Pneumologe über Atemmasken
„Sauerstoffmangel bei gesunden Menschen ausgeschlossen“
15. Mai 2020, 7:00 Uhr aktualisiert am 15. Mai 2020, 7:00 Uhr
Die Maske ist zurzeit ein ständiger Begleiter durch den Alltag. Für einige buchstäblich. Längst sieht man den "Mund-Nasen-Schutz" nicht mehr nur in Bussen, Bahnen und Geschäften, sondern auch auf der Straße und im Park. Wieso die Informationen anfangs widersprüchlich waren und wo das Tragen Sinn macht, erfahren Sie in unserem Interview.
Masken sind in der aktuellen Situation prinzipiell sinnvoll, sagt Dr. Dominic Dellweg von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP). Allerdings gibt es auch einige Mythen um das Stück Stoff vor dem Mund - und Maske ist nicht gleich Maske.
Herr Dr. Dellweg, vor der Maskenpflicht gab es eine lange öffentliche Diskussion, vor allem unter den Fachleuten, die sich teils gegenseitig widersprachen. Wie lässt sich das erklären?
Dominic Dellweg: Die Datenlage war zunächst nicht ganz eindeutig. Der Fremdschutz ist recht gut nachweisbar: Wenn ein Infizierter eine Maske trägt, ist die Übertragung auf Gesunde dadurch eingeschränkt. Der Selbstschutz wird unterschiedlich bewertet und hängt wohl sehr stark von der Qualität der Maske ab. Die Diskussion hat sicher auch eine politische Komponente gehabt. Man wollte wohl mit der Empfehlung nicht rauskommen, bevor sichergestellt war, dass genug Masken verfügbar sind. Die Gefahr war, dass die Masken aus dem medizinischen Bereich abgezogen worden wären.
In welchen Alltagssituationen ergibt das Tragen von Masken Sinn, in welchen nicht?
Dellweg: Die Masken bringen vor allem etwas, wenn in geschlossenen Räumen Kontakt zu anderen Menschen besteht. Die Infektionsgefahr im Freien ist fast schon vernachlässigbar gering, auch beim Kontakt von Oberflächen scheint eine Infektion sehr unwahrscheinlich. Gefährlich sind Räume, wo keine Konvektion, also keine Luftzirkulation vorhanden ist, wo die Viren haltigen Aerosole in der Luft stehenbleiben. Im Freien ist das anders. Eine Studie aus China, bei der etwa 1.200 Infektionsfälle ausgewertet wurden, konnte nur in zwei Fällen eine Infektion außerhalb geschlossener Räume nachweisen. Wenn Sie im Wald spazierengehen, brauchen Sie die Maske definitiv nicht zu tragen. Für den Gang zum Bäcker heißt das: Anreise ohne Maske, Maske draußen aufziehen, Brötchen kaufen und beim Verlassen des Ladens wieder abnehmen.
Es gibt Stimmen, die davor warnen, die Masken zu lange zu tragen. Was ist Ihre Haltung als Experte dazu?
Dellweg: Das Risiko ist, dass man sich selbst über die Maske infizieren kann, wenn sie verschmutzt ist und dass man Bakterien einatmet, die auf der Maske wachsen. Bei Einwegmasken sind die Wechselintervalle wichtig. Eine Einwegmaske sollte man keinesfalls länger als einen Tag benutzen. Auch die Stoffmasken sollten täglich so gereinigt werden, dass sowohl Viren als auch Bakterien entfernt und getötet werden.
Wie geht das am besten? Auch hier waren die Empfehlungen ja teils verwirrend…
Dellweg: Ja, das ist auch so eine Geschichte. Am Anfang sagte man noch: in die Mikrowelle. Dann hat man gemerkt, dass in einigen Masken Bügel aus Metall sind. Da gibt es in der Mikrowelle natürlich Funkenflug. Der Backofen klappt prinzipiell, hat aber auch Gefahrenpotenzial. Merkel hat diese Empfehlung zurückgezogen, nachdem es offenbar in einem Haushalt einen Brand gegeben hatte. Es gibt eine Untersuchung, die zeigt, dass bei der Waschmaschine 60 Grad möglicherweise nicht ausreicht. Die Viren haben keine eigene Zellmembran und gehen bei Hitze relativ schnell kaputt. Gegen manche Bakterien muss man aggressiver vorgehen. Was aber immer gut funktioniert bei einer Stoffmaske: Nach dem Waschen heiß bügeln. Der Stoff wird dann richtig heiß, so dass noch mehr Viren und Bakterien absterben.
