AZ-Filmkritik
"Die Frau des Nobelpreisträgers": Ausbrechen aus der Rolle
3. Januar 2019, 7:33 Uhr aktualisiert am 3. Januar 2019, 7:33 Uhr
Glenn Close spielt "Die Frau des Nobelpreisträgers" und gilt nun als großer Oscarfavorit. Die AZ-Kinokritik.
In aller Früh klingelt das Telefon bei Joe und Joan Castleman in Connecticut, ein Anruf aus Stockholm. Joe wird den Nobelpreis für Literatur erhalten. Trunken vor Freude tollt das seit 40 Jahren verheiratete Paar im Bett herum.
Mit Freunden und Familie wird tüchtig gefeiert, dann geht's nach Schweden zur Krönung eines Schriftstellerlebens. Mit dabei Sohn David, der in die Fußstapfen seines Vaters treten will und vergeblich auf dessen Segen und Ermunterung wartet. In Stockholm empfängt man den Preisträger mit allem Pomp, sogar eine eigene Fotografin steht für ihn bereit, die er bald mit Altmännerblick begehrlich taxiert. In der festlichen Atmosphäre zeigen sich nach und nach Risse in der Beziehung und ein durchtriebener Journalist (Christian Slater), der an einer Biografie des Literaten arbeitet, stößt auf einige Ungereimtheiten in dessen glanzvoller Karriere.
Falsche Kompromisse und Geschlechterstereotypen
Die Castlemans, großartig verkörpert von Glenn Close und Jonathan Pryce, sind ein eingespieltes und scheinbar ideales Paar. Sie hat ihm den Rücken frei gehalten und sich um das Wohl der Kinder gekümmert. Die traditionelle Rollenverteilung eben, männlicher Ehrgeiz und weiblicher Verzicht, auch wenn ein Stachel bohrt. Der Hauptteil der Handlung spielt in den 1990er Jahren, Rückblenden in die 1950er und 1960er erzählen von Sexismus und Frauenfeindlichkeit, davon, wie sich die junge Joan (Glenn Closes Tochter Annie Starke) in ihren Professor verknallt und ihn heiratet, ihr großes Schreibtalent brach liegt, ohne Chance in Zeiten von Männerhierarchien, "lassen Sie es" rät ihr damals ganz pragmatisch eine ausgebootete und erfahrene Autorin.
Die Spannungen nehmen vor der Verleihung zu, er kriegt Komplimente, sie darf zum Damenprogramm inklusive Shopping und Kosmetik. Das mit pointierten Dialogen und schwarzem Humor gespickte Drama geht weit über Probleme einer Promi-Ehe hinaus, rechnet mit falschen Kompromissen und Geschlechterstereotypen ab. Wie bei der russischen Puppe in der Puppe, kommen immer mehr Geheimnisse zutage, die die glückliche Ehe in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Zum Ende hin kommt die Implosion
Auf die Frage beim Preisträger-Dinner, ob sie berufstätig sei, antwortet Joan ganz sibyllinisch: "Ich bin eine Königsmacherin". Und plötzlich will sie nicht mehr unsichtbar sein, raus aus dem langen Schatten des Gatten. Die Implosion und den späten Befreiungsschlag nach jahrzehntelangem Frust, das Zusteuern auf ein tragisches Ende zeichnet der schwedische Regisseur Björn Runge nach dem Roman "Die Ehefrau" von Meg Wolitzer mit ein paar leichten, aber prägnanten Charakterstrichen, ohne einem von beiden den Schwarzen Peter zuzuschieben.
Ein raffinierter Ensemblefilm über Egoismus vs. Opferbereitschaft, Liebe, Leidenschaft und den Zusammenbruch einer Lebenslüge. Für die perfekte Performance von Glenn Close, auf deren Gesicht sich still Demütigung, angesammelte Wut und neuer Mut spiegeln, könnte es in wenigen Tagen einen Golden Globe geben und nach sechs Oscar-Nominierungen endlich das schon lang verdiente Goldmännchen.
K: City, Mathäser, Rio, Münchner Freiheit; R: Björn Runge (GB, USA, S, 101 Mi.)