Kultur
"Ich bin Lieferant von Emotionen"
21. Februar 2023, 17:57 Uhr aktualisiert am 21. Februar 2023, 17:57 Uhr
In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs träumten zwei Männer von einer schöneren Welt voller Kultur. Realität wurde sie für den Kunsthistoriker Georg Karl und den Germanisten Curt von Faber du Faur durch ein Kunst- und Literaturantiquariat. 1923 war das, und Papier spielt bis heute eine wesentliche Rolle. Deshalb musste es zum 100- Jährigen natürlich ein fein gebundenes Buch sein. Geschäftsführer Rupert Keim blickt auf eine reiche Geschichte.
AZ: Herr Keim, Auktionen sind aufregend. Bräuchten Sie hin und wieder einen Arzt oder Psychologen im Saal?
RUPERT KEIM: Bei allem rund um den Kunstbetrieb fragt man sich manchmal, ob das nicht ganz nützlich wäre. Aber dadurch, dass man mit der Kunst immer auch Emotionen trifft, können die bei einer Auktion schon sehr hochgehen.
Was ist an diesem Geschäft so faszinierend, dass Sie Ihren Job als Anwalt an den Nagel gehängt haben?
Die Liebe zur Kunst war immer schon da, deshalb habe ich mich als Anwalt auch aufs Urheberrecht spezialisiert. Als dann die Möglichkeit kam, Karl & Faber zu übernehmen, habe ich überlegt: Es gab eine Handvoll Auktionshäuser in Deutschland und auf der anderen Seite bereits 120 000 Anwälte. Beim Auktionshaus kann ich meine Interessen gebündelt zum Einsatz bringen, die Kunst und die Geschichte der Kunst, der Umgang mit Menschen, auch das Wirtschaftliche. Letztlich war es eine Bauchentscheidung. Ich mache das jetzt im Juli 20 Jahre und hatte immer das Gefühl, es war der richtige Entschluss.
Ihr erstes Auktionshämmerchen …
… ging sofort zu Bruch. Mein Vorgänger Louis Karl schenkte mir ein schönes Hämmerchen aus Elfenbein, das er in den 1960er Jahren nach seiner Lehrzeit bei Sotheby's bekommen hatte. Ein Zahnarzt verband die beiden Teile wieder mit einem Stift, und nichts fiel Herrn Karl auf, das war das Wichtigste! Bis heute habe ich diesem Hämmerchen 50.000 Objekte versteigert.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Auktion?
Das war im Dezember 2003. Louis Karl saß mit seiner 40-jährigen Erfahrung an meiner Seite, es konnte also nichts schief gehen. Mich hat nur irritiert, dass ein älterer Herr anfing, auf sein eigenes Objekt zu bieten. Er schien sich nicht daran zu erinnern, dass wir das für ihn verkaufen sollten. Na ja, es war exakt sein Geschmack.
Das kurioseste Bietgefecht?
Das lieferte sich ein Ehepaar, das sich gegenseitig zu Weihnachten überraschen wollte! Sie saß im Saal, er bot am Telefon, und die zwei schaukelten sich richtig hoch. Wir merkten schon, dass da etwas schiefläuft, und haben das zum Zeitpunkt, als nur noch die beiden erhöhten, geschickt gestoppt. Da muss man auch fair sein. Die Überraschung war dann eine andere: Dass sich dieses Ehepaar so dermaßen gut versteht, war beiden nicht klar.
Gab's Handgemenge, wenn jemand nicht zum Zug kam?
Das nicht, aber Bieter, die ihre Losnummer auf den Boden pfeffern und wütend aus dem Saal stampfen, gibt es immer mal. Das ist die Enttäuschung des Jägers, der seine Beute nicht heimbringen kann. Das kommt übrigens nur bei Männern vor.
Das Risiko gehört zur Auktion, aber grenzt es nicht an Wahnsinn, ein Antiquariat während einer galoppierenden Inflation zu gründen.
