Virus als Brandbeschleuniger
Auslands-Kräfte brechen weg: Corona stürzt die Pflege in die Krise
18. März 2020, 12:00 Uhr aktualisiert am 18. März 2020, 12:00 Uhr
Wenn ausländische Kräfte nicht mehr über die Grenze kommen, ist die Betreuung daheim gefährdet, warnt ein Pflegeforscher.
Berlin - Für viele sind sie die einzige Alternative zu einer Versorgung im Altenheim: Betreuungskräfte, die Pflegebedürftige in den eigenen vier Wänden versorgen. Ein Großteil von ihnen kommt aus dem Ausland - und das kann angesichts der aktuellen Corona-Krise zu einem großen Problem werden.
Nach Daten des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) arbeiten in der Bundesrepublik allein rund 300.000 Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa, die Hilfs- und Pflegebedürftige betreuen. Um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, haben zahlreiche Länder in diesen Gebieten, darunter etwa Polen, Russland oder Tschechien, ihre Grenze geschlossen.
Michael Isfort, Pflegeforscher und Leiter des dip, warnt deshalb: "Es ist gerade angesichts der aktuellen Grenzschließungen damit zu rechnen, dass hier in den kommenden Wochen zahlreiche Betreuungskräfte gar nicht oder nicht mehr nach Deutschland kommen werden."
Dies sei insofern verheerend, als dass die ausländischen Pflegekräfte einen "zentralen Bestandteil eines noch funktionsfähigen Systems der Versorgung" darstellten. "Die Lücke, die hier zu erwarten ist, wird groß sein", so Isfort zur AZ. Wie groß genau, sei aktuell schwierig abzuschätzen, da der überwiegende Anteil in irregulärer Beschäftigung stattfinde - also in Schwarzarbeit.
Pflege steuert auf eine weitere Belastungsprobe zu
Das bestätigt auch Markus Küffel, Geschäftsführer des häuslichen Pflegedienstes Pflege Zuhause Küffel GmbH, der deutschlandweit Betreuungskräfte auch aus dem Ausland vermittelt. Er schätzt, dass lediglich 15 Prozent von ihnen legal über seriöse Agenturen wie seine angestellt sind, 85 Prozent arbeiten demzufolge schwarz.
Angesichts der Grenzschließungen könnte das bereits jetzt am Limit laufende Pflegesystem zusätzlich belastet werden, sagt Isfort. "In jedem Falle werden die Altenheime, die ohnehin schon an ihren Grenzen arbeiten, zahlreiche zusätzliche Anfragen zur Versorgung und Aufnahme bekommen." Der ohnehin ausgelastete ambulante Pflegesektor könne einen so großen Ausfall nicht auffangen, vor allem, da ambulante Dienste grundsätzlich - bis auf die Intensivpflege - keine ganztägige und bis in die Nacht dauernde Versorgung leisteten. "Der pflegerische Bereich wird hier sicher auf eine weitere und zusätzliche Belastungsprobe gestellt."
Die städtische Münchenstift betreibt 13 Seniorenheime; Geschäftsführer Siegfried Benker rechnet durchaus mit einem Verlagerungseffekt, wie er auf Anfrage sagt. Sollten ausländische Betreuungskräfte, die eine Rundum-Pflege anbieten, nicht mehr nach Deutschland kommen, könne es zu erhöhter Nachfrage in den stationären Einrichtungen kommen. Momentan sei es zu früh, um zu sagen, ob und wann dies eintreffe - Benker sagt aber klar: "Unsere stationären Einrichtungen sind zu 100 Prozent ausgelastet. Wir können auf eine erhöhte Nachfrage nicht reagieren." Den regulären Betrieb könne die Münchenstift derzeit aber aufrecht erhalten, auch, weil man frühzeitig Maßnahmen ergriffen habe.
Auch das BRK beschäftigt Arbeiter aus dem Ausland
Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) sorgt sich ebenfalls um die Menschen, die auf häusliche Dienste angewiesen sind. "Durch Grenzschließungen kommen Dienstleister nicht mehr ins Land, die hilfsbedürftigen Menschen bleiben demnach unversorgt", sagt Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk. Demnach beschäftigt auch das BRK, natürlich legal, Pendler aus dem Ausland, vor allem in grenznahen Regionen. Derzeit sind es laut BRK 130 Personen mit Wohnsitz im Ausland.
Pflegedienst-Anbieter Küffel warnt eindringlich: Sollte es für osteuropäische Betreuungskräfte nicht möglich sein, die Grenze zu passieren, "dann würde Deutschland im Bereich Pflege komplett gegen die Wand fahren". Schon in den vergangenen Tagen hätten die Neukunden-Anfragen stark zugenommen, man könne sie jedoch kaum bedienen, da neue Betreuungskräfte aufgrund der Corona-Gefahr sehr schwer zu mobilisieren seien. "Uns geht es jetzt darum, den Bestand zu sichern", so Gesundheitswissenschaftler Küffel, der auch Vorstandsmitglied im Verband für Häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) ist.
Küffel fordert deshalb von der Politik klare Regelungen, die es sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen gestatten, trotz der Grenzschließungen nach Deutschland ein- und auszureisen. "Die Politik muss diese Gefahr auf dem Schirm haben", sagt er mit Blick auf sich verschärfende Versorgungsengpässe in der Pflege. Auch Pflegeforscher Isfort appelliert an die Politik, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Versorgung Hilfs- und Pflegebedürftiger daheim zu gewährleisten.