TV-Kritik

East of Ibiza: Der "Tatort: Glück allein" aus Wien


Kommissarin Julia Soraperra (Gerti Drassl) und der Politiker Raoul Ladurner (Cornelius Obonya) sorgen sich um seine schwerverletzte Tochter.

Kommissarin Julia Soraperra (Gerti Drassl) und der Politiker Raoul Ladurner (Cornelius Obonya) sorgen sich um seine schwerverletzte Tochter.

Von Stephan Kabosch / Onlineredaktion

Jede Krimi-Fiktion kann nur zurückbleiben hinter der Strache-Realität. Warum der Wiener "Tatort: Glück allein" dennoch sehenswert war - die AZ-Kritik.

Spoiler-Warnung

Liebe AZ-Leser, die folgende Kritik enthält teils unverschleierte Hinweise zur Handlung des "Tatorts: Glück allein" (Sonntag, 20.15 Uhr in der ARD). Falls Sie den Krimi unvoreingenommen sehen möchten, lesen Sie diesen Artikel am besten erst später.

"Du bisch goa nix ohne mi, vaschteasch. Isch des iatz kloar!" - Alles klar? Der "Tatort: Glück allein" aus Wien könnte außerhalb Österreichs eine sprachliche Herausforderung sein - zumindest für jene, die nicht im bayerischen Oberland leben, jedes zweite Skifahr-Wochenende im hinteren Ötztal verbringen oder regelmäßig im Dorfgasthaus von Flaurling einkehren. Ja genau: Flaurling. Von dort im Oberinntal stammt die Figur des Raoul Ladurner (Cornelius Obonya).

In Wien ist Ladurner Abgeordneter zum Nationalrat, kämpft als Aufklärer gegen Sumpf und Korruption und hat schon allein deshalb viele Feinde. Daran denken die diesmal auffallend harmonisch ermittelnden Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser), als in Ladurners Haus seine Frau und Tochter nach einem Messerangriff blutüberströmt aufgefunden werden.

Bestechung und Scheinfirmen, Amtsträger und Parteienförderung: Was für ein Timing, dass der Wien-"Tatort" zwei Wochen nach jenem Ibiza-Video ausgestrahlt wurde, das ein Polit-Beben in der Alpenrepublik auslöste. Was für ein Pech aber auch, dass jede Krimi-Fiktion nur zurückbleiben kann hinter der Strache-Realität. Was damals im März 2018 beim "Tatort"-Dreh so ganz außerhalb jeder Vorstellungskraft lag, darüber wundert sich heute keiner mehr in Österreich.

Wiener "Tatort: Glück allein" lebt von seinen Charakteren

Das Thematisieren der Freunderlwirtschaft, des Filzes zwischen Politik und Polizei, des Ermittlerduos im Kampf gegen dieses System, es gehört neben dem Wiener Schmäh zu den Erfolgsfaktoren für den Österreich-"Tatort". Doch mit Ibiza im Rücken wirkt "Glück allein" (Regie: Catalina Molina, Buch: Uli Brée) eher wie ein Kratzen an der Oberfläche.

Nicht alles ist nachvollziehbar, manchem kann man nur mit Mühe folgen in diesem Psychodrama bis hin zum emotional gewaltigen Showdown um die Wahrheit, um Tod oder Leben, zwischen Ladurner und der Sonderermittlerin Julia Soraperra (Gerti Drassl), die nicht nur auch Ladurners Geliebte ist, sondern ebenfalls aus Tirol stammt - und auch so spricht.

Ja, dieser "Tatort" lässt einen verstört und fragend zurück. Seine Stärke bezieht "Glück allein" aus der Wucht seiner Charaktere. Burgschauspieler Obonya verkörpert bedrückend die Schizophrenie Ladurners zwischen selbsternanntem "Saubermann der Nation" und manipulierendem Psychopathen. Die Boznerin Drassl ("Vorstadtweiber") agiert als Julia großartig zwischen beruflicher Überforderung und privater Hilflosigkeit. Obonya und Drassl: alle beide sehens- und wenn man ihrem harten Tiroler Dialekt folgen konnte - auch hörenswert.