Bayerisches Staatsschauspiel

Kleists "Amphitryon", inszeniert von Julia Hölscher im Residenztheater


Kleists "Amphitryon" im Residenztheater.

Kleists "Amphitryon" im Residenztheater.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Heinrich von Kleists Komödie "Amphitryon" in einer Inszenierung von Julia Hölscher im Residenztheater

Generationen von Germanisten haben gerätselt, was das letzte Wort, dieser Komödie, Alkmenes "Ach!", wohl bedeuten möge. Das Residenztheater gibt die ultimative Antwort: Pia Händler berührt ihren plötzlich wachsenden Bauch und kapiert, was Jupiter eben wortreich seinem neuen Kumpel Amphitryon erklärt hat: Sie ist schwanger von diesem Gott, der ihr in Gestalt ihres Gatten erschien.

In Julia Hölschers Inszenierung ist das "Ach!" kein verwirrtes Verstummen. Die Schauspielerin spricht die drei Buchstaben trocken, geradezu verblüfft. Während die Herren in der letzten Szene von der ganzen Doppelgängerei wie aus der Bahn geworfen wirken, reagiert Pia Händlers Alkmene so souverän wie fast alle Frauen in den Dramen Heinrich von Kleists: Die Verwirrungen haben sie gestärkt, und nun fängt ein zweites, von den Kerlen womöglich unabhängiges Leben an.

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Kleists "Amphitryon" im Residenztheater.

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Kleists "Amphitryon" im Residenztheater.

Die Herren mit Wampe

Vom Ende her betrachtet, erzählt Händlers unforciert heutige Inszenierung von Kleists "Amphytrion" die Geschichte einer Reifung, für die das Wort Emanzipation wahrscheinlich zu groß ist. Muss alles im Theater gleich XXL-Format haben? Nein. Pia Händlers rothaarig-leichtgeschürzte Alkmene wirkt am Anfang eingesponnen in ihre Verliebtheit ein wenig naiv. Sie tritt von Beginn an als heutige, mäßig selbstbewusste Frau auf, die an Stärke gewinnt, was psychologisch glaubhafter wirkt wie Anflüge des Tragischen, die zu diesem Stück nicht passen, das im Residenztheater eine Komödie bleibt.

Das alles wird lässig aus Kleists Versen heraus erzählt, die wie Prosa behandelt werden - mit einer nach vorn geholten Szene zwischen Jupiter und Alkmene, aber ohne jede interpretierende Besserwisserei. Im Vorübergehen zeigt die Regisseurin mit sanfter Ironie, wie unhintergehbar privat Leidenschaften sind.

Weder Amphitryon noch sein göttlicher Doppelgänger wirken besonders knackig. Beide Herren ziert eine mehr (Jupiter) oder weniger (Amphitryon) deutliche Wampe. Während der echte und der von Merkur gedoppelte Sosias an leicht gealterten Roadies gemahnen, erinnern ihre zauselhaften Vorgesetzten an Mitglieder einer Krautrockband, deren Musik dem Zuschauer dankenswerterweise erspart bleibt.

Wo die Liebe hinfällt

Die pausenlose Inszenierung hat damit zu kämpfen, dass die Theaterzeichen für leicht lächerliche männliche Verunsicherung und Ratlosigkeit beschränkt bleiben: Es wird (in Maßen) gebrüllt und gefuchtelt. Florian von Manteuffel nölt den Amphitryon nur schwach moduliert heiser, Christoph Franken besteht als Jupiter eine Oktave höher vor allem aus aufgeblasener Arroganz. Der einzige Schauspieler mit mehr als einem Tonfall bleibt Nicola Mastroberardino als Sosias, der mit einer vergleichsweise eleganten Charis (Luana Velis) verpartnert ist: Auch hier bleibt rätselhaft, wo die Liebe so hinfällt.

Anfangs spiegeln sich die Zuschauer selbst auf der Bühne. Wer das bei einem Stück über Doppelgänger platt findet, wird überrascht, wenn sich die rote Wand dreht und die Figuren sich in dem hochgezogenen Spiegel vervierfachen (Bühne: Paul Zoller). Wenn die Identitäten wanken, dreht sich die Bühne wild wie ein Karussell. Dann enthüllt Jupiter seine Göttlichkeit, und die umfallenden Wände fegen einen scharfen Wind über das Parkett des Residenztheaters.

Gesprochenes Wort und Körpertheater wirken in Julia Hölschers aus Basel übernommener und in drei Rollen neu besetzter Inszenierung perfekt ausbalanciert: Jupiter und Alkmene formen einmal eine Pietá des erotischen Leids, die dem Gott auch diskrete Fummelei erlaubt. Die anfangs mehr solide Aufführung steigert sich zum Schluss, wenn Jupiter sich wieder in einen Gott verwandelt und im Hintergrund so verschwindet, wie ein Gott ihn schuf.

Und als Mann fragt man sich beim Hinausgehen: Wäre unsereinem diese Deutung des "Ach!" eingefallen? Wohl kaum. Es ist eine Freude, wenn Frauen den Frauenversteher Kleist inszenieren.

Wieder am 27. November, 9. , 22. und 30. Dezember sowie am 2. Januar im Residenztheater. Karten online, an der Tageskasse am Marstallplatz und unter Telefon 2185 1940