AZ-Interview
Aktivistin Alexa Schaegner: "Der Lockdown trifft Nepal extrem hart"
29. Mai 2020, 13:27 Uhr aktualisiert am 1. Juni 2020, 10:08 Uhr
Ein Verein aus München will in dem Land Frauen zu medizinischem Personal ausbilden, doch die Corona-Krise hat das Projekt vorerst gebremst.
Die 34-jährige Alexa Schaegner lebt in Berlin und München und ist Mitglied im Münchner Verein Long Yang, der sich seit 1997 in Nepal engagiert.
AZ: Frau Schaegner, sind Sie momentan mit den Gedanken eher in bayerischen Biergärten, die endlich wieder aufgemacht haben, oder doch eher ganz weit weg - in Nepal?
Alexa Schaegner: Ich bin schon sehr viel mit den Gedanken in Nepal. Und nicht nur mit den Gedanken, sondern auch mit Worten und Taten. Ich bin viel in Kontakt mit den Nepali und versuche, unsere Projekte weiterzuführen.
Sie hatten einen längeren Einsatz in Nepal geplant und die Koffer schon gepackt - dann kam der Corona-Ausnahmezustand. Wie fühlt sich das an, wenn man vor Ort helfen wollte, aber es nicht kann?
Ich saß auf gepackten Koffern, wollte acht Wochen bleiben. Die Absage war eine Sache von wenigen Tagen und dramatisch. Ich hatte viel Kontakt mit der Botschaft - kurzzeitig hieß es, man bekommt noch ein Visum, wenn man einen Test vorlegen kann. Die Situation hat sich aber jeden Tag geändert, zwei Tage vorher habe ich dann den Flug abgesagt. Die Enttäuschung war groß. Wir wollten die Ausbildungen zum "Basic Health Counsellor" beginnen und waren voller Tatendrang.
Grundversorgung und gesundheitliche Aufklärung
Was wäre Ihre Aufgabe vor Ort gewesen?
Ich fahre normalerweise einmal im Jahr für eine längere Zeit nach Nepal und jedes Jahr ist der Fokus ein anderer. Dieses Mal wäre es um die besagte Ausbildung zu "Basic Health Counsellors" gegangen. Die Aufgaben wären konkret gewesen, das Curriculum zusammenzustellen, die Ausbildungskoordinatorin auszuwählen und einzuarbeiten. Ich wäre auch dafür zuständig gewesen, Kooperationspartner vor Ort zu suchen, mit anderen NGOs zusammenzukommen, Dozentinnen auszuwählen und auch die Auswahl der Schülerinnen zu starten.
Können Sie kurz erklären, was bei der Ausbildung genau vermittelt werden soll?
Die Ausgebildeten erlangen grundlegende Kompetenzen in Medizin und Gesundheitsmanagement, damit Menschen in einem ersten Schritt versorgt werden können. Sie sind danach natürlich keine Ärzte, aber sie können eine Grundversorgung bieten und auch vor Ort in ländlichen Gegenden eine gesundheitliche Aufklärung leisten.
Wie ist die medizinische Situation in Nepal?
Auf dem Land gibt es kaum Krankenhäuser und auch wenige niedergelassene Ärzte. Es gibt Health Posts und das sind genau diese Erstversorgungs-Stellen. Dort entscheiden die Mitarbeiter auch, wie weiter vorgegangen wird, ob die Patienten zum Beispiel in ein Krankenhaus gebracht werden müssen.
Ausbildung für Mädchen und junge Frauen
Sie wollen in diesem Projekt Mädchen und junge Frauen ausbilden - wie viele und warum keine Buben?
Erst einmal 30 Mädchen. Dieses Pilotprojekt soll aber ausgebaut werden, denn es ist wirklich etwas, was in den ländlichen Gegenden gebraucht wird. Damit schaffen wir für junge Menschen Perspektiven und Arbeit. Uns geht es dabei auch um die Stärkung der Frauen, die sich traditionell um die Familie kümmern und nicht ausgebildet werden. Am Ende stehen gerade sie oft da mit: nichts. Dabei gibt es viele, die tolle Fähigkeiten haben.
