Münchner Kammerspiele
Walter Hess zum 80. Geburtstag
12. März 2019, 10:49 Uhr aktualisiert am 12. März 2019, 10:49 Uhr
Dem Schauspieler Walter Hess zum 80. Geburtstag
Das Gedächtnis ist ein einziger Garten, und während manches im Lauf der Zeit verblüht, stehen doch einige prächtige Blumen unverwüstlich da. Eigentlich ließen sich diese Erinnerungen gemütlich betrachten, gerade zu einem anstehenden 80. Geburtstag. Walter Hess jedoch wirkt nicht gerade so, als ob er großartig inne halten oder gar pausieren möchte. Stattdessen bestreitet er gerade seine 17. Spielzeit als Ensemblemitglied der Kammerspiele und wirkt aktuell in sieben Stücken mit. In "Morning in Byzantium", inszeniert vom New Yorker Choreographen Trajal Harrell, spielt Hess, eben, einen Gärtner, der seine Blumen pflegt, schöne Gedichte rezitiert und vor allem selbst ins Tanzen kommt.
Zudem probt er gerade tagsüber an Tschechows "Drei Schwestern" unter der Regie von Susanne Kennedy, mit der er schon mehrfach zusammengearbeitet hat und noch zu Zeiten von Intendant Johan Simons gar durchs Fegefeuer, jenes in Ingolstadt, gegangen ist. Es ist wohl anzunehmen, dass jetzt auch bei den drei Schwestern Kennedy-typisch mit Masken und Stimmen aus dem Off gearbeitet wird? "Es ist schwer anzunehmen", sagt Hess und lächelt. Der Humor kommt bei ihm leise daher, spitzbübisch, weil so ein Schauspieler das Kind in sich eh immer wach hält - und wahre Souveränität sich nun mal in Zurückhaltung ausdrückt.
Lieber etwas weiter hinten
Zumindest bei einem Schweizer, möchte man sagen, wenn das nicht zu klischeehaft klänge. Eine Rampensau war Hess noch nie, möchte er auch gar nicht sein, aber wie oft hat man ihn schon vorne an der Rampe oder etwas weiter hinten erlebt und konnte ihm entspannt zuhören, weil er vor allem einen Text verinnerlicht hat und diesen weitergeben möchte. Der Star ist immer der Inhalt, aber natürlich ist auch Walter Hess ein Star, im Leisen, weil er unaufdringlich sich, seinen Körper, seine prägnante, leicht schweizerisch eingefärbte Stimme in den Dienst eines Stücks, einer Figur stellt.
An seinem 80. Geburtstag steht Hess, wie schon bei anderen markanten Geburtstagen, auf der Bühne, das hat er sich selbst so gewünscht: "Andere denken vielleicht, jetzt muss der Arme an seinem Ehrentag auch noch arbeiten. Aber für mich war das nie so. Die Bühne - das ist letzten Endes mein Leben." Als Inszenierung hat er sich "Tiefer Schweb" gewünscht, eine Inszenierung von seinem Landsmann Christoph Marthaler, unter dessen Intendanz er von 2000 bis 2002 am Schauspielhaus Zürich im Ensemble spielte.
Anker der Korrektheit im Kuriositätenkabinett
In "Tiefer Schweb" tagt Walter Hess als Vorsitzender eines seltsamen Ausschusses mit anderen Mitgliedern in einem Bunker am tiefsten Punkt des Bodensees. Herrlich, wie er immer wieder aufsteht und den nächsten Punkt der Tagesordnung vorbringt, als Anker der Korrektheit in diesem Kuriositätenkabinett. Fünf der acht Schauspieler sind Schweizer, darunter Kammerspiele-Kollege Stefan Merki. Und Hess liebt vor allem das Schauspielhaus der Kammerspiele, "das ist und bleibt für mich ein Sehnsuchtsort." Im Potpourri von "Tiefer Schweb" sind zudem einige alte Schweizer Lieder vertreten, "wenn ich die höre, kommen bei mir Jugenderinnerungen hoch."
Geboren wurde Walter Hess 1939 in Luzern als Sohn eines Malers deutscher Abstammung und einer Schweizerin. Zunächst ließ er sich zum Buchdrucker ausbilden, aber bald kam der Wunsch auf, Schauspieler zu werden, weshalb er nach Zürich ging. Von 1961 bis 1963 nahm er Unterricht an der Schauspielschule Zollikon unter der Leitung von Linde Strube. "Sie hat mir Selbstbewusstsein eingeflößt, indem sie mich in meiner Naturburschenhaftigkeit angenommen hat." In Konstanz bekam Hess die Gelegenheit für eine Regieassistenz. "In der Zeit bin ich nach Stuttgart gefahren und habe dort die deutsche Bühnenprüfung bestanden. Dann bin ich nach Konstanz zurück und habe gesagt: So, ich bin jetzt Schauspieler! Tatsächlich habe ich dann dort ein Anfängerengagement bekommen."
