Neu im Kino

Dani Levy über die "Känguru-Chroniken"


Dimitrij Schaad (links) als Marc-Uwe und das Känguru.

Dimitrij Schaad (links) als Marc-Uwe und das Känguru.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Dani Levy hat Marc-Uwe Klings "Känguru-Chroniken" eine Kinokomödie mit politischem Hintergrund verwandelt.

Seit mehr als zehn Jahren ist das kommunistische, vorlaute Känguru mit Hang zur Anarchie steter Begleiter von Marc-Uwe Kling. Aus den vier Bänden seiner erfolgreichen "Känguru-Chroniken" hat er nun das Drehbuch für die Kinoverfilmung von Dani Levy verfasst.

Der Kleinkünstler Marc-Uwe, gespielt von Dimitrij Schaad, liegt im Bett, als es klingelt. Ein Känguru steht vor der Tür, weil es Pfannkuchen backen will und ein paar Zutaten dafür braucht. Am Ende bleibt es nicht bei Pfanne und Mehl. Das Tier zieht bei ihm ein, weil es als anarchistischer Hausbesetzer von der Polizei gesucht wird.

Aber weil das Känguru nicht die Klappe halten kann und sich überall einmischt, geht es bald rund. Das bekommen auch Marc-Uwes Nachbarn zu spüren wie die alleinerziehende Mutter Maria (Rosalie Thomass). Ärger bekommen sie nicht nur mit Rechtsextremen, sondern auch mit dem mächtigen Immobilienunternehmer Dwigs (Henry Hübchen), der mitten in Kreuzberg eine Häuserreihe platt machen will, um dort einen gigantischen Turm zu errichten.

AZ: Herr Levy, wie kann man es sich vorstellen, wenn man ohne Hauptdarsteller dreht? Das Känguru ist animiert ja erst nachträglich digital hineingebaut worden?
Dani Levy: Wir hatten jemanden, der es gespielt hat: einen Comedian, der so mehr war als nur ein Stichwortgeber. Er hat die Texte gelernt und ein komödiantisches Timing. Volker "Zack" Michalowski war also ein richtiges, wenn auch nicht richtig aussehendes Gegenüber: spielend, boxend, redend. Er hatte einen so genannten Motioncapture-Anzug am Körper mit all den Kontaktpunkten. Deren Bewegungen werden am Computer aufgezeichnet, um dann auf das animierte Känguru übertragen zu werden. So war "Zack" dieses verrückte Tier!

Aber dann auf dem Filmmaterial ist er dann doch wieder erst mal eine Leerstelle.
Ja, natürlich bleibt dann erstmal nichts übrig außer einem Haufen Daten. Und ich, der ich so viele Jahren nur mit Schauspielern gearbeitet habe, konnte mir auch anfangs nicht vorstellen, wie man da ein Wesen mit vielschichtiger Psychologie und Charakter erschaffen kann, also eine Figur, die man ernst nimmt!

Wie macht man das?
In dem man sie Sekunde für Sekunde erfindet. Im ersten Schritt habe ich versucht, jede Szene mit dem Känguru psychologisch zu erklären. Also, zum Beispiel: "Hier sollte das Känguru ironisch lächeln und mit den Ohren wackeln." Dann haben wir gemerkt, dass die Animateure sich möglicherweise unter "ironisch" etwas anderes vorgestellt haben, als ich mir. Manchmal habe ich versucht, es live vorzuspielen.

Können Sie inzwischen mit den Ohren wackeln?
Natürlich nicht. Alles blieb schwierig. Dann hatten wir die Idee: Lasst uns ein Alphabet von sehr unterschiedlichen Kängurugesichtern machen. Es wurden dann 50 so genannte Facials entworfen, die gar nicht genau benannt wurden, und nur eine Nummer hatten. Ich habe dann Satz für Satz Zahlen hingeschrieben, um jeder Stelle den jeweils genauen Gesichtsausdruck zuzuordnen, wie ich mir das vorgestellt habe mit fließenden Übergängen. Daraus ist in den meisten Fällen eine Animation entstanden, die schon sehr nah an meiner Vorstellung war.

Da kann man also bis zum Schluss mehr machen als mit echten Schauspielern, wenn ein Take abgedreht ist.
Man muss jede Situation viel genauer durchdenken, als wenn man einen Schauspieler hat, weil ja erstmal nichts da ist als ein digitaler Körper ohne Leben ohne Seele. Die Frage war also: Wie kann ich ein Wesen mit Persönlichkeit und Lebendigkeit erschaffen, das keine Karikatur ist und nicht nur schablonenhafte Gefühle hat. Bei den "Känguru-Chroniken" handelt es sich im Vergleich zu "Paddington" zum Beispiel nicht um einen Bilderbuchfilm. Das spielt im relativ rauen Kreuzberger Milieu, da darf das Känguru eben auch nicht zu clean sein.

Wie sind Sie selbst zum "Känguru"-Experten geworden?
Meine Kinder waren Fans der ersten Stunde. Ich habe die Hörbücher manchmal mitgehört, fand die auch wirklich witzig, aber habe mich ehrlich gefragt: Wie kommt es, dass die das so toll finden, obwohl sie ja so vieles von den politischen Themen gar nicht verstehen können?

