Kultur

Distanz zum Country

Die US-Amerikanerin Margo Price hat ein Album aufgenommen - mit einem Striptease zu Beginn. Aber sie erzählt auch von Schmerz


Margo Price verpackt oft schwere Themen in schmeichelnde Musik.

Margo Price verpackt oft schwere Themen in schmeichelnde Musik.

Von Dominik Petzold

Die Tür zu, das Handy aus und ein paar Tage Urlaub von der Welt: Wer möchte nicht dasselbe tun wie Margo Price in ihrem neuen Video? "The only thing I have on is the radio", singt sie da im Refrain: Außer dem Radio habe sie nichts an! Und lustigerweise wird der Satz im Lauf des Videos immer wahrer: Je länger sie allein zuhause herumfläzt, umso weniger Kleidung trägt sie. Am Ende bleibt nur der Slip.

So heiter das Video zum Lied "Radio" auch ist und so poppig-eingängig der Song klingt: Bei Margo Price steckt hinter diesen Rückzugsfantasien echter Schmerz. Der durchzieht ihr ganzes Album "Strays". Die US-Amerikanerin hat viel Schlimmes hinter sich: Sie hat einen ihrer Zwillingssöhne nach der Geburt verloren, kämpfte lange gegen die Sucht - und auch gegen Armut und Erfolglosigkeit, als sie versuchte, sich als Country-Sängerin in Nashville durchzusetzen.

Das gelang ihr aber letztlich: Jack White gab ihr einen Vertrag bei seinem Label, ihr Debütalbum wurde gefeiert, sie wurde für den Grammy nominiert und fand weitere prominente Fans wie Willie Nelson. Der Weg zum Ruhm war aber so hart, dass sie schon im Alter von 39 Jahren genug Stoff für eine Autobiographie hatte. Die erschien im vergangenen Herbst und fand ebenfalls viel Zuspruch.

Die geschilderten Qualen prägen nun auch das neue Album: "In my heart there's a hole, twice the size of God", singt sie in dem tollen Song "Hell In The Heartland", das Loch in ihrem Herzen sei doppelt so groß wie Gott.

Manche Songs klingen genauso traurig wie ihre Texte, etwa die karge Ballade "Lydia". Aber oft verpackt Margo Price die schweren Themen in einschmeichelnde Musik, zum Beispiel bei dem sehr gefühlvollen "County Road" mit dem tollen Seventies-Feeling, dem poppigen "Time Machine", bei "Anytime You Call" mit Gaststar Lucius, in dessen Refrain der gospel-beseelte Soulrock der frühen Siebziger durchschimmert, oder eben "Radio", bei dem Sharon Van Etten mitsingt.

Die Musik ist größtenteils weit von dem traditionellen Country-Sound entfernt, mit dem Margo Price bekannt wurde: "Strays" springt munter zwischen Rock, Pop und psychedelischem Country umher. Und so stilistisch vielseitig die Musik auch ist, der Klang ist durchgängig großartig, die Produktion von Jonathan Wilson absolut bemerkenswert, egal ob die Musik nun von akustischen Gitarren geprägt ist wie das Intro von "Light Me Up" oder von modulierten, New Wave-artigen E-Gitarren wie "Time Machine". Und "Hell In The Heartland" endet mit einer famosen Produktions-Idee: Die Geschwindigkeit des Midtempo-Songs zieht gegen Ende immer mehr an, der Refrain versinkt allmählich in einem psychedelischen Strudel, aber die Grundstimmung ändert sich nicht entscheidend. Alles anders und doch alles gleich - wie im echten Leben.

Margo Price: "Strays" (erschienen bei Loma Vista/Concord/Universal)