SSV Jahn Regensburg
Mersad Selimbegovic: mit einem Lächeln durchs Leben
23. Juni 2018, 9:00 Uhr aktualisiert am 23. Juni 2018, 9:00 Uhr
Seit 2006 ist Mersad Selimbegovic beim SSV Jahn Regensburg - zunächst als Spieler, inzwischen als Co-Trainer der Profis. Als Kind wurde er vom Krieg in seiner Heimat Bosnien geprägt und lebt eine bemerkenswerte Lebenseinstellung vor.
Mersad Selimbegovic kann auch während der Sommerpause nicht vom runden Leder lassen. Jeden Tag spiele er mit seinem Sohn Fußball, erzählt der Co-Trainer des Zweitligisten SSV Jahn Regensburg. Er genießt die Zeit mit der Familie, war auch zwei Wochen in seiner bosnischen Heimat - denn während der Saison bleibt dafür nicht viel Zeit.
Mehr als einen Monat liegt das letzte Saisonspiel des Jahn beim VfL Bochum inzwischen zurück. So ganz habe er immer noch nicht realisiert, was man geleistet hat, sagt Selimbegovic. "Das kommt erst Tag für Tag." Die Saison des Jahn darf ohne Übertreibung als historisch eingestuft werden. Der Begriff, den Geschäftsführer Christian Keller immer wieder bemüht hat. "Historisches leisten" war das Motto. Mit Platz fünf und dem damit verbundenen erstmaligen Klassenerhalt in der 2. Bundesliga ist genau das gelungen. "Die Saison war sicherlich sensationell und für viele auch überraschend", stuft Selimbegovic das Erreichte ein.
Mit der Installation Achim Beierlorzers als neuen Cheftrainer rückte im vergangenen Jahr Selimbegovic als Co-Trainer zur Profimannschaft des Jahn auf. Zuvor trainierte er die U19-Junioren der Regensburger und war als Nachwuchskoordinator für die älteren Jugendteams verantwortlich. Letztere Aufgabe füllt der 36-Jährige immer noch aus und investiert darin viel Zeit und Herzblut.
"Detailversessen und sehr fleißig"
Beierlorzer hat sich bei der Besetzung des Co-Trainer-Postens voll auf Geschäftsführer Christian Keller verlassen, der Selimbegovic sein Vertrauen schenkte. "Es ist immer gut für einen Verein, wenn auf wichtigen Positionen fähige Leute eingesetzt werden, die schon länger im Club sind. Deshalb fand ich die Idee mit Mersad einfach gut", blickt der Cheftrainer zurück. Einen Tag vor dem Trainingsauftakt haben sich die beiden erstmals persönlich kennengelernt und es hat sich relativ schnell eine gute Chemie entwickelt. "Wir sind auf einer Wellenlänge unterwegs", sagt Beierlorzer, es gebe inzwischen ein blindes Verständnis. Seinen Co-Trainer beschreibt er als "offen, aufgeschlossen und loyal. Es freut mich, mit einem solchen Menschen zusammenarbeiten zu können." In der täglichen Arbeit sei Selimbegovic, der bei der Spielvorbereitung unter anderem für die Analyse der Mannschaftstaktik des Gegners zuständig ist, "detailversessen und sehr fleißig."
Letztlich hat die Zusammenarbeit gefruchtet und zu einer erfolgreichen Saison geführt. Auf einzelne Gründe für das Abschneiden möchte sich Selimbegovic nicht festlegen. "Es muss einfach so viel zusammenpassen", sagt er. Begonnen habe die Entwicklung schon mit der Kaderzusammenstellung in den vergangenen Jahren. "Wir haben eine Mannschaft, die brutal willig, hungrig und fleißig ist." Dazu kam die Einstellung, immer nach vorne zu marschieren und mutig zu spielen. "Das ist auch eine Charakterfrage. Wir haben durch unseren Mut das Matchglück zum Teil erzwungen und konnten dadurch viele Spiele auf unsere Seite ziehen."
Alles geben
Charakter und Mentalität - dafür stand die Jahnelf in den vergangenen Jahren. "Für mich ist es immer das Wichtigste, alles zu geben", sagt Selimbegovic. Und genau das lebt er auch vor. "Die Spieler hören natürlich darauf, was der Trainer sagt. Viel mehr achten sie aber darauf, was der Trainer macht. Du kannst nichts einfordern, was du selbst nicht vorlebst", schildert er seine Ansicht. "Das Auftreten einer Mannschaft ist immer auch ein Abbild des Trainerteams." Selimbegovic fordert von seinen Spielern, dass sie alles geben. Das heißt für ihn: 24 Stunden für den Job leben und sich professionell verhalten. "Du musst immer schauen, was du geben kannst und nicht in erster Linie, was du kriegen kannst. Du musst liefern, alles andere kommt dann schon", so seine Einstellung. Er macht gerade die UEFA-Pro-Lizenz, einen Trainerschein gleichgestellt mit dem Fußballlehrer in Deutschland. Für ihn als Trainer ist es wichtig, dass er mit allen Spielern fair und gerecht umgeht.
Als Selimbegovic 2006 aus Bosnien zum Jahn gewechselt ist, war er auch fleißig. Für die Teampräsentation lernte er extra Antworten auf vorher abgesprochene Fragen auf deutsch. Als dann doch ganz andere Fragen gestellt wurden, gab Selimbegovic dennoch seine gelernten Antworten. "So wie ich eben bin, habe ich mir gedacht: Das machen wir jetzt auf meine Art", muss er heute noch über die Situation lachen. Er wollte schließlich nicht umsonst viel Zeit in das Lernen der Antworten investiert haben. Nach Deutschland war er vor allem wegen seiner in Passau geborenen Frau gekommen - aber auch, weil die Gehälter in Bosnien nur spärlich und unregelmäßig flossen.
