ist auch altersunabhängig. Aber natürlich ist es etwas anderes, ob da zehnjährige Kinder oder Zweitligaprofis spielen. Die Idee ist klar, sie lässt den Trainern und Spielern aber auch immer noch einen gewissen Spielraum.
Wie schwer ist aus Ihrer Sicht der Spagat zwischen der individuellen Förderung der Talente und dem Leistungs- und Ergebnisdenken?
Martin: Jeder Trainer hat im Nachwuchs immer die Thematik, dass er die Mannschaft weiterbringt und gleichzeitig auch die einzelnen Spieler ausbildet. Beides hinzubekommen, ist die Kunst. Wir arbeiten zum Beispiel seit einiger Zeit im Leistungsbereich, also ab der U15, noch viel intensiver individuell mit den Spielern und betrachten da wirklich jeden Spieler einzeln mit Blick auf seine Stärken und Schwächen. Grundsätzlich ist die Aufgabe jedes Jugendtrainers, dass er erst einmal die Spieler weiterbringt, dass er sie technisch und taktisch, aber auch in Hinblick auf Mentalität und Physis fördert.
Das heißt, im Zweifel ist die individuelle Förderung wichtiger als das reine Ergebnis.
Martin: Definitiv. Die Bedeutung des Ergebnisses nimmt aber natürlich auch immer zu. In der U21 oder der U19 geht es schon auch ums Ergebnis, es sollte allerdings nie an erster Stelle stehen im Nachwuchs. In der U11 frage ich den Trainer aber nicht danach, wie das Spiel ausgegangen ist.
Ligenstruktur, Auf- und Abstieg: Das wünscht sich Christian Martin
Im deutschen Fußball soll zukünftig allgemein wieder mehr Wert auf individuelle Förderung und auch die technische Ausbildung gelegt werden. Wie stehen Sie dazu?
Martin: Ich glaube schon, dass wir grundsätzlich in Deutschland in der technischen Ausbildung auf einem ganz guten Niveau sind. Aber in dieser Frage kommt genau das Thema zum Tragen, das wir gerade angesprochen haben: Wie hoch ist der Stellenwert von Ergebnissen im Jugendfußball? Dass es auch im Nachwuchsbereich oft schon vor allem um Ergebnisse geht, bringt die Trainer oft dazu, dass sie mehr Wert auf die Mannschaftsentwicklung oder das nächste Spiel legen als auf die individuelle Entwicklung der Spieler.
Wie könnte man dieses Problem angehen?
Martin: Man sollte sich Gedanken machen über die Ligenstruktur und das Thema Auf- und Abstieg im Nachwuchs. Ich finde zum Beispiel die Bezeichnung Bundesliga in der A- und B-Jugend deplatziert, weil den Spielern damit ein Stück weit suggeriert wird, sie hätten es schon geschafft. Und in diesem Bereich stehen dann auch die Ergebnisse für die Trainer an erster Stelle. Wer etwas anderes sagt, der erzählt Unsinn. Und ich frage mich, ob das die beste Voraussetzung ist, um Spieler langfristig zu entwickeln.
Was wäre Ihr Ansatz?
Martin: In anderen Ländern gibt es andere Modelle, ohne Auf- und Abstieg. Die Argumentation, man müsse die Spieler an den Ergebnisdruck gewöhnen, ist für mich aus der Luft gegriffen. Denn dann dürfte ja eine Nation wie Portugal niemals gute Spieler rausbringen. Das machen sie aber - und nicht zu wenig. Man muss auch an die Trainerausbildung rangehen und an die Kriterien, wie Trainer ausgewählt werden. Ich brauche Trainer, die meine Spieler entwickeln können und nicht zwingend einen, der mir das nächste Spiel gewinnt. Was nicht heißen soll, dass wir nicht auch gerne Spiele gewinnen (schmunzelt). Am Ende führt eine gute Entwicklung zwangsläufig auch zu guten Ergebnissen. Ein gewonnenes Spiel führt aber nicht automatisch auch zu einer guten Entwicklung der Talente. Es gibt zum Beispiel auch viele Spieler, die durchs Raster fallen, weil sie sich aus körperlichen Gründen nicht frühzeitig schnell entwickeln.
Wie setzt der Jahn in diesem Punkt an?
Martin: Wir versuchen schon, da einen anderen Weg zu gehen. Wir haben in unserem Einzugsgebiet Ostbayern nicht unendlich viel Potenzial, sondern müssen schauen, wo wir Perspektive sehen. Aber auch für uns ist es schwierig, die Balance zu finden. Denn wenn du am Ende in der Liga alle Spiele verlierst, dann wirkt das nach außen so, als würdest du keine gute Arbeit machen. Deshalb musst du einen Weg finden, beides unter einen Hut zu bringen, das ist aber nicht so einfach.