Vier Jahre lang spielte er am Stadttheater Konstanz - und passte in keine Schublade "Damals hatte ja jeder Schauspieler sein Fach: der Held, der jugendliche Liebhaber und so weiter. Ich bekam in Konstanz einen Fachvertrag als jugendlicher Komiker und Charakterspieler, hatte dabei Anrecht auf zwei Fachrollen. Aber ich ließ mich irgendwie nicht einreihen. Eine Agentur hat sich sogar deswegen von mir verabschiedet. Die meinten: Überlegen Sie sich endlich, wer Sie sein wollen!"
Als das Engagement in Konstanz beendet war, ging Hess nach Zürich, wo er von 1972 bis 1980 im Ensemble des Theaters an der Winkelwiese spielte. Zudem wurde er Mitglied der künstlerischen Leitung und führte selbst auch Regie. Als wichtige Zeit bezeichnet Hess diese Jahre: "Wir waren ein Kollektiv, das versuchte, die aktuellen politischen Vorgänge in die Stücke einfließen zu lassen. Bei uns gab es aktualisierte Stücke, Erstaufführungen, Projekte, Diskussionsabende. Alle bekamen dieselbe Gage, der Regiediktatur wollten wir entgehen, haben gemeinsam mit Formen experimentiert."
"Ich ließ mich immer auf das ein, was auf mich zukam"
Nach dem Ende seines Engagements arbeitete Hess als freier Schauspieler, blieb dem Theater an der Winkelwiese aber verbunden. Regisseur David Mouchtar-Samorai besetzte ihn in Gorkis "Nachtasyl" am Schauspiel Bonn. Kurz darauf, 1988, wurde Hess in Bonn fest engagiert. Zehn Jahre lang spielte er dort, unter anderem in Andreas Kriegenburgs Inszenierung von "Fegefeuer in Ingolstadt". Kriegenburg holte ihn später als Gast nach Hannover, ließ ihn den Stauffacher in ,Wilhelm Tell' spielen. Prompt landete Hess im Ensemble des Schauspiels Hannover. Hess und Kriegenburg begegneten sich unabhängig voreinander sowohl in Zürich als auch in München wieder. "Ich hatte nie eine Planung", so Hess. "Ich ließ mich immer auf das ein, was auf mich zukam."
In Hannover traf er Christoph Marthaler, der 2000 am Züricher Schauspielhaus künstlerischer Leiter wurde. Hess kam mit. Ihn reizte es nach zwei Jahren jedoch nochmal, nach Deutschland zu gehen und kam 2002 an die Kammerspieler unter Frank Baumbauer. Gerade von Baumbauer schwärmt Hess, davon, "dass er einem immer zu erkennen gegeben hat, dass man erwünscht ist. Er hat immer den Überblick über das Ganze gehabt, hat subtil Konstellationen ermöglicht und war ein Probenbegleiter, der zwar gesagt hat, was er denkt, aber sich niemals autoritär durchsetzen wollte."
Nachdem Baumbauer in den Ruhestand ging, kam Johan Simons zur Spielzeit 2011/2012 als neuer Intendant. "Simons hat das Ensemble wenig verändert, es gab nur ein paar Neuzugänge. Die Linie von Baumbauer hat er weiter geführt und erweitert. Dabei war er in erster Linie Regisseur. Und ist ein Mensch, der offen auf die Menschen zugeht, auch offen auf München zuging."
Gelassen in die Zukunft
Als Simons seine Intendanz an Lilienthal abgab, war es für Hess keine Frage, an den Kammerspielen zu bleiben. "Da ich gerade damals am Theater an der Winkelwiese in diesem Experimentierbereich schon gearbeitet hatte, hat mich sein Ansatz natürlich interessiert. Wir haben jedoch damals eher eine Vertiefung in den Stücken gesucht. Heute kommt mir die Vorgehensweise rationaler vor. ,Der Kaufmann von Venedig' war zum Teil sehr rational, mehr eine Auseinandersetzung mit dem Stück an sich als eine Interpretation des Stückes."
