Kammerspiele
Anna Konjetzkys „The Very Moment” in der Kammer 3
21. Dezember 2018, 16:53 Uhr aktualisiert am 21. Dezember 2018, 16:53 Uhr
Anna Konjetzkys Tanztheater "The Very Moment” in der Kammer 3
Kurz vor Weihnachten noch einmal den Blick für die Schwachseiten des Menschen schärfen. Das ist der themenfindigen Münchner Choreografin Anna Konjetzky in Kammer 3 der Münchner Kammerspiele mit ihrer Uraufführung "The Very Moment" überzeugend gelungen. Den kleinen Saal hat sie dazu in eine ovale Arena verwandelt, an deren Rückwand ein Fenster aus vier Bildschirmen prangt.
Zwei Männer und drei Frauen stehen mittendrin, einen Fuß vor den anderen gesetzt. Alle gemeinsam versuchen sie, auf Zehenspitzen die Balance zu halten. Das Spiel des Sich-Messens - wer hält die Position länger, wer körperlich besser aus? - begleitet aus dem Off ein Schnarren (Musik: Brendan Dougherty). Nach und nach beginnen die Augen der Tänzer Wackelmomente bei ihren Mitstreitern auszumachen.
Durch ein Hindeuten ziehen sie gezielt auch die Aufmerksamkeit der Zuschauer nach sich. Und schon finden wir uns in einer interaktiven Lecture Demonstration wieder. Maxwell McCarthy ist Wortführer der Gruppe: "Wenn wir zu unserem Startpunkt zurückgehen, können wir schon einige kleine Unterschiede zwischen uns sehen."
Das Nahen schwankender Gestalten
Er doziert über das Schwanken und leichte Nachgeben von Körperspannung. Später kommen Stürze hinzu. Häufen sich solche Dinge, resultiert daraus Unschärfe. Außer es gibt eine Durchhalte-Heldin wie Quindell Orton. McCarthy greift nach dem Smartphone und zoomt rund um die tapfere Tänzerin, deren Gelenke im Ballenstand kaum zittern. Dann umkreist er die anderen. Soonyeon Kim scheint gedanklich abzudriften. Sahra Huby vermittelt das Gefühl, langsam kraftlos gen Boden zu sinken. Imperfektion auch bei Robin Rohmann. Ihn erfasst veritables Torkeln und Schütteln.
Ein Bewegungsschema, das der Betrachter schnell mit zeitgenössischem Tanz verbindet. Warum aber passiert genau das niemals, sobald Betrunkene über die Straßen wanken oder sich nach dem Hinfallen damit abkämpfen, die Vertikale auf zwei Beinen wiederzufinden? Worauf Konjetzky hinauswill, wird erst mit der Zeit klar. Spätestens aber als Quindell - weiterhin fleißig balancierend - vor dem Mikro in eine teuflische Angstspirale gerät. Herrlich, was sie sich alles ausmalt, würde sie versagen. Ihr Oberkörper verrutscht, der Kopf schwenkt weg vom Mikrofon.
Schönes Scheitern
Durch technisch raffinierten Videoeinsatz (René Liebert, der auch reale YouTube-Beispiele für erhellende Parallelerlebnisse mit den Live-Aktionen arrangiert hat) wischt ihr Profil megaschnell von einer Seite der Screens auf die andere. "Niemand wird mich mehr angucken können, weil allen dabei schlecht wird", jammert sie. Die Medienbearbeitung führt das Publikum nah heran.
Und die Show geht weiter. Am Boden wird plötzlich ein Buzzer sichtbar. Betätigen die Tänzer den roten Alarmknopf, ploppen bewegte Bilder einer erschöpften Marathonläuferin oder Leuten auf, die aus dem Tritt gekommen sind. Losgelöst aus ihrem eigentlichen Kontext und live von einem oder allen fünf Performern gedoppelt, bekommen das Scheitern einer Turnerin am Schwebebalken, Amy Winehouses Pirouette unter Alkoholeinfluss und das Krampfen von Muskeln während eines Auftritts eine neue Dimension.
Effizienz und Fragilität des körperlichen Funktionierens werden klug, anschaulich und bemerkenswert vielschichtig hinterfragt. Das macht den Abend, in dem es nicht ums Tanzen, sondern um den Tanz als Recherche für Wahrnehmung geht, lohnenswert. Schlüssig, dass Konjetzky am Ende mit jeder Form bricht. Ihre Crew verliert Konzentration und Haltung, flackt schließlich in sich selbst versunken auf Matten herum. Ein kalkulierter Zusammenbruch von äußerer Struktur und fremdbestimmten Erwartungen. Gut.