Welche Struktur würden Sie sich wünschen?
Martin: Ich würde mir wünschen, dass bis zu einem gewissen Altersbereich, sagen wir bis zur U16, jeder Spieler eine Pflichteinsatzzeit pro Spiel hat. In den Förderrunden in der U14 wird aktuell dreimal 30 Minuten gespielt. Da würde ich vehement vorschreiben, dass jeder Spieler mindestens ein Drittel spielen muss. Vielleicht ist dann das Ergebnis ein anderes. Aber was interessiert uns am Ende mehr: Das Ergebnis, oder dass jeder Spieler mitgenommen wird? Selbst im Alter von 14, 15 Jahren kann man keine valide Talentprognose machen, da spielen so viele Faktoren eine Rolle. Im aktuellen System werden aber viele Spieler frühzeitig aussortiert.
Selbst ein aktueller Weltklassespieler wie Marco Reus wurde einmal in Dortmund aussortiert…
Martin: Genau und da gibt es viele Beispiele. Andere Spieler tauchen aber dann später nicht mehr woanders in der Spitze wieder auf, sondern hören vielleicht ganz mit dem Fußball auf.
Christian Martin über Schule, Scouting und die Auswahl der Spieler
Sie haben vorhin schon angesprochen, dass nicht nur die sportliche Entwicklung wichtig ist, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung und die schulische Ausbildung. Wie arbeitet der Jahn in diesen Bereichen?
Martin: Wir haben zwei Ausbildungspläne: Einen für das Fußballerische und einen was Pädagogik, Psychologie und Gesundheit angeht. Da werden die Jungs immer mal wieder gezielt geschult. Es gehört zum Beispiel dazu, dass sie sehr eigenverantwortlich agieren, um Schule und Fußball unter einen Hut zu bringen, denn das ist schon anspruchsvoll. Wir lassen die Spieler einen Wochenplan erstellen, damit auch die Trainer ein Gefühl dafür haben, was die Kinder und Jugendlichen alles leisten und auch mal Verständnis haben, wenn ein Spieler im Dienstagstraining nicht ganz so konzentriert ist, weil er bis 17 Uhr Schule hatte.
Schule oder Fußball - was geht am Ende vor?
Martin: Ich mag diese Sichtweise nicht, wir sollten es hinkriegen, dass beides gemeinsam funktioniert. Ich halte auch nichts davon, einen Spieler mit Trainingsverbot zu bestrafen, wenn es eine schlechte Note gab. Vielmehr wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass auf der Schule eine hohe Priorität liegt.
Wie sieht das Scouting im Jahn-Nachwuchs aus?
Martin: Die jüngste Mannschaft seit dieser Saison ist die U11, darunter haben wir keine Mannschaft mehr. Davor wollen wir die Spieler in ihren Heimatclubs lassen, bieten in dem Bereich aber auch ein Talenttraining an. Mit dem Scouting fangen wir aber schon in der U8 und U9 an, damit wir einen Überblick haben. In den älteren Jahrgängen haben wir dann jeweils Fahrzeiten definiert, bei denen wir noch sagen: Das ist vernünftig. Wir werden also sicher keinen U11-Spieler aus Waldkirchen holen, weil das nicht ohne unverhältnismäßig großen Aufwand machbar ist. Ab einem gewissen Alter ist dieser Aufwand dann aber nötig. Man muss immer die sportliche Förderung und den dafür nötigen Aufwand abwägen. Im Leistungssport ist es einfach auch nötig, viel auf sich zu nehmen.
Wie groß ist der Bereich, in dem der Jahn nach Talenten sucht?
Martin: Als Kernsichtungsgebiet haben wir Niederbayern und die Oberpfalz für uns definiert. Vereinzelt kommt es dazu, dass wir einen Spieler darüber hinaus verpflichten, mal aus dem Nürnberger oder Münchner Raum. Aber bis zur U15 sind alle Spieler aus dem Kernsichtungsbereich und auch danach sind es noch 90 bis 95 Prozent.
Ist es langfristig ein Ziel, ein Vereinsinternat zu schaffen?
Martin: Langfristig ist das sicher eine Überlegung, aber es gibt da noch keine abschließende Entscheidung. Es wird sich in den nächsten Jahren sicher weiter etwas tun. In welche Richtung das dann geht, ist aber noch offen.
Wie sieht es mit der Fluktuation im Nachwuchsbereich aus?
