Tiroler Festspiele Erl
Bernd Loebe und der Neuanfang
7. Mai 2019, 17:06 Uhr aktualisiert am 7. Mai 2019, 17:32 Uhr
Bernd Loebe über die Tiroler Festspiele Erl nach dem Aus für den umstrittenen Gründer Gustav Kuhn
Die Anschuldigungen gegen Gustav Kuhn wegen sexueller Belästigung und seines rüden Tons gegenüber Mitarbeitern haben die Tiroler Festspiele im Misskredit gebracht. Kuhn, ihr Gründer, Haupt-Dirigent und Ober-Regisseur legte voriges Jahr sein Amt nieder. Festspiel-Präsident Hans Peter Haselsteiner, als ehemaliger Strabag-Manager höchst baustellenerfahren, setzte auf einen Neuanfang. Er überzeugte Bernd Loebe, der die Oper Frankfurt mehrfach zum "Opernhaus des Jahres" und zum internationalen "Opera Award" geführt hatte, die Festspiele am Rand der Tiroler Alpen zu übernehmen.
AZ: Raus aus den Skandalnachrichten und alles neu und anders, ist das Ihr Motto, Herr Loebe?
Bernd Loebe: Das ganze Team, in dem ich viel Vorfreude spüre, und ich konzentrieren uns auf die Zukunft. Das schließt zunächst die Anerkennung der hervorragenden Aufbauarbeit, die hier geleistet wurde, mit ein. Jetzt geht es um die Perspektive, die wir alle mit Ernsthaftigkeit, Leidenschaft und Freude gestalten wollen.
Sie liegen zwischen den Festspielorten Salzburg, München und Bregenz…
Mit denen wollen und können wir nicht konkurrieren. Ich setze viel mehr auf junge Künstler, die nicht fragen "Was kannst du bezahlen?", sondern meine Ideen anhören und sagen "Da will ich mitmachen!". Daraus kann das, was ich in Brüssel gelernt habe, erwachsen: ein neuer, anderer Ensemblegeist als in Repertoirehäusern mit festem Ensemble.
Es gab Diskussionen um die Ausbeutung junger italienischer und osteuropäischer Musiker im Orchester und dem Chor. Wie geht es da weiter?
Ich war bei meinen zurückliegenden Aufführungsbesuchen von der musikalischen Qualität beeindruckt und habe mich entschieden: beibehalten und entwickeln und aufbauen. Zunächst erhoffe ich mir, dass das Orchester von den verschiedenen Dirigenten lernt - unterschiedliche Sichtweisen, Flexibilität und Stilvielfalt. Wenn sich dann mit der Zeit zu jemandem eine Symbiose einstellt, kann ich die Ernennung einer Chefdirigentin oder eines Chefdirigenten ins Auge fassen. Auch der Chor wird von mir beibehalten. Da denke ich über einen zusätzlichen deutschsprachigen Chorspezialisten nach.
Wer die bisherige Bühne und Technik einmal besichtigt hat, konnte Begrenzungen erkennen. Ist Ihre künstlerische Vision dadurch eingeschränkt?
Präsident Haselsteiner hat 12 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt - Sie können die Bagger hören: Es ist ein etwa 100 Meter langer Felsabtrag nach hinten im Gange; dadurch wird die Hinterbühne erweitert, die Seitenbühne von Einlagerungen befreit und wirklich nutzbar, hinten ein Depot geschaffen, dazu noch Verbesserungen an den Künstlergarderoben und den Büros. Eine Probebühne ist in Planung.
Mit diesen neuen Möglichkeiten: Worauf zielen Sie künstlerisch-programmatisch ab?
Exquisites Niveau geht auch ohne etablierte Stars. Interpretiert von Jungstars wie dem Joseph-Joachim-Preisträger Timothy Chool mit dem Solti-Preisträger Valentin Uryupin als Dirigenten locken wir im "Erntedank"-Programm vom 4. bis 6. Oktober an die "Schwelle zur Moderne", mit Chopin, Sibelius, Ljadow, Strauss, Marx und Schönberg - darunter auch mit dem neuen Format "Vier Konzerte an einem Tag", also dem, was mit Crashkurs und Binge-Watching derzeit im Schwange ist - hoffentlich begleitet uns das Publikum, wenn wir jedes Jahr einer Komponistin oder einem Komponisten so einen Mini-Marathon widmen.
Die Festspiele Erl also ohne Star-Glamour?
Das kommt auf die Sichtweise an. Wir stehen mit der Camerata Salzburg in Gastspielverhandlungen. Mit Helmut Deutsch hoffe ich Liedkultur nach Erl zu bringen. Mit Neil Shicoff wird über eine Meisterklasse verhandelt und eventuell sogar ein Konzert. Mein Generalmusikdirektor, der an der Metropolitan Opera gefeierte Sebastian Weigle, wird mit unserem Frankfurter Museumsorchester gastieren. Und dann inszeniert ab 2021 Brigitte Fassbaender einen neuen "Ring des Nibelungen". Klingt das nicht nach "Festspiel"?
In Ihren künstlerischen Teams fallen viele Frauennamen auf.
Richtig. Es gibt erfreulich viel weibliche Begabungen. Im Unterschied zu vielen arrivierten Männern spüre ich da herausragende Begeisterung, Engagement und Können. Das greife ich gerne auf und spiele deswegen auch die Opernproduktion künftig dreimal.
Zur langfristigen Perspektive: Wollen Sie aus Erl in Tirol eine Art "Alpen-Glyndebourne" machen?
Also Lachs und Champagner hier auf den Wiesen muss nicht sein. Ich muss auch an die umgebende Region und die Begrenzungen der Infrastruktur denken. Aber der klassischen Festspiel-Definition "Das besondere Werk am besonderen Ort auf besondere Weise" - der wollen wir uns schon dauernd nähern.
Von Verdi bis zur Gegenwart
Die von Gustav Kuhn 1997 gegründeten Tiroler Festspiele Erl finden seit 1998 jedes Jahr im Juli statt. Seit Dezember 2012 wird die Sommersaison, die ihre künstlerische Heimat zuvor allein im Passionsspielhaus gefunden hatte, durch eine mindestens 12-tägige Wintersaison im für diesen Zweck neu erbauten Festspielhaus ergänzt.
Im Sommer 2019 werden drei Opern auf die Bühne gebracht: "Aida" von Giuseppe Verdi mit Audrey Saint-Gil am Dirigentenpult (Premiere am 6. Juli), "Guillaume Tell" von Rossini mit dem Dirigenten Michael Güttler (ab 13. Juli) und "Die Vögel" von Walter Braunfels mit Lothar Zagrosek (20. Juli).
Mit der Oper "Caliban" von Moritz Eggert startet das szenische Programm der Sommerfestspiele am 5. Juli mit einem Kontrapunkt zur "großen" Oper. Es gastiert die Junge Oper Rhein-Main. Zur Eröffnung dirgiert Tito Ceccherini am 4. Juli Bartóks "Konzert für Orchester. Außerdem wird ein Konzert für Saxophonquartett von Daniel Schnyder uraufgeführt. Zum Programm gehören auch Konzerte der Camerata Salzburg sowie Abende mit Klaviermusik und Streichquartetten. Erl liegt direkt an der Inntal-Autobahn (Ausfahrt Oberaudorf) und ist von München auch mit per Zug bequem erreichbar (Shuttlebus vom Bahnhof).
www.tiroler-festspiele.at