Kultur
Wer liebt, der leidet auch
15. Januar 2023, 16:43 Uhr aktualisiert am 16. Januar 2023, 10:43 Uhr
Die Söhne preschen vorwärts in die Zukunft, die Väter hingegen müssen sich eingestehen, dass der Zug der Zeit an ihnen vorbeigefahren ist. Iwan Turgenjews 1861 erschienener Roman "Väter und Söhne", der korrekt übersetzt eigentlich "Väter und Kinder" heißt, handelt genau von dieser Kluft, die sich zwischen den Generationen auftut, wobei es beachtlich ist, wie innig die Eltern ihre Kinder lieben.
Zu Beginn von Turgenjews Roman erwartet der Gutsbesitzer Nikolaj Kirsanow sehnsüchtig die Ankunft seines Sohnes Arkadij. Der hat jahrelang in St. Petersburg studiert und kommt für den Sommer wieder nach Hause, wobei er einen neuen Freund mitbringt, Jewgenij Bazarow, der auch ideologisch Einfluss auf ihn ausübt. Beide bezeichnen sich als "Nihilisten", verneinen den Status quo und wollen die alten Autoritäten nicht mehr akzeptieren, wobei Bazarow sich insbesondere der Naturwissenschaft widmet.
In der Inszenierung von Andreas Wiedermann, der mit seiner Straubinger Kompagnie "Theater Impuls" schon manchen gewichtigen Roman gestemmt hat, tragen Arkadij und sein Kumpel stereotyp schwarze Pullis und dunkle Hosen, sind damit schon rein optisch nihilistische Fremdkörper in dem ländlichen Umfeld, das im Bühnenbild durch aufgehängte Birkenstämme und einige Gartenmöbel angedeutet ist. Wiedermann lässt zunächst zwei Frauen auftreten: Fenitschka, die neue, junge Geliebte des alten Nikolaj schiebt einen Kinderwagen in den Garten und fächelt sich dabei frische Luft zu, weil der russische Sommer offenbar wieder mal ganz schön heiß ist.
Christina Matschoss spielt Fenitschka herzerwärmend als unbedarfte Frau, die sich mit dem überdrehten Dienstmädchen Dunjascha (Lisa Zimmermann) über die "alten Säcke" amüsiert. Dabei fühlt sie sich bedrängt, denn Pawel, der Bruder Nikolajs, ist heimlich verliebt in sie. Urs Klebe gelingt es sehr gut, den verzärtelten Pawel aus dem Roman auf die Bühne zu bringen. Dieser Pawel gehört genau zu jenen "Provinzaristokraten", die der progressiv gesinnte Bazarow aus tiefstem Herzen verachtet.
Während der von Matthias Lettner mit dem romangetreuen "Hinkefuß" gespielte Nikolaj sich gegenüber der aufbegehrenden Jugend eher zurückhält und sich selbst modern-liberal zu geben versucht, indem er sein Land den darauf arbeitenden Bauern weitgehend großzügig überlässt - als Turgenjews Roman erschien, war im zaristischen Russland gerade die Leibeigenschaft abgeschafft worden -, so lässt Pawel sich auf Streitigkeiten mit dem wenig tatkräftigen Umstürzler Bazarow ein.
Dass die beiden sich duellieren, hat dann aber weniger mit ideologischen Grabenkämpfen zu tun als mit Eifersucht. Während das Duell einer der wenigen aktionsreichen Höhepunkte im Roman ist, sieht man in der Inszenierung nur das Resultat. Diener Pjotr (Simon Brüker) berichtet, was vorgefallen ist - auch da gibt es leichte Unterschiede zur Vorlage.
Ein paar kreative Freiheiten nimmt sich Wiedermann, seine Inszenierung ist eine "nach Motiven des Romans" und folgt der Originalhandlung doch ziemlich genau. Der gemächliche Spielrhythmus ändert sich nur selten, was zu einer Aufführungsdauer von über zweieinhalb Stunden führt. Positiv betrachtet lässt Wiedermann sich und seinem Ensemble Zeit, die einzelnen Figuren und Situationen zu entwickeln; es wird ausgiebig gefeiert, gestritten und gelitten.
Gerade die elterliche Liebe führt zu einigen Schmerzen. Während Bazarows Eltern - der von Clemens Nicol launig gespielte Arzt Wasilij und Gudrun Skupins fürsorgliche Arina - sich über die Rückkehr des Sohnes nach dreijähriger Abwesenheit sehr freuen, sind sie im gleichen Maße geschockt und traurig, wenn der heißgeliebte Bazarow ihnen nach kurzer Zeit mitteilt, dass er sie schon wieder verlassen will.
William Newton verleiht Bazarow eine bewusst ins Unsympathische gehende Blasiertheit, die nur einmal aufbricht, wenn er der verwitweten Gutsbesitzerin Anna Odinzowa seine Liebe gesteht. Sie ähnelt ihm in ihrem nüchternen Pragmatismus; insofern hat die Liebe der beiden kaum eine Chance.
Wie Odinzowa an ihrer Zerrissenheit zwischen Verstand und Gefühl verzweifelt und als zentral gesetzter Kontrapunkt bei einer finalen Trauerfeier, bei der sich alle, auch ihre grantige alte Tante Olga (Barbara Sabel) versammeln, sich zunehmend elend fühlt, macht Conny Krause sehr schön transparent. Erneut stellt sich Wiedermanns Ensemble mit großem Ernst und ebenso großer Spielfreude in den Dienst eines auch heute noch relevanten Klassikers.
Dass die Söhne die Welt ihrer Väter revolutionieren wollen, aber ihre hochfliegenden Zukunftspläne an den Ansprüchen des Alltags leicht zerbrechen können, ist eine Lehre, die von Turgenjews Zeiten in unsere Gegenwart hineinreicht. Arkadij, von David Thun als leicht verstockter, sensibler Sohn gespielt, lässt sich von Odinzowas Schwester, der springlebendigen Katerina (Lisa Erdmann), in den Hafen der Ehe locken und tritt dann wohl doch in die Fußstapfen seines Vaters.
Und ja, eine Infektionskrankheit wütet auch in Turgenjews Roman. Der Typhus erscheint als womöglich freiwillig gewählter Ausweg aus einem sinnlosen Leben, dem man aber zumindest feiernd und gemeinsam singend ein bisschen Trost abgewinnen kann.
Teamtheater Tankstelle, Am Einlaß 2 a, weitere Vorstellungen: 19 bis 21. Januar, jeweils 19 Uhr, Karten unter www.teamtheater.eu oder Telefon 260 66 36