Schnell integriert
Ein neues Land, eine neue Kultur, eine neue Sprache - anfangs war es nicht leicht, erzählt Selimbegovic. Doch er integrierte sich schnell und bestritt mit dem Jahn in seiner Spielerzeit den Weg von der Bayernliga bis zum Zweitliga-Aufstieg 2012. Dann musste er wegen Rückenproblemen die Karriere im Alter von 30 Jahren beenden. Doch der ehemalige Verteidiger hadert nicht damit. Alles habe irgendwo einen Sinn. Ohne das frühe Karriereende wäre er nun wahrscheinlich nicht Co-Trainer bei den Profis.
Ohnehin lebt Mersad Selimbegovic eine positive Lebenseinstellung vor. Etwas, das er im Übrigen auch an Cheftrainer Beierlorzer schätzt. Er habe letztens gelesen, dass man für ein Lächeln zehn, für eine finstere Miene dagegen 64 Muskeln braucht. "Warum soll ich mich unnötig anstrengen? Da kann man Energie sparen", sagt Selimbegovic und lacht. Der 36-Jährige ist glücklich in Regensburg, er hat hier alles, was er braucht. "Wenn man glücklich ist, muss man nicht etwas Besonderes suchen, damit man noch glücklicher ist." Er sagt: "Wenn man jeden Tag aufsteht, ein Dach über dem Kopf hat und nicht fragen muss, ob es etwas zu Essen gibt, dann soll man wirklich nicht jammern."
Von den Erfahrungen im Krieg beeinflusst
Eine Einstellung, die Selimbegovic auch wegen seiner Kindheit hat. Im Alter zwischen 10 und 14 Jahren hat er in seiner Heimat Bosnien Krieg erlebt. Eine Zeit, die ihn sehr geprägt hat. "Der Krieg hat mich als Person sehr beeinflusst. Dass ich positiv ans Leben rangehe und Nebengeräusche auch Nebengeräusche sein lasse." Es gibt Bilder, die kommen bei ihm gleich hoch, wenn er daran zurückdenkt. Als Zehnjähriger habe er nicht verstanden, warum er gejagt wird, warum er durch den Wald laufen muss und Leute auf ihn schießen. Selimbegovic versteht es auch heute nicht.
Während des Krieges hat er im Wald gelebt, in Häusern aus Holz. Jeden Tag musste er sich um sein Essen kümmern. Stundenlang wurden teilweise die Felder abgesucht. Doch nach zwei Monaten hatten sehr viele Leute die Felder abgesucht. "Eine kleine Kartoffel zu finden, das war wie ein Sechser im Lotto", erzählt Selimbegovic. Er hat erlebt, dass er am Abend mit Freunden zusammensaß und die Freunde am nächsten Tag nicht mehr da waren. Realisiert hat er das meiste erst nach dem Krieg, währenddessen schaue man nur, wie man überlebt. "Viele Menschen haben keine Ahnung, was Krieg ist", sagt Selimbegovic. "Das ist kein Call-of-Duty-Spiel, wo du stirbst und wieder aufstehst. Im Krieg stirbst du nur einmal."
Zeit richtig nutzen
Auch heute noch besucht Selimbegovic regelmäßig seine Heimat und versucht, zu allen Verwandten Kontakt zu haben. Das sei zwar nicht ganz einfach, aber möglich. "Man verbringt viel Zeit damit, auf Facebook zu schauen, was irgendjemand in China gepostet hat und man weiß, wenn ein Elefant auf eine Kokusnuss gestiegen ist. Wenn man diese Zeit richtig nutzt, kann man viel Sinnvolleres machen", sagt er. Selimbegovic fokussiert sich auf das Wesentliche. Sein Motto: Mach dir keine Sorgen wegen Sachen, die du ohnehin nicht ändern kannst. Und was du ändern kannst, das ändere einfach.
Aus den Erfahrungen des Krieges hat Selimbegovic eine bemerkenswerte Einstellung zum Leben entwickelt. Wenn er in der Heimat ist, dann sieht er in Sarajevo noch Häuser, die genauso sind wie im Krieg - ganz bewusst, als Zeichen der Erinnerung. Er sieht Menschen in seinem Alter, die keine Arme oder Beine mehr haben. "Das hilft mir zu sagen: mir geht's wirklich super." Selimbegovic hat eine positive Einstellung zum Leben. Mit einem Lächeln könne man vieles bewirken, sagt er. Auch Kommunikation ist für ihn eine ganz wichtige Sache: "Alle Probleme beginnen und enden mit Kommunikation."
Man müsse bei allen Dingen im Leben eine gute Balance hinbekommen, findet Selimbegovic. Hier schließt sich der Kreis zum Fußball. Auch hier müsse die Balance stimmen, sagt er. "Du brauchst Rechts- und Linksfüßer, offensive und defensive Spieler, ältere und jüngere. Du brauchst Mentalitätsspieler, aber auch die technisch besseren." Beim Jahn haben sie einen guten Mix gefunden - auf und neben dem Platz. Nun gilt es, die vergangene Saison zu bestätigen. Das heißt für Selimbegovic nicht, dass man wieder vorne dabei sein muss. Das Ziel könne nur der Klassenerhalt sein. "Wir haben letzte Saison Historisches geleistet. Das müssen wir nun wieder tun und zweimal in Folge in der Liga bleiben." Beim Jahn und in Regensburg hat Selimbegovic eine zweite Heimat gefunden. Er fühlt sich sichtlich wohl und ist ein zufriedener Mensch.