Gerade jetzt wäre diese medizinische Ausbildung so dringend wie nie zuvor. Der Start musste aber verschoben werden - auf ungewisse Zeit.
Ja, leider. Aber die Situation ist auch eine Bestätigung dafür, was wir beobachtet haben: Das Projekt ist notwendig. Natürlich ist es bitter und wäre schöner, wenn es ein Jahr vorher gestartet wäre. Der neue Beginn hängt davon ab, wann sich die Situation vor Ort ändert und zum Beispiel die Schulen wieder öffnen.
Wie gehen die Menschen in Nepal mit der Corona-Krise um?
Nepali sind grundsätzlich sehr krisenerprobt. Die haben schon viel durchgemacht - von Bürgerkriegen bis Erdbeben. Dennoch läuft vieles chaotisch und ineffizient. Das Gesundheitssystem ist fragil. Dazu kommt: Der Lockdown ist extrem hart und wurde von heute auf morgen umgesetzt. Die Menschen hatten gar keine Zeit, sich vorzubereiten. Langsam wird es wirklich ernst. Sie sind seit zwei Monaten im Lockdown, der bis zum 2. Juni verlängert wurde. Und der ist nicht mit Deutschland vergleichbar.
Inwiefern?
In Nepal dürfen die Menschen lediglich zum Einkaufen nach draußen. Ganz wenige Menschen dürfen arbeiten, Kathmandu wird immer wieder abgeriegelt, der internationale Flugverkehr ist ausgesetzt, der Tourismus fällt erstmal weg. Durch diese Maßnahmen werden bei vielen die finanziellen Mittel knapp. Was jetzt auch noch dazu kommt: Die Ernten sind teilweise auf den Feldern verrottet, weil die Bauern nicht arbeiten konnten oder durften.
Corona in Nepal: Defizit an Schutzkleidung und Beatmungsgeräten
Und medizinisch?
Erst gab es ein großes Defizit an Schutzkleidung. Menschen wurden teils nicht behandelt, weil das Personal Angst hatte, sich anzustecken. Manche haben Müllsäcke angezogen als Schutz. Auf der anderen Seite sind Menschen teilweise nicht ins Krankenhaus gegangen, weil sie ebenso Angst hatten, sich dort anzustecken. Auch Beatmungsgeräte gibt es in Nepal nur wenige. Der Bedarf an Schutzkleidung besteht weiterhin, weil jetzt die Corona-Fälle erst langsam steigen.
Wo liegen die Zahlen der Infizierten in Nepal momentan?
Offiziell bei 457 Infizierten. Die Testsituation ist natürlich eine andere als in Deutschland. Die Dunkelziffer wird deutlich höher sein.
Was können Sie und der Verein Long Yang momentan von daheim aus ausrichten?
Wir nutzen alle Kommunikationskanäle, die zur Verfügung stehen. Viel über Sprachnachrichten wegen der unterschiedlichen Zeitzonen. Zu der geplanten Ausbildung gibt es jetzt zweimal in der Woche ein Meeting mit den Koordinatorinnen, die die Ausbildung weiterplanen.
Sammeln Sie auch Spenden?
Ja. Wir haben spontan zwei Aktionen gestartet. Einerseits für Schutzkleidung. Das zweite war, dass wir Lebensmittelpakete geschnürt haben und an Leute, die wir durch unser Netzwerk vor Ort kennen, verteilt haben. Durch diese Krise merkt man wieder deutlich: Wir sitzen alle in einem Boot, haben eine Verantwortung. Es wird eine kontinuierliche Aufgabe sein, auf die Situation in anderen Ländern hinzuweisen.
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