Martin: Wir legen grundsätzlich einen hohen Wert darauf, dass wir wenig Fluktuation haben. Wenn du dich entscheidest, mit einem Spieler zu arbeiten, dann musst du mit ihm auch einen gewissen Weg gehen. Du musst ihm auch die Zeit geben, dass er mal ein Tal durchschreiten darf. Die Entwicklungen verlaufen unterschiedlich, es gibt einfach mal bessere und schlechtere Phasen. Trotzdem passiert es auch einmal, dass es nicht passt und man auch mal unangenehme Entscheidungen treffen muss. Mit rund 80 Prozent Durchlässigkeit zwischen den Altersstufen liegen wir im Bundesschnitt aber relativ hoch.
Wie oft beobachten Sie einen Spieler, bevor Sie ihn zum Jahn holen und wie setzen Sie sich mit den charakterlichen Eigenschaften der Spieler auseinander?
Martin: Wir haben in Ostbayern sieben Scouts, die zusätzlich zu unseren Trainern interessante Spieler identifizieren. Diese werden dann meist zu Probetrainings eingeladen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit schon einmal hoch, dass es aus unserer Sicht passen könnte. Im Training sehen wir dann, wie der Spieler fußballerisch agiert, aber auch, wie er innerhalb der Mannschaft auftritt. Über das Gespräch mit den Eltern und dem Spieler bekommt man dann ein Gesamtbild. Die Scouts machen sich aber auch in der Vorauswahl schon Gedanken über gewisse Verhaltensweisen eines Spielers. Wenn einer nach jedem Tor für sich alleine jubelt und einen achtfachen Flickflack macht, dann ist das nicht unbedingt die Art von Spieler, die wir richtig gut finden (lacht). Das passt nicht zur Bodenständigkeit, die uns wichtig ist. Manchmal wirken auf Spieler gewisse Einflüsse und sie machen den Torjubel zum Beispiel, weil sie ihn ihm Fernsehen gesehen haben. Wenn du dann mit ihm arbeitest und redest, dann versteht er auch, dass es nicht so angebracht ist, wenn er das in der U13-Förderrunde macht.
Christian Martin über den Einfluss der Eltern und den Jahn im NLZ-Vergleich
Stichwort Einflüsse: Da dürften auch das Thema Eltern eine große Rolle spielen.
Martin: Ja, klar. Sie haben natürlich den größten Einfluss auf ihr Kind. Es ist immens wichtig, dass das Elternhaus die Reise des Kindes unterstützt, es aber auch richtig einschätzt - realistisch, aber schon auch mit Ehrgeiz und einer gewissen Fantasie verbunden. Das ist für uns schon auch ein Kriterium. In erster Linie muss ein Kind Fußball spielen können. Aber wenn wir merken, es sind Helikopter-Eltern, die das Kind bei fünf Vereinen gleichzeitig ins Schaufenster stellen, dann sagen wir schon: Entscheiden Sie sich bitte zwischen den vier anderen Vereinen. Wir wollen schon ein klares Commitment zum Jahn.
Wie gehen Sie mit den Eltern um?
Martin: Kommunikation ist uns grundsätzlich sehr wichtig. Wir haben vor der Saison Elternabende für alle Teams. Da sagen wir auch klar: Die Eltern können immer auf den Trainer oder Koordinator zugehen und ein Gespräch führen - allerdings nicht jede Woche über die Aufstellung. Zudem halten wir es zum Beispiel nicht für förderlich, für die Kinder selbst und das Arbeitsklima insgesamt, wenn beim Training die Eltern jedes Mal draußen stehen.
Seit letztem Jahr ist der Jahn als Profi-NLZ zertifiziert. Und kaum hat man den ersten Stern, schon wird die Sternebewertung abgeschafft. Eine Maßnahme, die aber dennoch sinnvoll ist, oder?
Martin: Absolut. Die Zertifizierung war super, um den Nachwuchsfußball weiterzuentwickeln und das hat den Jugendfußball in Deutschland sicher brutal vorwärtsgebracht. Aber es gibt eben sehr viele Formalitäten und oft ist es so, dass vieles auf dieses System hin getrimmt wurde. Da war sicher auch viel Gleichmacherei dabei. Die NLZ in Deutschland sind aber oft unterschiedlich strukturiert und ich finde das zeichnet uns in Deutschland auch aus, dass an vielen Orten unterschiedliche, aber sehr gute Arbeit geleistet wird. Deshalb ist die individuelle Analyse, die es zukünftig geben soll, jetzt der bessere Ansatz.
Wo steht der Jahn im Vergleich zu anderen Profi-NLZ?
