Kultur

Nur das Beste wollen

Einer der besten deutschen Filme: "Das Lehrerzimmer" ist umwerfend spannend, dicht und intelligent


Frau Nowak (Leonie Benesch) im Lehrerzimmer zwischen Kollegialität und nervösem Misstrauen. (Oben:) Leonard Stettnisch als liebenswerter Junge Oskar, der vom Unterricht suspendiert werden soll, das aber nicht einfach hinnimmt.

Frau Nowak (Leonie Benesch) im Lehrerzimmer zwischen Kollegialität und nervösem Misstrauen. (Oben:) Leonard Stettnisch als liebenswerter Junge Oskar, der vom Unterricht suspendiert werden soll, das aber nicht einfach hinnimmt.

Von Adrian Prechtel

Lehrersein ist kein Job, es sollte Berufung sein. Denn schnell gerät man ins Spannungsfeld aus Schulleitung, ministeriellen Vorschriften sowie Schülern und deren Eltern. Man kann daraus intelligente Komödien machen, wie Sönke Wortmanns "Frau Müller muss weg", wo selbstgerechte Eltern ihr Fett wegbekommen oder den ersten Teil von Bora Dagtekins "Fack ju, Göhte", der cool die Null-Bock-Problematik gesellschaftlich Abgehängter verhandelte.

Regisseur Ilker Çatak dreht jetzt den Schraubstock dramatisch enger: Wir verlassen den Schulkosmos aus Lehrer- und Klassenzimmer, Sporthalle, Sekretariat und Gängen nicht. Der Film öffnet sich auch nie ins Private. Und dennoch sind alle Figuren so glaubwürdig und doch suggestiv zwischen Typus und Individuum gezeichnet, dass wir alle verstehen und sogar glauben, sie gut zu kennen. Das schafft eine Nähe, der man sich nicht entziehen kann. So ist das "Lehrerzimmer" ein packender Glücksmoment für den Zuschauer, auch wenn es sich um ein Drama handelt, eine Art psychologischer Krimi.


Es geht um richtig und falsch, um Vorurteile, Moral und Gerechtigkeit - und das alles ohne klare Täter im Umfeld der Untersuchungen zu Diebstählen. Im Zentrum ist die Mathematik- und Sportlehrerin Carla Nowak, der Leonie Benesch alle Schattierungen von Empathie für die Schüler, Empörung über Ungerechtigkeit, Beherrschung und Wut, Kraft und Verletztheit gleichzeitig ins Gesicht schreiben kann. Das verleiht Frau Nowak eine bannende, flirrende Kompexität, was Leonie Benesch alles ausdrucksstark, aber nie überagierend zeigt. Sie ist eigentlich menschliches Idealbild einer heutigen Lehrerin - und dann doch wieder mit einem gefährlichen idealistischen Rigorismus bewaffnet.

Wer jetzt ein rein düsteres Spiel erwartet, irrt erst einmal: die Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse sind - allenfalls leicht präpubertär und natürlich entspannt migrantisch gemischt - sympathisch, durchaus kooperativ, wenn auch selbstbewusst. Auch das Lehrerkollegium changiert zwischen streng und lässig. Aber alle sind keine Unmenschen und durchaus engagiert. Selbst die Schulleiterin hat zwar "Zero Tolerance" als Maxime, ist aber ebenfalls menschlich ansprechbar und gibt ihr Bestes. Womit jegliches, letzlich langweiliges Gut-Böse-Schema elegant und intelligent vermieden ist.


Und trotzdem läuft die Geschichte, in der alle ihre Arbeit machen oder sogar das Beste wollen, wie ein Uhrwerk in die Eskalation. Und es ist die tragische Ironie, dass die Katastrophe ausgerechnet durch eine lässliche und verständliche kleine moralische Unbedachtheit von Frau Nowak ausgelöst wird, die genau durch ihren Gerechtigkeitssinn unschuldig schuldig wird. Sie, die Idealistin, Willensstarke mit Sympathie für ihre Schüler, zerstört das Vertrauen einiger, was zu einer zerstörerischen Lagerbildung führt.

Unterricht kann nur funktionieren, wenn es einen unausgesprochenen Grundkonsens gibt: die Lehrerin bekommt eine gewisse Autorität zugestanden, die Klasse macht grundsätzlich mit. In der 7a gibt es die rührenden Szenen, in dennen man sieht, dass Frau Nowak etwas eingeführt hat, um wieder Aufmerksamkeit zu erzeugen oder Konzentration einzufordern: Es sind kurze rhythmische Klatschrituale, die funktionieren - bis es zum Stillstand kommt, und die Klassensprecherin sagt: "Wir haben das ja nur für Sie gemacht" - aber damit ist es jetzt tragisch durch verlorenes Vertrauen Schluss.

Es wird einen Machtkapf geben zwischen dem liebenswerten Schüler Oskar (spitzenbesetzt mit dem Jungen Leonard Stettnisch) und Frau Nowak, den im schulischen Machtgefüge letztlich der Schüler verlieren muss, auch wenn an einem Punkt die Macht zu gunsten der Klasse kippt, weil sie zusammenhält.


Und auch hier gerät man als Zuschauer emotional wieder zwischen die Konfliktlinien. Zunehmend verschlägt es einem den Atem, man würde am liebsten in die Leinwand springen und "Stop" rufen. Aber dann fragt man sich: Aber was könnte man denn tun - in diesem Knäuel aus Verdächtigungen, einem Schulausschluss, Suspendierung einer Sekretärin, Misstrauen und Lagerbildung im Lehrerzimmer und einer sich beinhart solidarisierenden Schülerschaft, die mit der Schülerzeitung alles auch noch öffentlich macht?

Bei der Münchner Premiere sagte Çatak, Schule sei für einen Film so geeignet und spannend, weil es hier um unsere Zukunft gehe und der Ort gleichzeitig Spiegel unserer Gesellschaft sei: "mit klaren Hierarchien, Regierung, Volk und Presse werden hier Fragen nach Gerechtigkeit, Vorurteilen und Zivilcourage komprimiert verhandelt."

Man muss diese Parallele aber gar nicht ziehen, um "Das Lehrerzimmer" als einen der besten und intensivsten deutschen Filme der letzten Zeit zu sehen und zu empfinden.

Kino: ABC, City, Solln, Monopol
R: Ilker Çatak (D, 98 Min.)