Die Neue CD und Konzert in München
Simone Kermes im AZ-Interview: "Inferno e Paradiso"
16. Februar 2020, 12:41 Uhr aktualisiert am 16. Februar 2020, 12:41 Uhr
Wieviel Pop steckt im Barock? Simone Kermes kombiniert auf ihrer CD "Inferno e Paradiso" Händel, Vivaldi, Sting, Led Zeppelin und andere. Das Thema: die Todsünden und ihr Gegenmodell
In der Mitte von "Mitte" wohnt Simone Kermes. An der Brunnen- Ecke Thorstraße in Berlin ist es eigentlich hässlich-urban, aber hinter dem Verkehrskreuzungs-Inferno tut sich - im modernen Hinterhaus - ein Paradies mit Gärten auf. Dass Berlin auch ein Millionendorf ist, merkt man dann beim Italiener am Eck, dessen Name gar nicht italienisch klingt: Muret la Barba. Hier jedenfalls kann man das Interview nicht besonders entspannt führen, weil lauter Leute vorbeikommen, die Simone Kermes grüßen. Provokationskünstler Jonathan Meese macht ein Selfie mit der Primadonna und die Direktorin der hippsten Galerie, König in Kreuzberg, taucht auch auf.
AZ: Frau Kermes, Ihre neue CD heißt "Inferno e Paradiso". Ist das Leben eines Klassikstars Himmel oder Hölle?
SIMONE KERMES: Die Hölle ist eigentlich nur, dass ich ohne Agentur und Agenten arbeite, weil die mich alle oft ausgenutzt haben. Also habe ich eine eigene Agentur gegründet, mein eigenes Orchester zusammengestellt. Das ist jetzt eben Himmel und Hölle, weil ich mich selbst um alles kümmere: bis hin zum Kontrabass, den man auf Tour jeweils vor Ort leihen muss, weil man mit so einem Mordsding nicht gut reisen kann.
Dann sind sie also auch die Mutter der Truppe?
Ja, und Mädchen für alles. Und wenn meine "Amici Veneziani" in Berlin sind und wir proben, koche ich auch für die.
Sie gelten auch als schwierig.
Nein, das bin ich ganz sicher nicht. Nur lasse ich mich nicht manipulieren. Bei der großen Aids-Gala in der Deutschen Oper zum Beispiel war Chopard ein Sponsor, und die Frauen mussten also deren Schmuck tragen. Aber warum soll ich das, wenn ich einen eigenen habe - aus Venedig -, der zu meinem Programm passt? Dann durfte ich absurderweise halt nicht aufs große Schlussfoto mit rauf.
Wie kamen Sie auf die Idee, die sieben Todsünden mit sieben Tugenden zu kontrastieren?
Aus dem Gefühl heraus, dass wir an einem Punkt sind, wo sich der Kampf zwischen Gut und Böse zugespitzt hat: Klimakatastrophe, Artensterben, Terroranschläge oder Kriegsrhetorik bis ins Weiße Haus hinein. Wir sind stärker gefordert, uns zu entscheiden: Im Angesicht von Größenwahn, Gier und Hochmut braucht es eben doch Demut und Mäßigung. Aber der Auslöser, "Inferno e Paradiso" zu machen, war Hieronymus Bosch.
Ein Apokalyptiker.
Nicht nur. Ich war in einer Ausstellung in Berlin, wo Videos von seinen Bildern mit Musik unterlegt waren. Da kamen auch die Todsünden vor. Wie surreal, aber plastisch, drastisch er Erlösung und Hölle zeigt, das hat mich umgehauen. Ich habe dann geschaut, ob es im Barock musikalische Bearbeitungen des Themas "Todsünden" gab. Als Gesamtkonzept eines Komponisten gab's das nicht. So habe ich selbst ein musikalisches Album zusammengestellt.
Dabei waren Sie nicht puristisch. Die Fresssucht und Völlerei zum Beispiel wird mit Udo Jürgens' "Aber bitte mit Sahne" erzählt.
Auch dazu gibt es im Barock nur ein paar Stücke, aber für Bässe. Vielleicht liegt das daran, dass da eben viele auch gehungert haben und nur bei den oberen Zehntausend dekadent gespeist wurde. Aber der Sony-Chef hatte schon immer die Idee, mit mir ein barockes Popalbum zu machen. Meine Version von "Atemlos durch die Nacht" hat vor Jahren gezeigt, was ein Schlager sein kann: ein genialer melodischer Einfall, den man durch eine intelligente Bearbeitung auch zu einem Barockjuwel adeln kann.
Die Melodie ist bei "Aber bitte mit Sahne" aber verändert.
Dieser Udo-Jürgens-Schlager klang, wenn meine "Amici Veneziani" ihn spielten, immer nach Mozart. Aber es sollte ja Barock sein. Jarkko Riihimäki, mein finnischer Lieblingskomponist, hat - verzeih mir, lieber Udo - das Werk dann "neu komponiert": im neapolitanischen Stil á la Farinelli. Und es geht! Alle Stücke der CD bilden eine klangliche Einheit. Es darf bei einem Konzeptalbum keine Nummer irritierend rausfallen.
Gegen das Inferno bieten Sie sieben Tugenden auf. Das wirkt heute etwas fremd.
Ja, sicher, weil so was wie Demut uns in Zeiten von Selbstverwirklichung und Emanzipation unmodern vorkommt. Aber ein antiquiertes Wort wie Hochmut kann man mit Arroganz übersetzen oder Größenwahn. Und das finden wir ja abstoßend, auch wenn Selfmade-Typen gefeiert werden. Dazu singe ich "Stairway To Heaven" von Jimmy Page. Da baut sich eine Frau eine Himmelstreppe. Sie fordert alles, hat aber keine Bereitschaft, irgendwas zurückzugeben. Die Barockversion ist super geworden, auch wegen der anziehenden Geschwindigkeit, die in Koloratur-Ekstase endet.
Ist das Album also eine Reflexion über Gut und Böse?
Es ist ja wichtig, über diese Begriffe nachzudenken, aber mein Album wertet nicht so stark.
Für Sanftmut steht der Song von Sting: "Fields of Gold".
Sanftmut heißt für mich vor allem, dass man verzeihen kann. Und diesen Song von Sting musste man am wenigsten verändern. Er bleibt seine Ballade, aber in barocker Form.
Lady Gaga kam, weil man Sie schon als die Lady Gaga der Barockmusik bezeichnet hat?
Klar, das lag dann auch nahe.
Und Ihr "Pokerface" steht dann für ...
Sex, Sex, Sex. Wie heißt es im Song: "Ich werde ihn heiß machen, ihm zeigen, was ich habe ..." Das ist Wollust.
Was ist der Leitfaden?
Man darf nichts verschandeln und nie kitschig werden. Es muss alles hohe barocke Qualität haben. Und niemals Crossover, wo man Stile mischt! Adrian Prechtel
Simone Kermes: "Inferno e Paradiso", mit Werken u.a. von Hasse, Händel, Sting, Lady Gaga, Led Zeppelin, Albioni, Vivaldi
Konzert in München: Fr., 8. Mai, 19 Uhr, Nymphenburg, Hubertussaal, Tel. 54 81 81 81. Weitere Konzert unter www.simone-kermes.de
CD: Sony Classical