Regensburg/Berlin
NS-Vergangenheit bei den Domspatzen? Immer mehr Klagen ehemaliger Chorknaben
20. Januar 2016, 8:25 Uhr aktualisiert am 20. Januar 2016, 8:25 Uhr
Der Zwischenbericht zu den Misshandlungs- und Missbrauchsfällen bei den Regensburger Domspatzen hat offenbar noch mehr Betroffene ermutigt, sich beim zuständigen Juristen Ulrich Weber zu melden.
Seit seiner Pressekonferenz am 8. Januar hätten ihm 60 weitere Personen von körperlicher Gewalt berichtet, sagte der unabhängige Anwalt am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk (BR).
"Meine Neutralität ist der Grund dafür, dass sich erneut Opfer bei mir melden. Sie haben den Eindruck, bei mir Gehör zu finden", sagte Weber. Das Bistum Regensburg selbst wollte sich nicht zu den neuen Zahlen äußern. "Unabhängigkeit bedeutet, dass wir die Arbeit von Herrn Weber nicht kommentieren", sagte ein Sprecher auf Anfrage.
Lehrer mit NS-Vergangenheit
Gleichzeitig erhob ein früheres Mitglied des weltberühmten Knabenchors den Vorwurf, viele Lehrer seien nicht nur gewalttätig und sexuell übergriffig gewesen, sondern hätten auch eine NS-Vergangenheit gehabt. "Das waren ja lauter frühere SA-, SS- und NSDAP-Leute, die an einer normalen Schule nicht unterrichten durften", sagte Udo Kaiser der Berliner "tageszeitung" (taz). Es werde aber nichts getan, um diese Verbindungen aufzuklären. Das Bistum erklärte dazu, es gebe bereits einen Untersuchungsauftrag zur Geschichte der Domspatzen. Sobald dieser abgeschlossen sei, könne man sich auch dazu qualifiziert äußern.
Kaiser war nach eigenen Angaben im Alter von acht Jahren zu den Domspatzen gekommen und hatte fünf Jahre Vorschule und Gymnasium des Chores besucht. In dieser Zeit sei er sexuell missbraucht worden; das Bistum Regensburg habe dies bis heute aber nicht anerkannt. Später sei er aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Anwalt Weber attestierte unterdessen im BR einem weiteren Opfer, das sich an die Öffentlichkeit gewandt hatte, glaubwürdig zu sein. Ihm liege die Akte von Alexander Probst vor; dessen Fall habe eine hohe Plausibilität. Probst gibt an, Anfang der 1970er Jahre von seinem Präfekten ein Jahr lang missbraucht worden zu sein. Als er seinen Eltern davon erzählt habe, habe sein Vater den damaligen Domkapellmeister Georg Ratzinger mit den Vorwürfen konfrontiert und anschließend seinen Sohn von der Schule genommen.
Zu der Frage, ob der Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. von sexuellem Missbrauch gewusst habe, habe sich Weber bedeckt gehalten, berichtet der BR. Der Anwalt habe auf den weiteren Bericht verwiesen, den er nach Abschluss seiner Tätigkeit vorlegen wolle. Am 8. Januar hatte Weber lediglich erklärt, seiner Meinung nach müsse auch Georg Ratzinger über die Züchtigungen im Bilde gewesen sein.
Weber war von der Diözese mit der Untersuchung der Vorwürfe betraut worden und hatte am 8. Januar einen Zwischenbericht vorgelegt. Darin heißt es, dass es bei den Domspatzen zwischen 1953 und 1992 mindestens 231 Fälle von Misshandlung gegeben habe, in wenigstens 62 Fällen sei es zu sexueller Gewalt gekommen.