Einige Leute tragen die Masken auch auf der Straße. Davon wäre nach Ihren Ausführungen eher abzuraten, oder?
Dellweg: Ja. Aber auch aus einem zweiten Grund: Was wir wollen, ist eine Akzeptanz für die Masken. Wenn Sie den ganzen Tag damit rumlaufen, kann das schon nervig und teilweise belastend werden. Man sollte die Masken-Tragzeit auf die Situationen beschränken, in denen sie effektiv sind, also ÖPNV und geschlossene Räume, wo Menschen eng zusammen sind.
Einige machen sich Sorgen über Stauerstoffmangel beim Maskentragen oder die zu hohe CO2-Konzentration in der Maske…
Dellweg: Diese Frage steht schon länger im Raum, ob es in der Maske zu Sauerstoffmangel und CO2-Rückatmung kommt. Diese Gase können sehr gut durch die Maske hindurchströmen. Viren sind, verglichen mit Sauerstoff- oder CO2-Molekülen, riesige Gebilde aus sehr vielen Molekülen, in etwa 100.000 mal größer. Wer keine schwere Lungenerkrankung hat, muss sich keine Sorgen über einen Anstieg des CO2 oder einen Abfall des Sauerstoffs machen. Natürlich ist die Atem-Arbeit erhöht, dadurch, dass es etwas vor dem Mund ist, was den Atemstrom bremst. Das ist wie durch einen Strohhalm atmen. Das erhöht die Arbeit, die die Atemmuskeln leisten müssen, was auch als Luftnot wahrgenommen wird. Es ist allerdings ausgeschlossen, dass es bei einem gesunden Menschen zu einem Sauerstoffmangel durch die Maske kommt.
Optimal sind nur die industriell hergestellten Masken
Gerade in der Anfangszeit der Pandemie wurde alles Mögliche an Stoff zu sogenannten Community-Masken umgenäht. Gibt es auf Basis der Erfahrungswerte Materialien, von denen Sie abraten würden?
Dellweg: Wir machen gerade Messreihen, um die optimale Materialkonstellation herauszufinden. Eine ideale Maske hat eine hohe Filterleistung und einen geringen Atemwiderstand. Das erreicht man, in dem die Maske möglichst kleine Poren hat, dafür aber enorm viele. Das kriege ich mit Baumwollgeweben sehr schlecht hin. Community-Masken sind dadurch nicht so effektiv, aber besser als nichts: Auch bei schlechten Baumwollgeweben liegt die Filterleistung bei etwa 30 Prozent. Der Baumwollstoff sollte nicht zu grob gewoben sein. Beim Selbernähen ist zu empfehlen: lieber feinen Stoff und diesen mehrlagig verwenden. Dadurch entstehen statische Effekte, die die Filterleistung nochmal erhöhen. Das Optimale ist aber nach unseren Erkenntnissen nur zu erreichen, wenn man industriell gefertigte Vliese verarbeitet.
Wie lange werden wir die Masken brauchen?
Dellweg: Die Masken werden wir brauchen, bis ausreichend Leute geimpft sind oder 70 Prozent der Leute die Sars-CoV2-Infektion gehabt haben. Gegen die Ausbreitung des Virus wird im Augenblick ein Bündel von Maßnahmen umgesetzt. Einige davon, wie das Schließen von Kitas, sind sehr schmerzhaft. Ich glaube, dass das Tragen von Masken zu den schmerzärmeren Maßnahmen gehört. Es gibt halt in Europa keine Kultur dafür. In den asiatischen Ländern tragen viele allein schon wegen der Luftverschmutzung eine Maske. In das muss man kulturell hineinwachsen. Aber ich denke, dass wir das relativ schnell schaffen, wenn uns nicht die Verschwörungstheorien, die im Moment grassieren, dazwischen kommen.