Martin: Dadurch, dass wir noch ein sehr junges NLZ sind und mit dieser Professionalität und diesen Strukturiertheit erst seit ein paar Jahren arbeiten, haben wir in einigen Punkten sicherlich noch Nachholbedarf. Ein augenscheinlicher Punkt ist die Infrastruktur. Da sind wir auf guten Wegen, aber man kann nicht innerhalb von ein paar Jahren in diesem Bereich aufholen, was andere 20 Jahre voraus haben. Das zweite Thema ist das Personal, die Hauptamtlichkeit. Auch hier gehen wir einen Schritt nach dem anderen. Wir haben schon brutal aufgeholt, was die Hauptamtlichkeit angeht. Trotzdem haben wir aber darauf geachtet, unsere Linie beizubehalten und großen Wert darauf gelegt, welche Leute wir reinholen. Es ist schon eine Gefahr, wenn du schnell wächst, dass du deine Linie verlässt. Wichtiger als schnelles Wachstum ist uns aber, dass wir die Art, wie wir arbeiten und den Grundgedanken fortführen. Inhaltlich sehe ich uns in vielen Bereichen sogar ein Stück besser als andere NLZ, weil wir auf viele Dinge Wert legen, die für die Jungs in ihrer Entwicklung einfach gut sind.
Es heißt, dass die Konkurrenzsituation im Nachwuchsbereich immer mehr zunimmt, dass immer aggressiver um die besten Talente geworben wird. Wie empfinden Sie das?
Martin: Ich finde, dass sich da nicht viel verändert hat, das ist seit circa 15 Jahren so. In Bayern gibt es mittlerweile neun Bundesliga-NLZ. Jedes davon hat ein eigenes Scouting, eine Zielsetzung und will die besten Spieler bekommen. Deshalb hast du natürlich grundsätzlich eine große Konkurrenzsituation. Wir haben vielleicht durch unsere Lage noch eine andere Situation als zum Beispiel die Münchner Vereine. Wir müssen nicht auf Gedeih und Verderb schon einen U9-Spieler holen, weil er sonst zum Nachbarn geht. Aber gerade im älteren Bereich passiert es schon, dass neben uns mehrere Vereine an einem Spieler dran sind. Dann ist es für uns wichtig, trotzdem nichts Verrücktes zu machen. Wir agieren dann genauso, als wäre kein anderer Verein interessiert, zeigen dem Spieler auf, was wir mit ihm vorhaben. Wenn sich dann ein Spieler von Dingen wie dem schickeren Trainingsgelände oder der Liga der ersten Mannschaft blenden lässt, wenn ihm das wichtiger ist, als der Inhalt und seine Perspektive, dann ist er für uns ohnehin nicht der richtige Spieler.
Kann der Jahn seine besten Talente inzwischen halten?
Martin: Ja. Im letzten Jahr hat uns kein Spieler verlassen, bei dem wir eine richtig gute Perspektive gesehen haben. Das ist die letzten Jahre immer weniger geworden und das ist ein gutes Zeichen. Wenn wir das hier richtig gut machen, gibt es für mich keinen Grund wegzugehen. Du hast hier heimatnah sehr gute Bedingungen um dich weiterzuentwickeln. Wir haben die Möglichkeit, die Spieler von unten bis oben auf einem maximal hohen Niveau zu fordern. Wenn ein Spieler in der U19 unterfordert ist, dann spielt er eben vorzeitig in der U21, da ist er ganz sicher gefordert. Wenn wir nach und nach immer wieder Spieler hochbringen wollen, dann ist es auch einfach notwendig, dass wir die Spieler halten können.
Christian Martin über Geld im Nachwuchsbereich, die sportliche Situation und die Fantasie, wieder einen Profi für den Jahn zu entwickeln
Top-Vereine zahlen zum Teil schon im Nachwuchsbereich Unsummen an Spieler, die in keinem Verhältnis mehr stehen. Wie stehen Sie dazu?
Martin: Das sehe ich sehr problematisch. Wenn es ein Spieler nicht schafft, dass er dieses Gehaltsniveau halten kann, tut er sich vielleicht schon schwer, für die Hälfte in der 3. Liga zu spielen. Oder ein Spieler schafft es gar nicht in den Profibereich. Wie soll man einem Spieler, der im Nachwuchs schon fünfstellig verdient hat, erklären, dass er jetzt einem normalen Job nachgehen muss, wo er ein Drittel verdient - wenn's gut läuft. Das ist zu Überdenken und birgt eine Gefahr in sich. Die Jungs sind 16, 17, 18 Jahre alt. Und das macht natürlich etwas mit den Spielern, wenn sie plötzlich monatlich einen fünfstelligen Betrag auf dem Konto haben und sich alles leisten können. Da normal zu bleiben und das richtig einzuordnen, das ist nicht so einfach.