Und was ist der Schlüssel?
Das Känguru ist sehr kindgerecht. Es löst bei den Zuschauern ein befreites Lachen aus, wie im Zirkus ein dummer August. Und es gibt noch diesen Hofnarr-Aspekt, dass es tabulos spricht und das tut, was man sich selbst nicht traut. Das alles ergibt Slapstick und Frechheit, und das zündet.

Aber auch bei Erwachsenen?
Klar. Wir waren ja alle mal Kinder und haben uns nur irgendwann vom Clown in uns verabschiedet, weil wir eben so erzogen wurden, uns zu benehmen, höflich zu sein und anständig zu funktionieren. Aber das Anarchische oder Überbordende erinnert uns an die frühere Freiheit und bleibt immer reizvoll. Dann ist das Känguru auch noch ein Tier. Das zieht immer, wie auch die lustige Prämisse, dass das Känguru spricht und da ganz normal in Kreuzberg lebt, woran niemand - bis auf den Psychotherapeuten - zweifelt.

Aber der Spagat zwischen Kinder- und Erwachsenenpublikum bleibt kompliziert.
Das glaub ich nicht, der Film bietet für alle Altersstufen genug. Klar, sehr politische Intellektuelle werden vielleicht die große Schärfe vermissen. Dafür können sie - bei aller politischen Diskussion um die Neue Rechte oder die Gentrifizierung - jede Menge Zitate entdecken: wie die Hasenpfote aus "Pulp Fiction" oder den vollgepinkelten Teppich aus "The Big Lebowski". Das ist dann auch was für Nerds. Es gibt viele Spielereien und Spinnereien, die uns allen schon beim Machen viel Spaß gemacht haben. Bis hin zum Komponisten Niki Reiser, der mit Genre-Zitaten spielt - vom Western bis zum Actionfilm. Dem Autor Marc-Uwe Kling und mir war es immer wichtig, dass die ganze Familie als Faneinheit bedient, aber niemand unter Niveau gefordert und unterhalten wird.

Die Sympathie ist - bei aller Ironie - auf der Seite des linksalternativen Milieus.
Meine erste Frage, als ich als Regisseur angefragt wurde, war: Warum ich? Und Stefan Arndt von X-Film hat gesagt: "Weil Du ja auch irgendwie aus dieser Szene kommst." Stimmt, obwohl ich mit Familie jetzt in Schöneberg wohne, weiß ich, wovon ich spreche, wenn's um Kreuzberg geht. Und deshalb wollte ich auch den Film nicht zu bilderbuch-sauber polieren.

Das sieht man im deutschen Film ohnehin zu häufig.
Das haben Sie gesagt. Aber ich bin mit Ihnen einig, dass es schon auffällig ist, wie bürgerlich und idealisiert die erfolgreichen Unterhaltungsfilme oft daher kommen. Im Kosmos der "Känguru Chroniken" gibt es eben auch die erfolglosen Lebensläufe und Figuren, die den Einstieg in die Bürgerlichkeit verpasst haben, oder gar nicht wollen und lieber den ganzen Tag in der Wohnung rumhängen. Die Welt, die wir mit unseren Antihelden zeigen, ist nicht sehr glamourös, aber dafür sehr liebenswert.

Das ergibt dann eine sympathische Ironie.
Und da war es eben auch richtig, die Figur von Marc-Uwe nicht mit einem schlagfertigen Comedian zu besetzen, sondern mit einem Schauspieler aus dem Maxim Gorki Theater, der vom politischen Theater kommt. Der Melancholiker und das hyperaktive, schlagfertigen Känguru sind doch ein wunderbar komödiantisches Paar.

Die AfD heißt hier "Alternative zur Demokratie".
Die ganze rechtspopulistische Schiene des Films haben wir im Laufe der Drehbucharbeit entwickelt, weil wie gemerkt haben, dass sich da was zusammenbraut - in ganz Europa. Marc-Uwe hat diese Dystopie erdacht, dass die neue europäische Rechte mitten im multikulturellen Kreuzberg den Görlitzer Park plattmacht, um dort ein Zentrum der europäischen Rechten zu errichten. Diese Idee ist natürlich comic-haft, der Immobilien-Milliardär Jörg Dwigs plant eine rechte Weltverschwörung, da wird das Känguru sozusagen zu einem politischen Marvel-Film. Der Film soll genauso Stellung beziehen, wie die Bücher.

Die NS-Satire "Jojo Rabbit" hat vor vier Wochen einen Oscar gewonnen. Sie hatten einen großen Erfolg mit Ihrer Hitler-Satire "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler". Wie finden Sie den Film Ihres Kollegen?
Ich mag den Filmemacher Taika Waititi und seine naive, energetische, frontale Art, die einen direkt trifft, ohne, dass man viel nachdenken kann. Ich fand es auch gut, die Geschichte über ein Kind zu erzählen. Und trotzdem war mir bei Zuschauen manchmal mulmig. Mir war seine Motivation unklar, ich habe nicht wirklich verstanden, warum er das schlimmste deutsche Kapitel nimmt und daraus ein überdrehtes Märchen macht. Aber ich muss zugeben, dass mich der Film trotzdem sehr berührt hat. Adrian Prechtel

Der Film kommt am 5. März in die Kinos