Kultur
Vorfreude auf das Schwere
16. Februar 2023, 17:00 Uhr aktualisiert am 17. Februar 2023, 10:48 Uhr
Endlich tut sich was am Potsdamer Platz. Wie in den Vor-Pandemie-Zeiten wuselte es gestern auf dem Roten Teppich vor dem Berlinale-Palast, wo der künstlerische Leiter Carlo Chatrian und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek nationale und internationale Gäste begrüßten, darunter auch die 1968er-Ikone Joan Baez, der ein Dokumentarfilm gewidmet ist.
Vor allem die deutsche Filmbranche war mit allem, was Rang und Namen hat, vertreten. Das reichte von Regisseuren Maren Ade über Volker Schlöndorff, Albrecht Schuch über Lars Eidinger bis hin zu Schauspieler Ronald Zehrfeld, der in Margarethe von Trottas "Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste" den Dramatiker und Romanautor Max Frisch spielt, dazu Gäste aus der Ukraine. Und Politiker wie Robert Habeck, Cem Özdemir oder Nancy Faeser möchten auch mal raus aus dem Ampelstress und feiern. Ob es für die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey das letzte Mal ist, wird sich weisen.
Wie gewohnt strahlte die ins Scheinwerferlicht vernarrte Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie verkündigte im Vorfeld auch eine Änderung der bisherigen Förderung an (siehe unten). Bevor es zum unterhaltenden Teil des Abends ging, gab es noch ein paar ernste Worte über die Solidarität mit der Ukraine bevor der ukrainische Präsident Wolodymir Selenskyi per Videoschalte zur Unterstützung seines vom Russland überfallenen Landes aufrief. Wer jetzt in die Verzweiflung über die Weltlage verfiel, wurde vom Eröffnungsfilm "She came to me" getröstet. Eine herzerwärmende Komödie aus Brooklyn, die trotz aller Leichtigkeit gesellschaftliche Themen wie Rassismus oder Klassendünkel streift. Ein berühmter Opernkomponist leidet unter kreativer Blockade. Seine Frau und Therapeutin kann da wenig machen. Als er zufällig beim Whiskey am Morgen in einer Bar eine Schlepper-Kapitänin trifft, die ihn mit aufs Boot nimmt und nach allen Regeln der Kunst verführt, sprühen die Ideen für neue Werke. Nur ist die Dame leider "süchtig nach Romantik" und das bringt ihn in die Bredouille. Großer Applaus für Regisseurin Rebecca Miller, die Schauspieler Peter Dinklage, Marisa Tomei, Anne Hathaway und Joanna Kulig. Bevor sie sich in ihre Arbeit stürzten erzählte die Jury unter Präsidentin Kirsten Stewart, was sie so umtreibt, nämlich vor allem die Vorfreude auf heiße Debatten. Nichts wäre langweiliger als ständige Einigkeit. Filme sollten nicht nur zum Konsumieren da sein, sondern Diskussionen anstoßen, sagt die iranisch-französische Schauspielerein Golshifteh Farahani. US-Schauspielerin Kristen Stewart betonte den politischen Charakter der Berlinale: "Speziell dieses Festival ist, was seine Geschichte betrifft, auf positive Weise konfrontativ und politisch."
Auf das Berliner Publikum ist Verlass. Nicht nur am Hinterausgang des Hyatt-Hotels warteten sie geduldig, um vormittags einen Blick auf Stewart & Co zu erhaschen. Am Abend brummte es vor dem Berlinale-Palast, drängten sich die Neugierigen. Wenn Kino zum Event wird, kommen auch die Leute.
Wer am gestrigen Donnerstag bei der Eröffnungsparty lustlos sein Hafersüppchen schlürfte, wird am heutigen Freitag - wenn er denn geladen ist - entschädigt. Der FilmFernsehFonds Bayern (FFF), die bayerische Filmförderung, tischt in der Bayerischen Vertretung beim begehrten Brunch Weißbier, Leberkäs und Weißwürste auf. Da lässt es sich nicht nur die bayerische Filmbranche - manche Produzenten kommen extra zum Networking angereist - gut gehen, auch die Berliner Filmschaffenden kommen zuhauf.