Kultur

"Wir sind jetzt die Mehrheit"

Natalie Amiri und Düzen Tekkal präsentieren in einem neuen Buch 15 iranische Frauen und ihren politischen Kampf


Natalie Amiri (links) und Düzen Tekkal.

Natalie Amiri (links) und Düzen Tekkal.

Von Volker Isfort

Sieben Monate nach dem Tod von Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, der zu den größten Protesten gegen das iranische Mullah-Regime seit der Revolution von 1979 führte, scheinen die Machthaber ein wenig zu reagieren. Ein neuer Gesetzentwurf soll Frauen im Iran besser vor häuslicher Gewalt schützen. Dafür verabschiedete das Parlament die Grundzüge eines entsprechenden Gesetzentwurfs mit dem Titel "Verhinderung von Schaden für Frauen und Verbesserung ihrer Sicherheit vor Fehlverhalten", wie die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna berichtete.

Die am Sonntag vereinbarten Grundzüge sehen den Angaben zufolge unter anderem längere Haftstrafen für Morde an Frauen vor. Die Verbreitung pornografischer Bilder ohne Zustimmung der Frau oder eine Heirat gegen den Willen der Frau würden als Verbrechen gelten. Außerdem soll es der Justiz ermöglicht werden, verheirateten Frauen eine Ausreisegenehmigung zu erteilen - auch wenn ihr Ehemann sie daran hindern will, ins Ausland zu reisen.

Zwei Tage zuvor allerdings gab es die beunruhigende Nachricht, dass die Polizei die Einhaltung der Kleidervorschriften, also das verpflichtende Tragen eines Hijabs, mit Videokameras überwachen will.

Daher scheint es unwahrscheinlich, dass sich die Frauen im Iran mit den wenigen neuen Zugeständnissen zufriedengeben dürften. Es ging bei den Protesten nicht um politische Kosmetik, sondern unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" um den Sturz der diktatorischen Regierung.

Und Frauen waren bei diesen landesweiten Protesten die treibende Kraft. Das Regime reagierte wie immer: mit brutaler Gewalt. Knapp 600 Menschen wurden ermordet, die Dunkelziffer dürfte viel höher sein.

Die Münchner Journalistin und ehemalige Leiterin des ARD-Büros in Teheran, Natalie Amiri, hat gemeinsam mit der Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal in ihrem neuen Buch "Wir haben keine Angst!" 15 iranischen Frauen eine Stimme gegeben, die von ihrem Kampf gegen das Regime berichten, sei es aus dem Untergrund, dem Gefängnis oder dem Exil.

Die Menschenrechtsanwältin Shirin Ebadi, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt und nach Morddrohungen und Verhaftung seit 2009 in London lebt, glaubt, dass der Islamischen Republik "die Stunde geschlagen hat" und fordert von der westlichen Welt, die iranische Revolutionsgarde (IRGC) als Terrorgruppe einzustufen.

Eine Stärke des Buches ist es, dass hier auch Minderheiten zu Wort kommen, die in der westlichen Presse seltener Gehör finden: Die nun in London lebende Menschenrechtsaktivistin Fariba Balouch beispielsweise stammt aus der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan, der ärmsten Region des Iran im Südwesten an der Grenze zu Pakistan. Da die Bevölkerung eine eigene Kultur und Sprache hat, und die große Mehrheit Sunniten sind, leidet sie im besonderen Maße an Restriktionen durch die Teheraner Regierung: "Wir erhalten keine Geburtsurkunde, keinen Personalausweis, das heißt, wir können unsere Identität nicht ausweisen", schreibt Fariba Balouch. Und natürlich ging das Regime hier - genauso wie in Kurdistan - mit noch größerer Härte gegen die Protestierenden vor: Am 30. September 2022 töteten Polizeikräfte, Basidsch-Milizen und Iranische Revolutionsgarden in Zahedan mindestens 120 Zivilisten.

Besonders mutig sind die Stimmen aus dem Iran. Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh, die Natalie Amiri im Hafturlaub ein Interview gibt, spricht dennoch unverblümt über die Bedingungen im Evin-Gefängnis, die Hinrichtungen und die Unterdrückung. Der Text von Narges Mohammadi wurde sogar aus dem Evin-Gefängnis geschmuggelt.

Auch wenn diese mutigen Frauen mit ihrem Kampf noch nicht am Ziel sind, so steht doch die Richtung fest: "Jetzt sind wir alle wach", schreibt die Fotografin Ghazal Abdollahi, "und diejenigen, die wach sind und einen klaren Blick auf die Dinge haben, sind nicht mehr in der Minderheit. Wir sind jetzt die Mehrheit."

Natalie Amiri und Düzen Tekkal stellen ihr Buch "Wir haben keine Angst!" (Elisabeth Sandmann Verlag, 144 Seiten, 25 Euro) am 15. Mai um 19 Uhr im Literaturhaus vor, Karten unter 0761 88849999