Kommentar

Boris Johnson: Der überführte Demagoge


Boris Johnson hat Großbritannien in eine gewaltige Krise geführt - ausbaden will er das Chaos aber nicht.

Boris Johnson hat Großbritannien in eine gewaltige Krise geführt - ausbaden will er das Chaos aber nicht.

Von Dr. Gerald Schneider

Jetzt kneift er doch. Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London und Galionsfigur des Brexit-Lagers, will nicht. Zwar hat er Großbritannien, seine Partei und EU in eine ihrer größten Krisen manövriert. Ausbaden will er das Chaos jetzt allerdings nicht. Als Nachfolger für Premierminister und Tory-Chef David Cameron steht er, der ihn de facto aus dem Amt gejagt hat, nicht zur Verfügung.

Feigheit und Opportunismus attestieren ihm seine ärgsten Kritiker, aber auch einstige Unterstützer - und sie haben recht. In einem harten, von Lügen und Verunglimpfungen geprägten Wahlkampf hat Johnson mit dazu beigetragen, dass sich rund 52 Prozent der Briten für den Ausstieg aus der EU entschieden haben. Die Folgen des Brexit waren Johnson wohl ebenso wenig klar wie den gut 17 Millionen Pro-Brexit-Wählern. Eine Rechnung hatte wohl auch Johnson nicht gemacht - die Mehrheit im Parlament steht gegen ihn und den Brexit. Zudem hat ihm Justizminister Michael Gove einen Tiefschlag versetzt. Nicht nur gab er selbst seine Kandidatur um den Parteivorsitz und den Premierministerposten bekannt - er sprach Johnson auch die Fähigkeit ab, Land und Partei zu führen. Damit mag Pro-Brexit-Mann Gove recht haben. Doch zeigt Johnsons Kneifen auch: Über die Fähigkeit zur Demagogie verfügt er. Über die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, allerdings nicht. Dass er jetzt kalte Füße bekommt, zeigt, welch falsches Spiel er gespielt hat. Gekniffen hat er wohl auch, weil Umfragen zeigten, dass es selbst in der eigenen Partei mit der Unterstützung für ihn nicht so weit her ist.

Die Tatsache, dass er außerdem am Tag nach dem Brexit ohne Plan und Strategie dagestanden ist, zeigt zudem, dass die Pro-Brexit-Wähler hier einem Demagogen in die Falle gegangen sind. Wegbegleiter attestieren Johnson einen messerscharfen Verstand. Er weiß, Menschen für sich zu gewinnen. Das hat ihm auch zweimal den Wahlerfolg in London - einer eigentlich eher von der Labour-Partei geprägten Stadt - eingebracht. Doch viel vorzuweisen hatte er nicht. Was ihn dagegen immer wieder rettete, waren seine Respektlosigkeit und sein loses Mundwerk. Jetzt, nach dem Brexit, wirkte Johnson für alle sichtbar ziemlich überfordert. Womöglich ist er, der Demagoge mit dem wirren blonden Haarschopf, nun endlich entzaubert. Große Klappe, wenig dahinter. Der Preis für diese Beweisführung war allerdings hoch. Zu bezahlen haben ihn vor allem die Briten.