1923 war schon beachtlicher unternehmerischer Mut nötig. Das Jahr fing an mit der Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen und Belgier. In Deutschland stand eine Revolution im Raum. Dann entwickelte sich eine Hyperinflation, im September hat ein Laib Brot 5 Milliarden Reichsmark gekostet. Und am 9. November kam der Hitler-Putsch. Es gibt wenige Jahre in der deutschen Geschichte, die so explosiv waren. Aber Georg Karl und Curt von Faber du Faur haben ganz bürgerlich ein Antiquariat gegründet, unglaublich!
Woher kam damals die Ware?
Nach dem Ende des Kaiserreichs wurden viele Adelsbibliotheken aufgelöst. Bis dato waren selbst hoch überschuldete Adlige vor Zwangsvollstreckung geschützt. Doch nun kamen einige bedeutende Bibliotheken auf den Markt. Und in den Vereinigten Staaten gab es von Anfang an wichtige Kunden. So konnte man auch wieder an Devisen gelangen, um halbwegs glimpflich durch die Inflationszeit zu kommen.
Was hat das Haus überhaupt so gut durch die Zeiten kommen lassen? Auch durch die braunen 30er Jahre?
Faber du Faur war früh ausgestiegen, weil er eine Amerikanerin geheiratet hatte. Wenn es eng wurde, hat er von den USA aus unterstützt. Es kam aber auch in den 1930er Jahren noch zu bedeutenden Auktionen wie die Verkäufe der fürstlichen Bibliotheken von Oettingen-Wallerstein. Die jüdischen Antiquariate waren ab 1938/39 nicht mehr da, es gab also weniger Konkurrenz. Ich maße mir kein moralisches Urteil über Georg Karl an. Er war einerseits früh Mitglieder der NSDAP, andererseits durfte man das Versteigerergewerbe nur ausüben, wenn man halbwegs "staatsangepasst" unterwegs war.
Weil man eine öffentliche Lizenz brauchte?
Ja, das ist bis heute so. Nach allem, was wir bei unseren Recherchen für das Jubiläumsbuch herausgefunden haben, war Georg Karl kein Nazi, aber er hat wie viele versucht, mit seiner Firma durchzukommen. Für das Antiquariat der jüdischen Familie Hirsch, die in die Schweiz emigriert ist, hat Karl lange noch Bücher verkauft und die Erlöse in die Schweiz gebracht. Dafür bekam er Strafen, aber er hat sich dem Geschäftsgebaren hier nicht entzogen. Karl & Faber war damals allerdings kein Kunstauktionshaus. Für die Auflösung jüdischer Haushalte kam das Unternehmen gar nicht infrage. Natürlich sind die Geschäfte in den 1940er Jahren zurückgegangen, das Haus wurde 1944 ausgebombt. Also hat man in Murnau weiter auktioniert - bis zum Schluss und unter der Beteiligung internationaler und vor allem amerikanischer Kunden.
Und nach dem Krieg?
Ging es 1948 schnell weiter, auch mithilfe der emigrierten jüdischen Händler. Karl hatte immer Kontakt gehalten. Es gab sowieso wenige Auktionshäuser, die so sehr auf Bücher, Zeichnungen und Grafik spezialisiert waren. Deshalb hat eine Familie Wagner etwa eine Ingres-Zeichnung zu Karl & Faber gebracht - nämlich ein Porträt von Franz Liszt. Die große Konkurrenz kam in den 1980er Jahren, weil Sotheby's und Christie's begannen, sich auch auf dem deutschen Markt zu engagieren. Und es gab Neugründungen wie Grisebach in Berlin.
Findet man noch einen Nolde im Müll wie 1989?
Immer wieder. Einmal kam jemand mit einem Bild, das er auf der Auer Dult für 20 Euro gekauft hatte. Wir haben gesehen, dass das kleine Gemälde in der Gruppe SPUR entstanden ist. Heimrad Prem, HP Zimmer, Lothar Fischer haben sich gegenseitig porträtiert. Am Ende brachte die Arbeit 10 000 Euro. Und noch besser: Vor fünf, sechs Jahren wurde eine Altartafel mit zwei Heiligen aus einem Münchner Vorort bei uns eingereicht. Erst spät stellte sich heraus, dass Filippino Lippi der Maler war und diese Tafel zu einem wichtigen Altar in den Uffizien gehört. Das Gemälde brachte 375 000 Euro.
