Kultur

"Das lässt mich nicht mehr los!"

Cate Blanchett ist als Dirigentin in Todd Fields' "Tár" auf Oscar-Kurs


Cate Blanchett vor einer Woche auf dem Roten Teppich der Berlinale.

Cate Blanchett vor einer Woche auf dem Roten Teppich der Berlinale.

Von Margret Köhler

Die 53-jährige Australierin aus Melbourne war in mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. Nach dem Historienfilm "Elizabeth" (1998) war sie in Hollywood etabliert. Für ihre Darstellung der Katharine Hepburn in Scorseses "Aviator" (2004) erhielt sie den Oscar als beste Nebendarstellerin und für die Titelrolle in Woody Allens "Blue Jasmine" (2013) den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Sie ist außerdem Theaterschauspielerin und leitete von 2008 bis 2015 mit ihrem Mann die Sydney Theatre Company künstlerisch.

Sie bannt den Zuschauer - wieder einmal: diesmal als fiktive Komponistin und Star-Dirigentin Lydia Tár. In Todd Fields Künstlerdrama "Tár" ist Cate Blanchett die Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker und eine in sich widersprüchliche Frauenfigur: charmant und berechnend, charismatisch und gleichzeitig verbissen auf die Karriere fixiert. Eine Perfektionistin, die knallhart aufs Ziel zusteuert, zwischen Kunst und Machtmissbrauch. Für ihre Super-Performance kassierte die Australierin in Venedig die Coppa Volpi als Beste Hauptdarstellerin und in Los Angeles einen "Golden Globe". Der Berlinale verhalf sie zu Glanz. Für den "Oscar" (es wäre ihr dritter) gilt sie als Favoritin. Hat sie schon eine Rede in petto? Darüber schwieg sie im Berliner Ritz-Carlton mit betörend-gewinnendem Lächeln.

Cate Blanchett vor einer Woche auf dem Roten Teppich der Berlinale.

Cate Blanchett vor einer Woche auf dem Roten Teppich der Berlinale.

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AZ: Mrs Balnchett, zu Beginn wirkt Lydia Tár sympathisch. Am Ende ist sie fast ein Monster. Verstehen Sie diese Frau?

CATE BLANCHETT: Ich denke nicht in diesen Kategorien, liebe ich die Figur oder nicht, finde ich sie attraktiv oder nicht? Sie steht vor eine Riesenherausforderung. Der Film funktioniert wie ein Rorschachtest, es wimmelt von Anspielungen, aber es kommt keine Bestätigung für das, was man vermutet. Die Welt, in der wir leben, ist monströs, sie unterstützt und lädt ein zu monströsem Verhalten, honoriert das sogar.

Diese Frau ein Monster zu nennen, wäre also zu einfach.

Sie ist ein Rätsel, ein Genie, eine Fantasie. Musik ist ihre Leidenschaft, darüber habe ich sie verstanden, mir war klar, was sie verlieren konnte, wenn sie ihren Dirigentenposten verlieren würde. Ich hoffe, dass das Publikum eine Verbindung zu ihr aufbauen kann. "Tár" ist ein sehr komplexer Film mit vielen Ebenen.

Glauben Sie, dass viele Menschen im künstlerischen Bereich besonders isoliert und einsam sind?

Ich würde das nicht verallgemeinern. Jeder arbeitet unterschiedlich. Ich brauche auch manchmal Ruhe und ein Rückzugsgebiet, um meine Batterien aufzuladen. Da darf mich keiner stören. Dann bin aber wieder froh, am Set auf jede Menge Leute zu treffen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, der Kontakt zu anderen deshalb lebensnotwendig. Kreativität kann ziemlich stressig sein. Man muss eine Balance zwischen den beiden Extremen finden.

Die findet diese Frau aber nicht.

Wer von Perfektion besessen ist, bringt sich oft an seine persönlichen Grenzen. Lydia ist immer schnell, rennt durchs Leben. Sie übt einen besonders schwierigen Beruf als Dirigentin aus. Da gelten immer noch andere Maßstäbe als für Dirigenten. Die Welt der klassischen Musik ist patriarchalisch geprägt. Deshalb muss sie diszipliniert sein, so kontrolliert, so praktisch orientiert. Das hält energiemäßig niemand lange durch. Bei diesem ganzen Druck, da wartet man im Film doch nur darauf, dass dieser Vulkan ausbricht, explodiert.

Im Film sind Sie mit einer deutschen Konzertmeisterin verheiratet, gespielt von Nina Hoss. Kannten Sie sich schon vorher?

Nur flüchtig. Aber ich bewundere ihre Arbeit schon lange. Lustig, dass wir beide als "Lotte" in "Groß und Klein" in verschiedenen Ensembles auf der Bühne standen. Wir haben dann auch viel Zeit zusammen verbracht und offene Gespräche geführt, uns verbindet eine Art Seelenverwandtschaft. Nina ist ein Phänomen für mich, wie sie immer neue Möglichkeiten nutzt. Sie ist eine Meisterin ihres Fachs.

