AZ-Interview
Die Musikerin Inga über ihr Debütalbum "Tears And Teeth"
16. August 2020, 16:35 Uhr aktualisiert am 21. August 2020, 17:44 Uhr
Die Musikerin Inga über ihre persönliche Lösung der Wohnungsfrage in München, ihr mobiles Leben und ihr Debütalbum.
Das Label Trikont hat das Debüt-Album der Münchnerin Inga herausgebracht. Inga war bis dahin völlig unbekannt und musizierte zuvor nur für sich selbst.
AZ: Inga, Sie sind aus dem Nichts bei einem Label gelandet. Erstaunlich, oder?
INGA: Ich kann das gar nicht richtig fassen. Ich habe Freunde, die seit zwanzig Jahren versuchen, zumindest eine Booking-Agentur zu kriegen. Und ich, die es gar nicht wollte, laufe zufällig jemandem über den Weg, der sagt: Sollen wir das nicht mal einem Label schicken? Und dann klappt alles. Ich bin ein sehr glückliches Kind.
Wer ist dieser jemand, der Sie bei Trikont angepriesen hat?
Leo Hopfinger und Pico B. Ich habe sie beim Ausgehen kennen gelernt und sie haben mich gefragt, ob ich auch Musik mache. Sie haben dann gesagt, ich soll ihnen mal was schicken. Leo hatte zwei Label-Ideen, wir haben das zu Trikont geschickt, und die haben eine Woche später gesagt: Die wollen wir kennen lernen. Wieder eine Woche später saß ich in der Küche bei Trikont und wir haben per Handschlag etwas vereinbart. Ich hatte alles schon fertig aufgenommen, aber Leo hat es nochmal gemischt.
Wie ist die Musik entstanden?
Ich nehme seit acht Jahren Stücke auf. Viele sind unterwegs entstanden, auf einer Alm oder in meinem Auto. Die letzten drei Stücke sind dann aus der Euphorie entstanden, dass Trikont mich unter Vertrag nehmen will.
Wie nimmt man Stücke in einem Auto auf?
Das war auf einer Reise mit einem Wohnmobil. Das ist wie eine isolierte Gesangskabine. Da habe ich nur mit dem Laptop aufgenommen, mit dem integrierten Mikrophon und dem Programm Garageband. Wenn mal der Akku leer war, musste ich zu einer Steckdose und den Computer aufladen, dann bin ich zurück ins Auto und habe weitergemacht.
Sind Sie viel unterwegs?
Mit 26 habe ich zum ersten Mal den Rucksack gepackt und bin ein halbes Jahr nach Südamerika, danach alle zwei Jahre wieder. Ich war in Kanada und Australien, aber jetzt reizt mich die Ferne nicht mehr. Wenn ich in Europa 300 Kilometer fahre, bin ich auch in einem völlig anderen Kulturkreis.
Wie ist es möglich, dass Sie so oft auf Achse sind?
Ich habe früh entschieden, dass ich nicht jeden Tag arbeiten will. Ich bin schon früh in die Filmbranche reingerutscht, in der man viel am Stück arbeitet. Das gefällt mir: ein paar Wochen richtig reinzubuttern und dann wieder frei zu haben. Ich arbeite maximal 80 Tage im Jahr.
Aber Sie wohnen in München. Da müssen Sie bei der Wohnungssuche Glück gehabt haben.
Ich suche mir immer Immobilien, in denen es eigentlich nicht erlaubt ist, zu leben: Gewerbeimmobilien, Bürogebäude oder Atelierhäuser. Ich gehe einen harten Kompromiss ein: Ich habe dann halt kein Badezimmer. Ein Waschbecken reicht auch, und Schwimmbäder findet man ja in der Stadt. So zahle ich weitaus weniger Miete, im Schnitt so 350 Euro. Mein Zimmer ist so eine Art gemütliche Werkstatt mit Wohnatmosphäre. Und im Sommer habe ich mein kleines Wohnmobil, das stelle ich dann ins Grüne.
Haben Sie das Gefühl, ihr nonkonformes Leben erklären zu müssen?
Das war ganz lang so, von zwanzig bis dreißig. Da habe ich mich gefragt, ob ich nicht was Vernünftiges machen soll, eine Ausbildung oder ein Studium, sodass niemand fragt, warum ich schon wieder acht Monate nicht arbeite. Ich bin jedes Jahr in eine Krise geraten. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. In den letzten zehn Jahren habe ich das Gefühl nicht mehr.