Wie geht der Jahn im Nachwuchs mit Geld um?
Martin: Es gibt ja die Möglichkeit, Spieler mit einem Fördervertrag zu binden. Das bekommen aber nur die Top-Talente in ihren Jahrgängen. Wir wollen es uns auch nicht leisten, flächendeckend Verträge rauszugeben. Hier reden wir über Summen, die sehr überschaubar sind. Da hat der Spieler dann ein Taschengeld, mit dem er auch seine Kosten ein Stück weit abdecken kann, mehr nicht. Da sind wir sicher ein Exot, für uns ist das aber der richtige Weg.
Wir haben zu Beginn des Interviews schon darüber gesprochen, dass im Nachwuchsbereich Ergebnisse nicht die Hauptrolle spielen sollten. Blicken wir dennoch auf den aktuellen Stand. Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Abschneiden der Teams?
Martin: Die U14 und darunter blende ich aus, da interessieren mich die Ergebnisse wie gesagt überhaupt nicht. Mit der Entwicklung bin ich in diesem Bereich sehr zufrieden. Martin Reißer und unsere Trainer leisten hier tolle Arbeit. In der U15 haben wir eine richtig gute Mannschaft, mit Blick auf Ergebnis und Leistung haben wir im bisherigen Saisonverlauf aber noch Luft nach oben und wollen uns in der Rückrunde steigern. Im Bereich U16/U17 haben wir die nächsten Schritte gemacht und sind näher an der Spitze dran. In der U17 hatten wir einige verletzte Leistungsträger, deshalb mussten wiederum U16-Spieler aufrücken. Deshalb sind die Ergebnisse differenziert zu betrachten. In der U19 ist es auf Dauer schon unser Ziel, dass wir uns in der absoluten Spitzengruppe der Bayernliga etablieren und auch mal in Richtung Aufstieg gehen. Davon sind wir in diesem Jahr aber schon noch ein Stück entfernt. Insgesamt sind wir in der Gesamtqualität aber deutlich näher an der Spitzengruppe dran als noch vor ein paar Jahren. In der U21 haben wir diesen Sommer viele Spieler des 2000er-Jahrgangs aus der letztjährigen U19 integriert, entsprechend haben wir eine sehr junge Mannschaft. Sie zeigt immer wieder, dass viel Potenzial und Qualität in ihr steckt, schafft das aber noch nicht konstant. Da haben wir durch Naivität und jugendlichen Leichtsinn sicher acht bis zehn Punkte liegen gelassen.
Das oberste Ziel ist es, Talente für die eigene Profimannschaft zu entwickeln. Wie wichtig ist es dafür, dass die U21 auf Sicht in der Regionalliga sowie die U19 und U17 in den Junioren-Bundesligen spielen?
Martin: Es ist definitiv unser Ziel, das Level möglichst hoch zu setzen und uns zu verbessern. Ob das zwingend mit einem Bundesliga-Aufstieg einhergehen muss, ist die Frage. Ich finde es auch nicht optimal, wenn man zwar in der Bundesliga spielt, aber von Spieltag eins an nur gegen den Abstieg kämpft. Trotzdem würden wir uns natürlich nicht wehren und werden versuchen, den maximalen sportlichen Erfolg zu schaffen. Auch die Bayernliga ist in der U19 und U17 inzwischen richtig ordentlich in der Spitze. Wir wollen Jahr für Jahr unsere Qualität erhöhen und uns so verbessern, dass sich der Aufstieg irgendwann von alleine ergibt. Einen festen Zeitplan haben wir dafür nicht. In der U21 und U17 ist es auch eine finanzielle Frage. Für die U17 müsste man den einen oder anderen Internatsspieler dazu holen, in der U21 den einen oder anderen Erfahrenen. Dann hast du vielleicht mehr Korsettstangen, nimmst aber auch wieder Plätze für junge Spieler weg. Zudem tun sich einige zweite Mannschaften, die ein erheblich höheres Budget haben als wir, in der Regionalliga auch zum Teil sehr schwer.
Gibt es Talente, bei denen Sie die Fantasie haben, die könnten in absehbarer Zeit beim Jahn wieder den Sprung zum Profi schaffen?
Martin: Ich würde diesen keinen Gefallen tun, wenn ich konkrete Namen nenne. Aber ja, es gibt Spieler, wo wir eine entsprechende Fantasie haben.