Was war Ihre erste Reaktion auf das Drehbuch? Todd Field hat es ja für Sie geschrieben.

Ich habe es verschlungen. Es geht nicht um Sympathie oder einfache Lösungen. Niemand ist gut, niemand ganz unschuldig, niemand nur böse. "Tár" ist eine sehr differenzierte Betrachtung von institutioneller Macht, aber auch ein sehr menschlicher Film, weil die Figur im Mittelpunkt sich in einer existenziellen Krise befindet.

Und ihre Macht missbraucht.

Macht ist nicht nur bei denen angesiedelt, die an der Spitze stehen. Es gibt ein ganzes Machtgefüge in einem Team, in einem Orchester, in einer Institution. Als mein Mann und ich 2008 die Sidney Theatre Company übernahmen, haben wir erst einmal vorsichtig Vertrauen aufgebaut und sind nicht autoritär aufgetreten. In so einer Position muss man sich als Teil des Ensembles fühlen und das auch vermitteln. Die Leitung einer Organisation erfordert Verantwortungsgefühl und Sensibilität, sehr viel Kraft und Energie. Man muss sich um so viel kümmern, was nicht mit der künstlerischen Tätigkeit zu tun hat. Alles in allem eine undankbare Aufgabe.

Die an einem zehren kann.

Und wie! Viele Menschen haben Angst, ihre Komfortzone zu verlassen. Lydia weiß: Wenn man in seiner Komfortzone verharrt, heißt das gnadenlos Mittelmaß. Eine schreckliche Vorstellung. Sie aber kämpft und kämpft, bei den Proben ist ihr nichts gut genug, sie will das Optimum. Und so probt sie eben immer weiter, bis es ihren Ansprüchen genügt. Dieser Perfektionswahn herrscht ebenso im Ballett wie in der klassischen Musik. Trotz allem darf man nie den Respekt voreinander verlieren, wir müssen auf unsere eigenen schlechten Angewohnheiten achten und sollten nicht brutal mit uns selbst sein. Vielleicht sollten wir mal überlegen, warum bin ich so hart? Vielleicht steckt eine Portion eigene Angst dahinter. Perfektion kann auch als Schutzschild dienen.

War diese Rolle ganz besonders anstrengend?

Es war die größte Herausforderung, vor allem psychisch. Sie hat mich total absorbiert, ich konnte mich kaum auf etwas anderes konzentrieren. Und ich werde sie auch so schnell nicht los, da bleibt was hängen. Ich habe mich sehr lange und sehr intensiv mit dieser Figur beschäftigt und denke immer noch über sie nach. Das ist zwar anstrengend, aber Rollen wie diese bringen mich weiter. Dafür liebe ich meinen Beruf.

Hören Sie Musik jetzt anders?

Auf jeden Fall. Während meiner Highschoolzeit war ich bei einer Freundin eingeladen und wunderte mich, dass es ganz still war. Man konnte nur das Tick-Tack der Uhr hören. Ich lernte, dass man Musik nicht als Hintergrundmusik benutzen darf, sondern ihr die ganze Aufmerksamkeit schenken muss. Wenn ich jetzt eine Platte auflege, rühre ich mich nicht vom Fleck. Ich glaube, ich höre die Instrumente ganz anders, weil ich mich auf die Musik ganz einlasse.

Wie haben Sie sich auf das Dirigieren vorbereitet?

Ich habe mir Dokumentationen über verschiedene Dirigenten angesehen. Der eine gestikuliert wie verrückt, der andere hüpft wild auf dem Podium herum, der dritte bewegt sich in großer Ruhe. Das ermöglichte mir, meinen eigenen Stil zu finden. Dirigieren zeichnet sich durch eine sehr individuelle Kommunikation aus. Eine große Hilfe war das Training mit Dirigentin und Coachin Natalie Murray Beale.

Und das Dirigieren selbst?

Ich habe die Dresdner Philharmoniker bei Proben zu Gustav Mahlers 5. Sinfonie dirigiert. Als die Kamera lief, habe ich innerlich natürlich schon gezittert. Es war faszinierend und gleichzeitig furchterregend. Aber wir haben es gemeinsam geschafft. Und ich habe sehr viel Geduld und Nachsicht der Musiker gespürt.

Bei den US-Kritikerpreisen wurden Sie für "Tár" ausgezeichnet und haben die Gelegenheit genutzt, eine Grundsatzkritik an Preisverleihungen zu üben. Mögen Sie keine Preise?

Darum ging es nicht. Es ist schön, dass wir nach der Pandemie wieder zusammenkommen und Erfolg gemeinsam feiern. Und manche Verleihungen genieße ich. Aber ich wehre mich dagegen, uns Kolleginnen gegenseitig als Konkurrentinnen auszuspielen. Die Presse ist immer scharf auf einen Zickenkrieg. Und der liegt mir fern.

Der Film "Tár" startet am 2. März. Cate Blanchett selbst wird am Mittwoch, ab 22.50 Uhr in der ARD-Talksendung "maischberger" sein.