Wie sind Sie zum Film gekommen?
Mein Schwager hat mich nach der Schule gefragt, ob ich ihm bei einem Kurzfilm helfen kann. Ich fand diese Welt und die Menschen faszinierend. Wenn man aus der Schule kommt, kennt man ja nur den Beruf des Lehrers und des Kontrolleurs. Ich bin dabei geblieben, habe fünf Jahre als Lichtassistentin gearbeitet, dann als Beleuchterin. Ich bin aber auch mal fünf Jahre ausgestiegen, weil ich es so sinnlos fand. Ich konnte nicht hinter dem stehen, was wir herstellen.
Und dann?
Habe ich überlegt, was ich sonst noch machen könnte und kam auf eine Idee: Mich würde interessieren, wie man guten Käse macht. Dann habe ich zwei, drei Jahre auf Höfen mit Ziegen, Schafen und Kühen gearbeitet.
Und das war auch nicht das Richtige?
Doch, das hat mich fasziniert, und ich habe mir überlegt, ob ich mir eine Ziegenherde zulege und die Schlösser- und Seenverwaltung frage, ob ich die im Englischen Garten aufstellen darf. Aber dann dachte ich: Das ist ja wie Kinder haben. Will ich das jetzt schon? Das mit der Ziegenherde kann ich mir vielleicht vorstellen, wenn ich sechzig bin.
Und dann sind Sie wieder zurück zum Film?
Nach fünf Jahren hat mich ein Freund gefragt, ob ich als seine Kollegin bei einem Film arbeiten würde. Ich habe gesagt: Total gern. Da war ich ganz schön pleite. Ich habe meine Einstellung dazu geändert, stehe jetzt immer noch hinter dem, was wir herstellen, das ist alles total flach und banal. Aber es ermöglicht mir, den Rest meines Lebens mit nicht so Flachem und Banalem zu füllen.
Zum Beispiel mit Musik. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Reduziert, dilettantisch, atmosphärisch, ruhig und langsam. Die Musik drängt sich nicht auf und soll nicht weh tun. Sie entsteht hauptsächlich in meinem Kopf. Dann spiele ich das mit Gitarre, Keyboards, Percussion ein, und ich verwende auch Samples aus anderen Stücken. Das ist so ein Gefrickel und Gebastel.
Ein Song handelt vom Alphabet, ein anderer vom Zahnarztbesuch. Wie entstehen Ihre Texte?
Texte schreiben ist ein leidiges Thema. Beim ABC habe ich die Buchstaben aufgeschrieben und meine jeweils erste Assoziation dazu.
Und wie entstand der Zahnarzt-Song "Frau Adolf"?
Ich war zehn Jahre lang nicht beim Zahnarzt, dann hatte ich eine tolle Zahnärztin, die bei mir ein Jahr lang aufgeräumt hat. Danach hatte ich viele Zahnarztfloskeln im Kopf, die habe ich in den Song eingebaut. Fast alles ist Originaltext meiner Zahnärztin.
Weiß sie das?
Ja, sie musste herzlich lachen. Ich hatte ihr den Song auf CD gebrannt, damit sie ihn in ihrem kleinen Mini anhören kann - sie verdient ja nicht so viel und fährt nur einen Mini.
Auch im Lied jammert die Zahnärztin über ihr niedriges Honorar. Überraschend!
Für mich war das auch eine Überraschung. Aber ich habe auch mit einem anderen Zahnarzt gesprochen: Das ist echt Wahnsinn, wenn der alles standardmäßig macht, verdient er zwanzig Euro pro Patient, er hat aber eine Praxis und Angestellte. Das ist nicht mehr so cool, wie's einmal war.
Das ist mal etwas Neues, dass freie Kulturschaffende das Klagelied für Zahnärzte anstimmen. Zurück zur Musik, Sie spielen jetzt live. Ihr wievielter Auftritt ist das eigentlich?
Der dritte.
In Ihrem ganzen Leben?
Wenn man Auftritte bei privaten Feiern dazu zählt, ist es der sechste. Wir spielen in einer neuen Konstellation, zu dritt. Die beiden anderen haben wohl vorher schon mal geprobt. Aber zu dritt haben wir am Samstag zum ersten Mal gespielt.
"Tears And Teeth" bei Trikont (Vinyl und Download). Live am 17. August um 19.15 Uhr bei Kunst im Quadrat auf der Theresienwiese und am 18. August um 20.30 Uhr im Innenhof des Volkstheaters