Neu im Kino
"Motherless Brooklyn": New York Stories
12. Dezember 2019, 10:10 Uhr aktualisiert am 12. Dezember 2019, 10:10 Uhr
Ein guter Trip in die kriminellen 50er: "Motherless Brooklyn" von und mit Edward Norton und vielen Stars.
Wer an den Film Noir denkt, dem fällt Humphrey Bogart ein. Sein Privatdetektiv Sam Spade in "Die Spur des Falken" (1941) oder Philip Marlowe in "Tote schlafen fest" (1946). Attraktiv, undurchsichtig und durchzogen von einem bitteren Zynismus waren diese Figuren. Lionel Essrog aber, den Edward Norton in seiner Genre-Hommage und zweiten Regiearbeit "Motherless Brooklyn" spielt, ist all das nicht: Vollkommen uncool und tief im Herzen ein anständiger Kerl entspricht der Privatermittler, der sich im Jahre 1957 durch den New Yorker Sumpf aus Korruption und Verbrechen arbeitet, so gar nicht den Vorgaben des Film Noir.
"Motherless Brooklyn": Bruce Willis und Alec Baldwin
Lionel leidet unter anfallartigen Tics, bei denen die Worte unkontrolliert aus ihm herauspurzeln. "Mein Gehirn fühlt sich an wie aus Glas" sagt er, denn in den Wortkaskaden, die das Tourette-Syndrom aus ihm herausbrechen lässt, finden sich oft unausgesprochene Wahrheiten und versteckte Gefühle. Und Lionel verfügt über ein detailgenaues Gedächtnis und kann aus den im Kopf gespeicherten Daten Indizien und Verhaltensmuster herausfiltern.
Aber nun ist der Chef der Detektei (Bruce Willis) tot. Der letzte Fall war eine Nummer zu groß und die Hintermänner zu mächtig. Auf eigene Faust beginnt Lionel in dem Mordfall zu recherchieren. Seine Tics prädestinieren ihn vielleicht nicht als unauffälligen Ermittler, aber einen Vorteil hat das Handycap: Die Menschen unterschätzen ihn.
Seine Nachforschungen führen Lionel in zwei Richtungen: Zum einen zu dem mächtigen Baustadtrat Moses Randolph (Alec Baldwin), der seine stadtplanerischen Visionen durchsetzt und dabei vornehmlich afroamerikanische Arbeiterbezirke platt macht. Zum anderen zur Rechtsanwältin Laura Rose (Gugu Mbatha-Raw), die sich für die betroffene Community einsetzt.
"Motherless Brooklyn": Michael K. Williams als Trompeter
Nicht nur in die korrupten, urbanen Machtstrukturen arbeitet sich Lionel ein, sondern auch in die Lebenswelt Harlems und landet immer wieder in einen Jazz-Club. Als der Trompeter (großartig: Michael K. Williams) zu einem kongenialen Solo ausholt, brechen im freien Fluss der Musikimprovisation auch Lionels Dämme. Die körperlichen Zuckungen und der Wortschwall verbinden sich mit dem Jazz zu einem kurzen, ekstatischen Moment der Befreiung. Ähnlich wie hier Tics und Musik ineinander greifen, entwickelt sich auch die zunehmende Dynamik des Plots, in dem politische Korruption und private Schuldverstrickungen eng miteinander verbunden sind.
Ein moderner Film Noir
Mit "Motherless Brooklyn" ist Norton ein moderner Film Noir von erstaunlich gutem künsterlischen Stil gelungen. Das erlesene Retro-Setting, die elegante Kameraarbeit von Dick Pope, der Offbeat-Rhythmus der Erzählung und der exzellenter Jazz-Soundtrack greifen hier geschmeidig ineinander. Ganz zu schweigen von dem herausragenden Ensemble: Alec Baldwin als Immobilien-Tycoon, Willem Dafoe als verwahrloster Star-Architekt und Gugu Mbatha-Raw, die das düstere Noir-Setting wie ein Kaminfeuer zum Glühen bringt: "Motherless Brooklyn" ist ein Film, in dem es eigentlich keine Nebenrollen gibt, sondern jeder Schauspieler die unaufdringliche Intensität dieses gelungenen Genre-Schmuckstücks mitträgt.
Kino: City (OmU) sowie Cinema, Museum (OV)
B, R, D: Edward Norton
(USA, 145 Min.)