Was waren denn die Top-Lose?
Bemerkenswert war Anfang der 1960er Jahre ein Gemälde von Picasso aus den 40er Jahren - einer der ersten Picasso-Verkäufe in einer deutschen Auktion. Damals für 25 000 Mark. Heute würde dieses Bild 8 oder 9 Millionen Euro bringen. Auch das Liszt-Porträt von Ingres ergab in den 60ern über 120 000 Mark - damals enorm für eine Zeichnung! Aus meiner Zeit war es ein Gemälde von Heinrich Campendonk für eine knappe Million Euro.
Welche Rolle spielt inzwischen der Online-Handel?
Es gibt die Online-Only-Auktion, da geht es zwischen 500 und 3000 Euro los. Die Saalauktion mit ihrer Dynamik ist für höherwertige Objekte nach wie vor das Beste. Viele informieren sich online, können am PC oder Telefon mitbieten, aber die Auktion ist physisch. Der Online-Auftritt beschert uns jedoch so viele Bieter wie nie zuvor. Das Internet hilft den im Vergleich zu Sotheby's oder Christie's kleineren Häusern und ermöglicht eine unglaubliche Reichweite und internationale Preise. Ich habe vorletztes Jahr einen Renoir versteigert, der bei Christie's durchfiel.
Ist der Markt wirklich härter geworden?
Sicher. Es schaut immer so easy aus, was wir tun, aber der Kampf im Bereich der Beschaffung ist schon heftig. Wir gehören zu den Top 5 in Deutschland und stehen international mit 15 Auktionshäusern in ständigem Wettbewerb. Man kann sich nur durch die persönliche Vernetzung, einen perfekten Service und überhaupt eine gute Leistung abgrenzen. Wir kümmern uns nicht wie die ganz Großen um die Millionen-Objekte, wir können uns auch in Bereichen deutlich darunter richtig engagieren. Das ist unsere Stärke.
Sie lernen Menschen von ihren Leidenschaften, also einer sehr privaten Seite her kennen.
Ja, man kommt sehr nahe an die Menschen heran, ich bin Lieferant für deren Emotionen. Das reicht von ganz schüchternen Leuten bis zu selbstgewissen Dax-Vorständen, aber durch die Kunst öffnen sie sich. Sie erfahren innerhalb kürzester Zeit alles über die Familie. Wir müssen also sehr diskret sein.
Wann haben Sie begonnen, Kunst zu sammeln?
Ich war 17, als ich zwei Zeichnungen von Johann Georg Dillis ersteigert habe. Schon in meinem Elternhaus wurden Arbeiten auf Papier gesammelt, zum Beispiel aus der Goethezeit. Mittlerweile gehe ich bis ins Zeitgenössische. Auf Papier findet der erste künstlerische Gedanke Ausdruck. Das ist immer frisch, deshalb wirken Zeichnungen so zeitlos.
Buch: Rupert Keim, Sheila Scott (Hrsg.): "Zum Ersten, zum Zweiten, zum 100. - Karl & Faber - Kunstauktionen seit 1923"
(Hanser, 224 Seiten, 28 Euro)
Auktionen: Online-Only: Sammlung Marion Grcic-Ziersch bis 1. März 2023. Live-Auktion Alte Meister und Kunst des 19. Jahrhunderts 25. Mai 2023. Moderne und Zeitgenössische Kunst 29. und 30. Mai 2023 im Luitpoldblock am Amiraplatz 3.
AZ-Interview
mit Rupert Keim
Der 50-jährige Jurist aus München hat 2003 die Firma Karl & Faber Kunstauktionen übernommen. Seit 2016 ist er Präsident des Bundesverbands Deutscher Kunstversteigerer, seit 2017 Mitglied im Sachverständigenausschuss für Kultur- und Archivgut des Freistaats Bayern.