Kultur

Der einsame und wahre Held

Wolfgang Benz hat ein neues Buch über Georg Elser geschrieben, den Mann, der alles riskierte, um Hitlerzu stoppen


Der Hitler-Attentäter Johann Georg Elser in den 30er Jahren.

Der Hitler-Attentäter Johann Georg Elser in den 30er Jahren.

Von Wolf-Dieter Peter

Bauernsohn, Tischler, Uhrmacher, Sozialist, Kommunist, Asozialer, intellektuell und ethisch unzulänglich ausgerüstet und deshalb nicht legitimierter Täter, sein Attentat primär hinterhältig geplant, billigend den Tod von Unschuldigen in Kauf nehmend, prima facie als Mord zu definieren...? So wurde die Person Georg Elsers rund 40 Jahre lang eingestuft. Seine schwäbische Herkunft wurde oft gleichgesetzt mit "Einfalt, Unbildung, Provinzialität, beschränktem Horizont, Naivität".

Dann gab es erste kleine Ehrungen in den 1970er Jahren. In München erst nach langen Querelen um einen unscheinbar kleinen Platz mit seinem Namen mitsamt einer ausstrahlungsarmen Lichtinstallation im Durchgang des Gasteig. Aber es gab eben keine Erinnerungsstätte im Rang der Geschwister Scholl oder der Verschwörer des 20.Juli 1944, nur noch eine Bodenplatte im Gasteig, wo zuvor der Bürgerbräukeller stand, der Ort des Attentats. Alles unwürdig.

Exakt in der "Hauptstadt der Bewegung" hat der - so die Abqualifizierung - "schwäbische Schreinergeselle" Elser am 8. November 1939 während der alljährlichen Feier des Putsches von 1923 versucht, Adolf Hitler zu töten - ein 36-jähriger Nichtakademiker und Nichtadeliger hätte also beinahe Deutschland, der Welt und damit Millionen Menschen Elend und Tod erspart. Dafür wurde er nach Jahren als "Sonderhäftling" am 9. April 1945 im KZ Dachau gemäß ausdrücklicher Weisung Hitlers aus dem Berliner Führerbunker von einem SS-Schergen per Genickschuss ermordet. Wären Leben, Tat und Tod nicht ein größeres als alle anderen Denkmäler in München wert? Das stellt sich als Frage nach der Lektüre des enorm anschaulichen, spannend zu lesenden, Buches von NS-Kenner Wolfgang Benz ein.


Mit der Beseitigung des Diktators einen bevorstehenden Krieg verhindern: Das hat Georg Elser seit den Wochenschau-Bildern von den edlen Limousinen vor dem "Führerbau", der heutigen Musikhochschule in der Arcisstraße, entschiedener als alle Appeasement-Politiker vor und nach der Münchner Konferenz geplant: ein Jahr vor Kriegsbeginn, also vor allen anderen gefeierten Widerständskämpferinnen und -kämpfern.

Diesem aus ärmlichen Verhältnissen in der schwäbischen Ostalb stammenden Kunsttischler wuchs aus der Not der Zwischenkriegszeit ein eher emotionaler Pazifismus zu. Schon Mitte der 20er Jahre warnte er auf Postkarten von der Arbeit am Bodensee nachhause, die Nazis zu wählen. Das pseudomilitärische Auftreten der NS-Organisationen, erst recht die nach der Machtergreifung von 1933 zunehmenden Vorschriften bis ins Privatleben hinein lehnte er ab.

Haltung und Milieu:
Er war der "wahre
Antagonist" Hitlers

Elsers protestantische Lebenswelt erweist sich als deutlichster Lesegewinn in Benz' Buch: Pietismus, Genügsamkeit, Bescheidenheit bei gleichzeitigem kleinbürgerlich-bäuerlichem und unkorrumperbaren Rechtsempfinden und Orientierung an göttlicher Ordnung: ein gradliniger Weg ohne "Damaskus"-Erlebnis wie bei den meisten anderen, anfangs noch oft NS-begeisterten Widerstandskämpferinnen und -kämpfern.

Elsers Ernsthaftigkeit schloss seine Freude ein in das autodidaktischen Musizieren mit Flöte, Ziehharmonika, später seinen Unterricht im Zither-Spiel und Kontrabass. Als "flotter Bursch" und einfühlsamer Tänzer wurde er charakterisiert. Mitglied war er bei den Naturfreunden und der sozialistischen Arbeiterbewegung. Mehrere Liebesbeziehungen sowie ein unehelicher Sohn gehörten zu seinem Lebensweg.

Nach einem Kapitel zu den rund 40 Attentatsversuchen auf Hitler rückt Benz dann alle Details zu Elsers einsamer Tat ins Zentrum: seinen Entschluss 1938, seine Sprengstofftests, seine 68 Tage in München, die Konstruktion des Zündungsuhrwerks, seine 30 bis 35 Nächte im Bürgerbräukeller, um alles in den Mauerpfeiler hinter dem Rednerpult einzubauen, die exakt eintretende Explosion um 21.20 Uhr - doch Hitler hatte um 21.07 Uhr den Saal Richtung Bahnhof verlassen.


Einsamkeit und Gefahren braucht Benz nicht breitzutreten: Sie sind greif- und nachvollziehbar. Bitter sind die verhaltenen bis schmähenden Reaktionen zu lesen: von Nazis und Nicht-Nazis, von den Gestapo-verängstigten Angehörigen und Bekannten, vom Ausland und Deutschen, wie vom Historiker Joachim Fest bis zu bundesdeutschen Alt-Nazis.

Selbst der durch seine Anti-NS-Rundfunkansprachen zur höchsten moralischen Instanz des "anderen Deutschland" aufgestiegene Thomas Mann notierte nur "schweres Attentat…", beschwor ab 1940 immer wieder die Notwendigkeit des Widerstands - und erwähnte den Namen "Elser" nie.

Bis auf kleine Einzelanerkennungen folgte bis in die 1980er Jahre die "Delegitimierung" Elsers als herausragendem Attentäter - bis zum Film von und mit Klaus Maria Brandauer 1989. Seither setzte sich die Metapher "Hitlers wahrer Antagonist" durch, die Einstufung als "Mann ohne Ideologie", der für Frieden, Anstand und Humanität sein Leben einsetzte: Elser als der kategorische Moralist, der eine als notwendig erkannte Tat ausführte.

München muss sich herausgefordert fühlen: Wenn der Gasteig über dem Ort des Attentats generalsaniert wird - muss sich dann darin nicht auch ein "Georg-Elser-Saal" befinden? Im Zuge der anstehenden Generalsanierung will die Münchner Volkshochschule eines "zentralen Veranstaltungsorts" nach dem Hitler-Attentäter benennen. In dem künftigen Georg-Elser-Forum sollen sich dann auch Informationen über die historische Figur und seine Tat finden.

Wolfgang Benz: "Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser" (Beck Verlag, 223 Seiten, mit SW-Abb., 22 Euro)