Dass Lilienthals Intendanz früh harte Kritik erntete und sich möglicherweise von der ersten schwierigen Anfangsphase nicht erholt hat, findet Hess bedauerlich. Das nahende Ende in eineinhalb Jahren sieht er gelassen: "Es wird jetzt einfach weitergearbeitet. Natürlich ist das spürbar, wenn ein Theater nicht immer gut besucht ist. Das andere sind aber die Konstellationen, in denen ich arbeite. Da bin ich sehr zufrieden. Zum Beispiel, dass ich bei ,Morning in Byzantium' mitmachen kann: Ich habe immer gesagt, wieso zeigt man nicht auch alte Menschen als Tänzer auf der Bühne? Jetzt mache ich genau das. Das finde ich sehr gut, dass so was möglich ist."
Fit dank Yoga
Mit Matthias Lilienthals Nachfolgerin Barbara Mundel hat er noch nicht gesprochen. "Aber da suchen wir einen Termin. Ich mache jedenfalls weiter, solange ich diese Grundlust habe. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass das Altern eine Entwicklung ist im Sinne von: mehr Vorhanden-Sein, im Leben wie auf der Bühne, einfach mehr Präsenz über die Entspanntheit."
Hess ist fit, ist voll im Saft. Dank Yoga und gesunder Ernährung? "Ich achte schon auf meine Ernährung, aber sehr locker. Ich habe einfach nicht aufgehört, Theater zu spielen, das ist für mich die Erklärung. Das ist mein Motor. Wenn ich in einer Produktion bin, dann bin ich völlig erfüllt von ihr. Das geht in meinem Alltag, das ist ganz drin in mir. Wenn ich das nicht hätte, würde ich mich vielleicht zurücklehnen und Alterswellness machen oder so. Aber das interessiert mich nicht. Was mir am Theater gefällt, ist, dass ich mich zwangsläufig mit dem Zeitgeschehen beschäftige. Es muss immer daraus eine Aufführung entstehen. Dadurch bin ich nah an der Zeit dran, bin immer im Austausch, auch mit den jungen Kolleginnen und Kollegen, die ich sehr schätze."
Die schätzen wiederum ihn sehr, wie sich nach der Aufführung von "Tiefer Schweb" zeigten: Da bekam Hess ein Ständchen von allen gesungen und wurde zum König gekrönt. Er wird ja auch weiter auf der Bühne regieren: mit und ohne Maske, spielend und tanzend.
Drei Intendanten der Kammerspiele gratulieren
Frank Baumbauer: Walter Hess zu den Schauspielern eines Theaters zählen zu dürfen: ist einfach gut! Er ist der ideale Ensemble-Spieler, übernimmt Verantwortung in großen Rollen und bereichert Aufführungen in kleinen Rollen. In der Generationenkette eines gewachsenen Ensembles ist Walter Hess ein Vorbild, auf der Bühne, bei den Proben, im gesamten Theater, ist immer ansprechbar und mit seiner Erfahrung hilfreich. Kollegialität lebt er vor. Für alles Neue ist Walter Hess besonders aufgeschlossen, er hat Energien, welche für seinen heutigen Geburtstag an Jahren gemessen beinahe schon ungewöhnlich sind. Er hat Humor, ist ebenso bescheiden wie er auch eitel sein darf. Er ist: einfach gut!
Johan Simons: Walter Hess ist für mich nicht nur ein bewundernswerter Schauspieler, sondern auch ein unglaublich flexibler Mensch, der noch immer eine große Neugierde auf das Unbekannte hat. In meinem "Hiob" hat er eine Rolle mit nur vier oder fünf Sätzen gespielt. Da wurde mir nochmal ganz deutlich, wie wahr die Aussage von Konstantin Stanislawski ist: "Es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler." Walter Hess ist ein ganz Großer.
Matthias Lilienthal: In der letzten Saison hat Walter eine neue Karriere gestartet: Mit 79 Jahren wurde er Tänzer. In der Arbeit "Morning in Byzantium" des Choreografen Trajall Harrell bewegt er sich mit einer großen Grandezza - man sieht ihm seinen Stolz darüber an. Das erzählt viel über einen wunderbaren Schauspieler, der sich immer wieder sehr verschiedenen Regisseur*innen zur Verfügung stellt. Er ist der wahre jüngste älteste Revoluzzer des Ensembles, kommend aus einer Zeit des künstlerischen Kollektivs am Theater an der Winkelwiese, und der zaubernde Zeremonienmeister in Andreas Kriegenburgs "Prozess" an den Kammerspielen. Auf die nächsten 20 Jahre auf der Bühne!